| Klaus Bäumler |

Umbruch – Abbruch – Aufbruch: Alte Akademie und ihre Arkaden: Ende eines „offenen“ Baudenkmals? Kaufhof am Marienplatz: (k)ein Baudenkmal?

Unter dem Motto „Umbruch“ zum Tag des Offenen Denkmals 2019 rückte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) die wechselnden gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen im Umgang mit prägenden Gebäuden im urbanen Raum in den diesjährigen Mittelpunkt der Veranstaltungen.
Das Münchner Forum hat mit dem Motto „Umbruch – Abbruch – Aufbruch“ zum Tag des Offenen Denkmals ein besonderes Veranstaltungsformat für die bei der DSD angemeldete Veranstaltung gewählt. Im Rahmen des Versammlungsrechts wurde beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) ein „sich fortbewegender Aufzug unter freiem Himmel“ durch die Münchner Fußgängerzone vom Marienplatz bis zur Alten Akademie angemeldet. Diese rechtliche Ausgestaltung ermöglichte es der bekannten Trommelgruppe „Münchner Ruhestörung“, die Veranstaltung akustisch zu begleiten und dem Anliegen „Trommeln im Öffentlichen Raum für den Öffentlichen Raum“ die gewünschte Resonanz im eigentlichen Sinn des Wortes zu geben. Die traditionsreiche Ost-West-Achse im Herzen der Stadt bot sich an, den Aspekt „Umbruch“ und seine Auswirkungen auf die urbane Entwicklung an Hand von zwei wegweisenden Zeitphasen beispielhaft darzustellen.

Öffentlicher Raum und Investoren-Strategien

Aus historisch-aktueller Sicht wurde bei der Exkursion an den fortwirkend positiven Einfluss der Olympiade 1972 erinnert mit der epochalen Realisierung des großzügigen Öffentlichen Raums der Fußgängerzone, des U- und S-Bahn-Systems und der Verlagerung des Ost-West-Verkehrs durch den Altstadtring-Tunnel.
Aus aktuellem Anlass galt es, die Bedeutung der Umbruch-Phase des Jahres 2019 für die urbane Magistrale „Hauptbahnhof – Stachus – Marienplatz“ herauszuarbeiten. Hier zeichnet sich mit den Neuplanungen für den Hauptbahnhof und Starnberger Bahnhof unter Abbruch des Altbestands und dem Baubeginn für die Zweite Stammstrecke an Stelle des Südrings ein „Umbruch“ ab, der von der Stadtgesellschaft bewusst wahrzunehmen und zu begleiten ist. Zudem ist im Jahr 2019 für die weitere Entwicklung und Gestaltung dieser zentralen Achse durch das Herz der Stadt eine von der Öffentlichkeit bislang wenig wahrgenommene Tatsache zu konstatieren: 2019 sind in der Person eines einzigen Investors auf der Achse Hauptbahnhof – Marienplatz fünf (!) maßstabsbildende Immobilien-Areale vereint: Das Kaufhaus Hertie zwischen Schützen- und Prielmayerstraße vom Bahnhofsplatz bis zum Königshof, der Kaufhof am Stachus, das Kaufhaus Oberpollinger, die Alte Akademie und der Kaufhof Marienplatz. Der Eigentümer René Benko und seine SIGNA-Gruppe haben damit die „Benko-SIGNA-Magistrale“ in München geschaffen. Welche Planungen der Investor mit diesen enormen Verkaufsflächen in München angesichts des Trends zum Internet-Handel verfolgt, ist derzeit – ausgenommen das Objekt Alte Akademie – nicht bekannt. Die Geschäftspolitik der SIGNA-Gruppe im Umgang mit Kaufhaus-Objekten in anderen Städten ist jedoch kein Geheimnis. In Berlin am Hermannsplatz, am Alexanderplatz und Kurfürstendamm sowie in Hamburg das Alsterhaus, die Alsterarkaden und die Gänsemarkt-Passage sind Großprojekte der SIGNA-Gruppe in der Diskussion. In München ist daher die Wachsamkeit der Stadtgesellschaft gefordert. Die Planungshoheit liegt formell bei der Stadt, beim Stadtrat, bei der Stadtverwaltung.
Die Stadtgesellschaft muss angesichts des neu ge-schaffenen, die Münchner Fußgängerzone beherrschenden Immobilien-Konglomerats des Investors René Benko auf der Hut sein sowie Verantwortung und Rückgrat im Rathaus einfordern.

