| Georg Kronawitter |

Der Immobilienmarkt in einer Boomregion, wie sie der Großraum München darstellt, treibt die Kosten für Wohnen seit Jahren immer weiter nach oben. Ob dieser Trend unter dem Einfluss höherer Kapitalzinsen sich wirklich umdreht, ist vollkommen unsicher. Immer lauter wird daher insbesondere aus Mieterkreisen der Ruf nach stärkeren staatlichen Eingriffen und nach mehr Gemeinwirtschaftlichkeit im Wohnungswesen. In diesem Beitrag soll die Geschichte des Unternehmens „Neue Heimat“ skizziert werden, das als gemeinnütziges Unternehmen in Gewerkschaftshand der größte Immobilienkonzern der Bundesrepublik war, politisch bestens vernetzt, die Marke „Gemeinwirtschaft“ etablierte und trotzdem krachend scheiterte.

Werdegang

Die Ursprünge der Neuen Heimat lagen in Hamburg, insbesondere die gewerkschaftseigene „Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg (GKB)“ von 1926 übernahm eine Führungsfunktion beim Bau von Arbeiterwohnungen /1/. Der Name Neue Heimat wurde unter der Ägide der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront 1939 eingeführt. Der Name blieb erhalten, als 1949 der neu gegründete DGB – und damit wieder die Gewerkschaftsbewegung – das Eigentum an der Gesellschaft erhielt und bis 1954 alle gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen in Deutschland unter einem Dach vereinte.
Arbeit gab’s genug: nicht nur waren Millionen Städter ausgebombt, auch 14 Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge brauchten eine neue Bleibe. Fünf Millionen Wohnungen waren das Ziel des Wiederaufbaus. Die Neue Heimat konzentrierte sich auf den Bau von Großsiedlungen, in München etwa die Parkstadt Bogenhausen, das Hasenbergl und die „Entlastungsstadt“ Perlach, das heutige Neuperlach. Städtebauliches Leitbild war die „Charta von Athen“.
Als steuerlich begünstigtes, gemeinnütziges Wohnungsunternehmen durfte die Neue Heimat eine Rendite von vier Prozent nicht überschreiten. Viele Großstädte waren dankbar, in der Neuen Heimat einen leistungsfähigen Immobilienpartner zu haben, dem bereitwillig großer Einfluss auf die kommunalen Planungsentscheidungen eingeräumt wurde.
Wenig bekannt ist, dass die Neue Heimat der Stadt München aus „der Patsche“ half, als man erst 1970 gewahr wurde, dass 4000 (!) Unterkünfte für Medienvertreter bei den Olympischen Spielen 1972 vergessen worden waren. In nicht einmal zwei Jahren baute die Neue Heimat die Olympia-Pressestadt nach den Plänen von Alexander von Branca!
Dieses Beispiel zeigt, dass die Neue Heimat nicht nur im großen Stil Wohnungen baute, sondern auch notwendige Infrastruktur, wo die Kommunen das nicht selbst rechtzeitig „stemmen“ konnten. Hierzu waren aber eigene Neue Heimat-Tochterfirmen nötig, da diese Geschäftsfelder nicht mehr mit der Wohnungsgemeinnützigkeit vereinbar waren. In München errichtete die Neue Heimat Städtebau mit dem Olympia Einkaufzentrum (OEZ) die erste deutsche „Mall“.

Niedergang

Die 1970er Jahre sahen die Neue Heimat mit einem Bestand von 400.000 Wohnungen einerseits auf der Höhe ihres Einflusses, andererseits aber zeigten sich deutliche Krisenanzeichen. Einerseits fand die Neue Heimat bei einer SPD-geführten Bundesregierung deutlich mehr Gehör, andererseits war die Zeit des Großsiedlungsbaus vorerst vorüber – und damit des beherrschenden Geschäftsmodells. Es war ausgelegt auf Wachstum und das blieb in den 1970er Jahren aus. Zur Erinnerung: die Bevölkerungszahl Münchens stagnierte nach 1972 einige Jahrzehnte bei gut 1,3 Millionen. Der Wohnungsmarkt galt jahrelang als ausgeglichen. Die Konzernspitze versuchte verzweifelt, die sich auftuenden Kapitallöcher mit immer dubioseren Mitteln zu stopfen, wie es in /2/ nachzulesen ist.
Das Ende der Neuen Heimat leitete 1982 die Aufdeckung eines langjährigen skandalösen Verhaltens nahezu der gesamten Vorstandschaft ein: Sie hatte sich über Jahre schamlos auf Kosten des Konzerns, aber auch der Mieterschaft, persönlich bereichert. Ganz menschlich: ins Rollen gebracht hat die Aufdeckung der seinerzeitige Pressesprecher, nachdem er gefeuert worden war /3/.
Im Jahr 1990 war die Abwicklung der Neuen Heimat abgeschlossen, der Wohnungsbestand zum Teil an Gesellschaften in Öffentlicher Hand, aber auch an Private, verkauft worden.
Der Idee der Gemeinwirtschaft im Wohnungsbau hat der Skandal massiv geschadet, wurde doch 1990 die Gemeinnützigkeit für Wohnungsunternehmen abgeschafft. Aber: vielleicht gibt es bald eine Gemeinnützigkeit 2.0?
Gleichwohl hat sich die die Neue Heimat große Verdienste um die Herstellung günstiger Wohnungen und um die Realisierung städtebaulich innovativer Konzepte erworben. In diesem Zusammenhang ist die Lektüre von Helmut Steyrers Artikel über die Entlastungsstadt Neuperlach in den Standpunkten 11/2017 sehr zu empfehlen /4/.

Autor:
Dr. Georg Kronawitter ist Elektroingenieur, war Stadtrat von 2008 bis 2014 und ist Mitglied im Münchner Forum.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 1./2./3.2023 zum Themenschwerpunkt „Gemeinwohlorientierter Wohnungsbau“.

 

Zum Weiterlesen:

/1/ Neue Heimat. In: Wikipedia, 18.02.2023; https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Heimat /2/ Neue Heimat. Ende der Legende. In: Der Spiegel 37/1982; https://www.spiegel.de/wirtschaft/ende-der-legende-a-e88d4e7f-0002-0001-0000-000014351946 /3/ Wiedemeyer, Ute: Korruption bei Wohnungsbaukonzern. Der Skandal um die Neue Heimat. In: Der Spiegel, 23.06.2019; www.spiegel.de/geschichte/neue-heimat-skandal-1982-warum-das-wohnungsbauunternehmen-unterging-a-1273584.html /4/ Steyrer, Helmut: Entlastungsstadt Neuperlach. Mut und Rigorosität in der Stadtplanung vor 50 Jahren – ein Modell für heute? In: Standpunkte 11.2017, S. 11; https://muenchner-forum.de/wp-content/uploads/2017/11/Standpunkte_11_2017.pdf Schanetzky, Tim: Rezension zu: Kramper, Peter: Neue Heimat. Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungs- und Städtebau 1950–1982. Stuttgart 2008: ISBN 978-3-515-09245-6, In: H-Soz-Kult, 12.08.2009, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-12262

 

Bildquellen:

  • Im Wohnring Neuperlach: Helmut Steyrer, 2017
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