| Franziska von Gagern |

Seit drei Jahren stehen in unserem Viertel 40 Häuser unter Wasser in einem klar abgrenzbaren, ca. 400 m breiten und 600 m langen Bereich. Die Stadt fühlt sich nicht verantwortlich. Wir fragen uns aber, wer, wenn nicht die Stadt?

Das betroffene Gebiet ist eingekreist vom Englischen Garten, dem Mittleren Ring und einem unterirdischem Regenauslasskanal (RAK). Dieser 5 m tiefe und 3 m breite Kanal (1987 erbaut) verläuft unterirdisch vom Olympiazentrum bis in den Englischen Garten. Das Viertel, das anfangs vor allem von Arbeitern der Kraus-Maffei-Fabrik bewohnt war, gewann über die Jahre immer mehr an Beliebtheit, kleine Nachkriegshäuser wurden abgerissen und größere Mehrfamilienhäuser mit zum Teil zweigeschossigen Tiefgaragen und Kellern wurden errichtet und die Abstandsflächen immer geringer. Das Gesicht des Viertels änderte sich. Aber es gibt auch heute noch viele alte Häuser, in denen seit Generationen die ursprünglichen Familien leben. Ich selber bin hier in den 70er Jahren aufgewachsen und lebe hier mittlerweile mit meiner eigenen Familie.
Nachdem das Wasser, das plötzlich im Juni 2020 in den Kellern und Tiefgaragen von über vierzig Häusern stand, nicht wie bei Hochwasserereignissen nach wenigen Tagen verschwand, wandten wir uns im Sommer 2020 an das zuständige Referat für Klima und Umweltschutz (RKU).
Bei einem ersten Treffen wurde uns signalisiert, dass die Stadt keine Verantwortung übernehme, weil es ein natürliches Ereignis sei und wir „selber schuld seien, wenn wir in die Münchner Schotterebene bauen“ (Zitat einer Mitarbeiterin der Münchner Stadtentwässerung). Kein Wunder, dass das RKU sofort von „Bauherrenrisiko“ sprach, gab es doch den Begriff „HHW 1940“.
Was aber bedeutet das Zauberwort Höchsthochwasser 1940 (HHW 1940)? Ein Begriff der mächtiger zu sein scheint als alle Gutachten, mächtiger als der reine Menschenverstand, mächtiger als die Politik.

Schematische Darstellung des Aufstaus am RAK, des Dükers und der Drainagen

Schematische Darstellung des Aufstaus am RAK, des Dükers und der Drainagen

Er bezeichnet den durch ein Jahrhunderthochwasser erzielten Höchstgrundwasserpegel, von dem man ausgeht, dass er nur ca. alle 100 Jahre erreicht wird. Alle Bauherren in ganz München müssen sich nach diesem Wert richten und entsprechend ihre Häuser bis zu diesem Pegel + 30 cm Zuschlag abdichten. Bis 1980 wurden Untergeschosse hauptsächlich mit Bitumenbahnen abgedichtet, der sogenannten schwarzen Wanne. Erst ab 1980 wurden diese mehrheitlich durch weiße Wannen (wasserundurchlässigen Beton – WU-Beton) ersetzt. In den 70er Jahren war die weiße Wanne noch nicht Stand der Technik.
Mit den Begriffen „HHW 1940“ und „Bauherrenrisiko“ schützt sich die Stadt bei Hochwasserereignissen vor Ansprüchen von Hauseigentümern und versucht aber auch, diese als Totschlagargument zu nutzen, um sich für jegliche Probleme im Zusammenhang mit Grundwasser und nassen Kellern aus der Verantwortung ziehen zu können. Dieser Wert des HHW 1940 ist allen Bauherren bekannt.
Wurde also mit dem Wissen um diesen Wert ein Haus nicht ausreichend wasserdicht gebaut und dringt deshalb Wasser in den Keller ein, weil es durch Starkregen zu einem Hochwasserereignis kommt, besteht ein „Bauherrenrisiko“. Man hat sich nicht genügend vor natürlichen Hochwasserereignissen abgesichert. Ein überschaubares Risiko, da nach wenigen Tagen der Normalzustand wieder hergestellt ist. Die Feuerwehr pumpt ab. Dieses Risiko haben die Bauherren zu tragen. Wenn man Glück hat, zahlt die Versicherung der Bauherren.
Es gibt sogar Theorien, die sagen, dass man bewusst eine kurzfristige Überschwemmung durch Hochwasser bei langen Baukörpern in Kauf nimmt, um einen Auftrieb von Gebäuden und dadurch Schäden am Baukörper zu vermeiden.
Was man aber nicht wissen konnte, ist,