Ruhestörender „Aufzug unter freiem Himmel“

Trotz strömenden Regens fanden sich am Sonntag, dem 8. September 2019 unter den Arkaden des Kaufhofs Marienplatz etwa fünfzig wetterfest ausgerüstete TeilnehmerInnen ein, die unter Führung von Klaus Bäumler und in musikalischer Begleitung der „Münchner Ruhestörung“ die vier Stationen der Exkursion erkundeten. Die wohltuende Wirkung der Arkaden im Bereich der Fußgängerzone, die bei Regen ausgezeichneten Schutz gewähren, wurde im Praxistest unter Beweis gestellt.

Station 1: Der Kaufhof am Marienplatz: (K)ein Baudenkmal?
Der Neubau des Kaufhofs am Marienplatz stellt eine prominente Schöpfung des Architekten Josef Wiedemann dar. Seit seiner Vollendung im Jahr 1972 – im Jahr der Olympiade – steht dieses Bauwerk im Zentrum der Münchner Architekturdebatte und wird noch immer kontrovers diskutiert. Klarzustellen ist, dass Josef Wiedemann der Abbruch des Vorgängerbaus, des 1912 errichteten Roman-Mayr-Hauses, nicht anzulasten ist. Der Stadtrat hatte diesem Abbruch – vor Erlass des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes im Jahr 1973 – zugestimmt. Unter dem Zeitdruck der Olympiade bedeutete die Entscheidung für den Abbruch einen erheblichen Zeitgewinn für den Bau der S- und U-Bahnstation Marienplatz. Wiedemann passte sich mit seiner Fassadengestaltung nicht an die Nachkriegs-Architektur des Marienplatzes an, distanzierte sich von der damals üblichen Kaufhaus-Architektur und schuf eine eigenständige und exzellente Lösung.
Nach dem aktuellen Stand der Denkmalliste ist der Kaufhof Marienplatz nicht als Einzeldenkmal eingestuft. Nach offizieller Haltung des Generalkonservators ist jedoch die Fassade als Bestandteil des Altstadt-Ensembles unter Schutz gestellt.
Ausgehend hiervon stellt sich die Frage, wie ein etwaiger Abbruchantrag des neuen Eigentümers René Benko für den Kaufhof am Marienplatz behandelt werden würde. Welche Haltung würden Rathaus, Planungsreferat, Denkmalschutzbehörden und die Stadtgesellschaft einnehmen? Angesichts der vielen Stimmen von Pro und Contra ist eine vertiefte Diskussion über den Denkmalwert dieser Schöpfung Josef Wiedemanns zu führen. Die objektiven Kriterien sind im Bayerischen Denkmalschutzgesetz definiert. Ergebnisoffen sind die geschichtlichen, baukünstlerischen und städtebaulichen Wertigkeiten des Wiedemann-Baus zu bestimmen. Zweifellos ist der Kaufhof am Marienplatz ein prägendes Zeugnis der Umbruch- und Aufbruchsära der Olympiade in München, das zugleich einen wesentlichen städtebaulichen Akzent im Herzen der Stadt setzt. Kompetente Stimmen unterstreichen den hohen baukünstlerischen Wert des Bauwerks. Angesichts objektiv bestimmbarer Kriterien kommt es bei der Einstufung eines Gebäudes als Baudenkmal nicht darauf an, ob das Gebäude geliebt wird.

Station 2: Arkade Kaufingerstraße 4
Die etwa 30 qm große Arkade in unmittelbarer Nähe des Marienplatzes wurde in der Wiederaufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen, rechtlich durch einen Baulinienplan abgesichert und 1972 als Bestandteil der Fußgängerzone zur öffentlichen Nutzung gewidmet.
Nahezu vergessen ist, dass in München bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine Arkadentradition existierte, vergleichbar den Laubengängen in Bozen, Brixen, Innsbruck, Kufstein und Rosenheim. Die ehemaligen Arkaden der Geschäftshäuser am heutigen Marienplatz wurden damals „finstere und helle Bögen“ genannt.
In der Wiederaufbauphase nach dem 2. Weltkrieg begann in München eine neue Ära der Arkadenkultur. Mit klaren Worten beschreiben die Leitlinien für das Altstadt-Ensemble, vom Stadtrat am 11. November 2015 beschlossen, die Bedeutung der Arkaden für den öffentlichen Raum und somit für die Bürgerschaft und Gäste der Stadt:
„Die derzeit existierenden Arkadenbereiche bilden eine willkommene Aufweitung und Bereicherung des öffentlichen Raums, gewähren Schutz vor Regen und Sonne und bieten abwechselnde Raumerlebnisse. Die Umwandlung von Arkadenflächen in Verkaufs- oder Gewerbeflächen konnte bisher vermieden werden. Der kommerzielle Druck ist inzwischen jedoch erheblich gestiegen. Die Erhaltung der Arkadenflächen in der überlieferten Form ist deshalb ein wichtiges Ziel des Ensembleschutzes.“
Schon vor dem Jahr 2015 hat München den Wert von Arkaden erkannt und sie gegen Begehrlichkeiten vehement verteidigt. Besonders spektakulär war das Ringen um die nur 30 qm große Arkade des Anwesens Kaufingerstraße 4. Von 1999 bis 2014 – also fünfzehn Jahre lang – hat die Stadt München für die Erhaltung dieser Arkade in allen Instanzen vor den Zivilgerichten und Verwaltungsgerichten erfolgreich gekämpft. „Gerichtsfeste“ und überzeugende Argumente der Stadt waren: Arkaden sind trotz der Schaffung der Fußgängerzone weiterhin unverzichtbar. Arkaden sind aus städtebaulichen Gründen zu erhalten; sie schützen gegen Witterungseinflüsse und stellen Verweilorte im Bereich der Fußgängerzone dar. Arkaden sind von erheblicher Bedeutung für das städtebauliche Gesamtkonzept der Münchner Altstadt und wesentlicher Bestandteil des Maßnahmekonzepts Innenstadt.
Es ist zu fordern, dass der Münchner Stadtrat die Arkaden der Alten Akademie mit der gleichen Intensität, Vehemenz und Beharrlichkeit gegenüber den Begehrlichkeiten des Investors SIGNA verteidigt, wie dies hier über fünfzehn Jahre hinweg geschehen ist. In der Kaufingerstraße 4 hat die Stadt um eine Arkadenfläche von 30 qm jahrelang gekämpft. In der Causa Alte Akademie sollen aktuell 400 qm öffentlich gewidmete Arkadenfläche dem öffentlichen Raum der Fußgängerzone entzogen werden.

Station 3: Kaufingerstraße 22, Hirmer-Haus
Die erst 1996 eingebaute Arkade des Hirmer-Hauses ist nicht förmlich als Öffentlicher Raum in den Geltungsbereich der Fußgängerzone einbezogen. Es handelt sich um eine private Fläche, deren Begehung durch Schaulustige vom Hauseigentümer unter Wahrung des Hausrechts nicht nur geduldet, sondern angestrebt wird. Die Historie des Hirmer-Hauses konnte daher in der Arkade – geschützt vor dem Regen – skizziert werden. In der Typologie der Münchner Kaufhaus- und Geschäftshaus-Architektur nimmt das „Hirmer-Haus“ eine Sonderstellung ein.
Errichtet 1914 für das Bekleidungshaus Bamberger & Hertz durch den Architekten Eugen Hönig wird das Gebäude als bemerkenswertes Zeugnis der Altstadterneuerung vor dem ersten Weltkrieg gewürdigt. Moderne Sachlichkeit vereint mit den Elementen des Traditionsbezugs prägen das Gebäude. Neuere Recherchen mit Hilfe des Firmen-Archivs Hirmer haben ergeben, dass der Architekt Eugen Hönig die Schaufensterzone ursprünglich nicht als Arkade ausgebildet, sondern eine Schaufenster-Passage errichtet hat. Die erst im Jahr 1996 erfolgte Realisierung der Arkade im Hirmer-Haus ist daher mit Blick auf die Historie der Arkaden der Münchner Fußgängerzone bemerkenswert.
Als herausragendes Beispiel eines Münchner Geschäftshauses vor dem ersten Weltkrieg ist das Hirmer-Haus als Baudenkmal geschützt. Von hoher zeitgeschichtlicher Relevanz ist die Tatsache, dass in der NS-Zeit zwischen der Familie Bamberger und Johann Hirmer eine einvernehmliche Übertragung des Geschäfts vereinbart wurde, um im Jahr 1938 eine Zwangsarisierung zu vermeiden.

Station 4: Arkaden der Alten Akademie, Neuhauser Straße 8-10
Geschützt vor dem anhaltenden Regen wurde im Kopfbau der Alten Akademie von Klaus Bäumler ein Abriss der Nutzungs- und Projektgeschichte gegeben. Brigitta Michail, Tochter des Architekten Josef Wiedemann, erläuterte das Gesamtwerk ihres Vaters und die besondere Bedeutung des Wiederaufbaus der Alten Akademie mit Blick auf die Wahrnehmung des ihr Kraft Rechtsnachfolge zustehenden Urheberrechts.
Der derzeitige Stand des Bebauungsplanverfahrens Nr. 1975 a auf der Grundlage des Billigungsbeschlusses vom 15. Mai 2019 wurde von Klaus Bäumler erläutert:
Abbruch des Hettlage-Baus unter Erhaltung der Fassade: Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege hat diesen massiven Eingriff in das Baudenkmal zugelassen. Denkmalschutz wird hier zum bloßen Fassadenschutz degradiert.
Erweiterung der Verkaufsflächen zu Lasten der Arkaden: Schließung der Arkaden im Kopfbau; Schließung der Arkaden an der Kapellenstraße; Reduzierung der Arkaden im Bereich Hettlage-Bau auf 4,00 m. Insgesamt soll damit die bisher öffentliche Arkadenfläche zu Gunsten von Verkaufsfläche von derzeit vorhandenen 600 qm auf nur noch 200 qm verkleinert werden. Damit sind 400 qm Öffentlicher Raum für die Bürger verloren.
Unter dem Aspekt „Mitdenken, Mitreden, Mitplanen“ wurden Funktion und Ergebnis der Bürgerbeteiligung gemäß § 3 Abs. 1 BauGB analysiert und kritisch gewürdigt.
Die fundierten Einsprüche aus der Bürgergesellschaft, von Altoberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel, der Akademie der Schönen Künste und des Bundes Deutscher Architekten im Verfahren nach § 3 Abs. 1 BauGB wurden im Billigungsbeschluss unter Bezug auf die Vorgaben der Stadtratsmehrheit lapidar abgelehnt.
Eine konkrete Abwägung der Interessen des Investors an der Mehrung seiner Verkaufsfläche mit den Interessen der Bürgerschaft an der Erhaltung ihres öffentlichen Raums ist nicht erfolgt.
Klaus Bäumler stellte dar, dass im laufenden Verfahren nach § 3 Abs. 2
BauGB Einwendungen erneut eingebracht wurden (https://muenchner-forum.de/2019/weitere-etappe-arkaden-alte-akademie/).
Die aktuellen Einspruchsschriften des Münchner Forums vom Juli 2019 wurden an die TeilnehmerInnen verteilt und sind auf der Webseite des Münchner Forums abrufbar.
Im Rahmen eines Ausblicks wurde die Bedeutung des Votums der Stadtgestaltungskommission in der anstehenden Sitzung vom 17. September 2019 unterstrichen. Das Münchner Forum hat alle Mitglieder der Kommission angeschrieben und über das bürgerschaftliche Engagement zur Erhaltung der Arkaden informiert, insbesondere wurden die beiden Flugschriften des Münchner Forums zur Alten Akademie übermittelt.
Der Bebauungsplan Nr. 1975 a ist ein Prüfstein für die Münchner Stadtpolitik. Wann und mit welchem Ergebnis die Vorlage für den Satzungsbeschluss vom Planungsreferat erstellt wird, ist derzeit offen.

Autor:
Klaus Bäumler ist 2. Vorsitzender des Programmausschusses des Münchner Forums, dort Leiter des Arbeitskreises „Öffentliches Grün“ und Richter (rtd.) am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.

 

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 10.2019 zum Themenschwerpunkt „20 Jahre Messestadt Riem”

 

Bildquellen:

  • Demonstrationszug zum Erhalt der Arkaden der Alten Akademie: Klaus Bäumler
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