  • dass 15 Jahre nach Bau des Hauses direkt nördlich, parallel zum eigenen Gebäude ein 5 m tiefer und 3 m breiter Kanal (RAK) gebaut wird, der das Grundwasser in seinem Fluss von Südosten nach Nordwesten unterbricht und an seinen Mauern aufstaut,
  • dass die ursprüngliche Gartenstadt im Laufe der Jahre immer mehr verdichtet wird,
  • dass Abstandsflächen nicht mehr eingehalten werden,
  • dass in ein hochwassersensibles Gebiet immer tiefere Keller gebaut werden, die das Wasser verdrängen,
  • dass für alle Baumaßnahmen bis heute ein Grundwassermodell hergenommen wird, das 30 Jahre alt ist,
  • dass Regenwasser nicht mehr in die Abwasserkanäle geleitet werden darf, sondern versickert werden muss,
  • dass das betonierte Bett eines Baches über die Jahre undicht wird und durch Setzen von Spundwänden einer benachbarten Baustelle beschädigt wird.
  • Vor allem aber konnte man nicht wissen, dass die seit den 70er Jahren undichten Abwasserkanäle, die unfreiwillig als Drainagen dienten und das Grundwasser stetig absenkten, 50 Jahre später, Anfang 2020, abgedichtet werden und dadurch das Grundwasser steigt.

All das konnten Bauherren nicht wissen und konnten daher dafür kein Bauherrenrisiko übernehmen.
Zumal es sich in unserem Fall auch nicht um ein Hochwasserereignis handelt, sondern um einen permanenten, technisch bedingten Grundwasseranstieg, der in allen seinen Ursachen in der Zuständigkeit des RKU und der Münchner Stadtentwässerung (MSE) liegen. Die Folge der oben geschilderten Ereignisse zeigt sich an 40 Häusern, die seit drei Jahren permanent im Grundwasser stehen, quasi wie in einem See. In Häusern, die nie zuvor Probleme mit Wasser im Keller hatten, können teilweise Keller, Tiefgaragen, Heizungsräume und Souterrainwohnungen nicht mehr genutzt werden, weil sie zu feucht sind, oder weil dauerhaft das Wasser durch Türen und Fenster eindringt. Dazu kommen die gesundheitliche Belastung und die Angst, dass die Gebäude dauerhaft Schaden nehmen oder sogar einstürzen. Ganz zu schweigen von dem Wertverlust, da sie mittlerweile unverkäuflich sind. Es kommt einem der Begriff des „enteignungsgleichen Eingriffs“ in den Sinn.
Wo liegt die Verantwortung? Beim Bauherren? Beim lieben Gott? Oder vielleicht doch bei der Stadt, die alle obengenannten Punkte zu verantworten hat und auch anhand ihrer regelmäßigen Pegelmessung sofort registrieren hätte müssen, dass der Grundwasserspiegel in kurzer Zeit dauerhaft weit über einen halben Meter angestiegen ist. Und das in einem sowieso schon hochwassersensiblen Gebiet. Ganz besonders dann, als sie erfuhr, dass südlich des unterirdischen Kanals vierzig Häuser unter Wasser stehen, nördlich des Bauwerkes kein einziges, und dass die Differenz des Grundwasserpegels vor und hinter dem Kanal 70 cm beträgt, wo doch die Düker die Differenz ausgleichen sollen.

Ehemaliges Schwimmbad, später Kindergarten, Archivraum und Werkstatt

Ehemaliges Schwimmbad, später Kindergarten, Archivraum und Werkstatt

Da braucht man keine aufwendigen Gutachten, um einen Zusammenhang zwischen dem Kanal, der das Grundwasser aufstaut, und den nassen Kellern zu sehen.
Die für den Kanal zuständigen Behörden, die Münchner Stadtentwässerung (MSE) und das Referat für Umwelt und Klimaschutz (RKU) entziehen sich bis zum heutigen Tag jeglicher Verantwortung und bieten als einzigen langfristigen Lösungsvorschlag die Aufgabe der Keller– Keller, in denen sich u. a. Archive, Heizungsanlagen, Stromverteiler und Souterrainwohnungen befinden. Als kurzfristige Lösung schlagen sie vor, dass sich alle Betroffenen Absenkbrunnen in ihre Gärten bauen und das abgepumpte Wasser über lange Leitungen in einen Bach leiten. Natürlich auf Kosten der Hausbesitzer und nur mit einer begrenzten Erlaubnis von eineinhalb Jahren. Und dann? Was sind das für Lösungen?
Ein vom Umweltministerium beauftragtes Gutachten des Wasserwirtschaftsamtes belegte, dass der Kanal das Wasser aufstaut. Doch das lässt das RKU nicht gelten und insistiert, die Überleitungen (Düker) seien technisch funktionsfähig. Das stimmt so nicht: sie sind nicht mehr ausreichend funktionsfähig. Durch die vielen oben genannten Ursachen hat sich die Grundwassersituation stark verändert. Dadurch kommt es zu einer größeren Aufstauwirkung an dem unterirdischen Bauwerk. Würde man mit den heutigen Parametern die Leistung der Düker (Wasserüberleitungen) neu berechnen, ergäbe das eine weitaus größere notwendige Durchlaufleistung.
Gäbe es den RAK nicht, hätten wir keinen Aufstau und somit keine nassen Keller, denn dann könnte das Grundwasser barrierefrei nach Norden abfließen.
Das heißt, die Düker und/oder Drainagen müssten nachgebessert oder eine neue Lösung gefunden werden, um wieder einen Ausgleich des Grundwassers südlich und nördlich des Kanals zu schaffen. Wir sprechen hier von 70 cm Pegelunterschied auf eine Länge von 60 m.
Und jetzt komme ich zu meiner anfänglichen Frage. Wer regiert München?
Denn:

  • Der Bezirksausschuss Schwabing/Freimann hat unseren Antrag vor drei Jahren zu 100 Prozent parteiübergreifend aufgenommen,
  • der Stadtrat war vor Ort und hat die Verwaltung aufgefordert zu handeln und durch eine Mediation eine Lösung zu finden.
  • Aus dem Büro von Bürgermeisterin Habenschaden kam gleich im Sommer 2020 ein langes Schreiben, das uns Hoffnung machte,
  • OB Reiter sagte der Presse: „Den Menschen muss geholfen werden“.
  • Wir haben eine Petition an den Umweltausschuss des Landtages gestellt. Diese Petition bekam zu 100 Prozent parteiübergreifend die beste Bewertung, die man für eine Petition bekommen kann. Die Landtagsabgeordneten haben das als ein sensationelles Ergebnis gefeiert. Nichts ist passiert.
  • Die Petition kam ins Plenum, weil nichts passiert ist. Ein Vorgang, der eigentlich nicht vorkommt. Wieder wurde die Petition einstimmig parteiübergreifend angenommen!
  • Die Presse berichtet seit drei Jahren regelmäßig auf allen Kanälen, bis hin zu einem Beitrag von „QUER“.

Wieder passiert nichts. Und warum nicht? Weil die Stadtverwaltung es schafft, durch reine, sich immer wiederholende, längst durch verschiedene Gutachten widerlegte Behauptungen ihre Verantwortung von sich zu schieben. Sie sieht in keinster Weise eine Rechtsgrundlage und argumentiert weiter unbeirrt mit dem Argument des Bauherrenrisikos. Sie geht sogar so weit zu behaupten, sie könne nicht handeln, denn die Regulierungshoheit läge bei der Versicherung, und diese sähe auch keine rechtliche Grundlage für ein Handeln.
Dass die Stadt rechtlich verpflichtet ist, tätig zu werden, wurde ausreichend in zwei Rechtsgutachten von Prof. Dr. Heinrich A. Wolff, jetziger Richter des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts, und seiner Kollegin Frau Prof. Dr. Lohse (Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Bayreuth) bestätigt.

Ehemaliger Sandkastenbereich des Kindergartens, jetzt ein Grundwasserteich.

Ehemaliger Sandkastenbereich des Kindergartens, jetzt ein Grundwasserteich.

Wir fordern von der Stadt keinen Schadensersatz – und der Schaden ist hoch:
Sanierung und nachträgliche Zusatzabdichtung der Keller und Souterrainwohnungen, kaputte Heizungsanlagen durch konstantes Wasser im Heizungsraum, dauerhaft im Betrieb befindliche Hochleistungspumpen (bis zu 50 l/s Abpumpleistung), entsprechende Stromkosten für die Pumpen (bis zu 50.000 € jährlich), Sanierungsstaus weil nicht saniert werden kann, solange das Wasser im Keller steht und vieles mehr.
Stattdessen geht es uns schlicht und ergreifend darum, dass die Stadt gegen einen durch sie verursachten stark erhöhten mittleren Grundwasserspiegel Maßnahmen einleitet, um unsere Häuser vor der Zerstörung durch das Wasser zu schützen und einen Grundwasserzustand herzustellen, wie er die letzten 50 Jahre vorherrschte. Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht. Jeder hat versucht sein Haus so gut es geht nachträglich gegen den Dauerdruck des Grundwassers abzudichten, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Häuser immer noch wie in einem See stehen und auf Dauer kein Haus diesem Dauerdruck des Wassers standhält und Häuser im schlimmsten Falle einstürzen. Auch die Angst vor Unterspülung ist da. Muss erst etwas noch Schlimmeres passieren, bis jemand aufwacht und wirklich hinschaut?
Wer also regiert München? Die Politik, der Oberbürgermeister? Die Stadtverwaltung? Oder gar die Versicherung der Stadt?
Eine Frage wird uns häufig gestellt. Warum klagt ihr nicht?
Ein Klageverfahren kann sich über viele Jahre, manchmal Jahrzehnte hinziehen, gerade dann, wenn es im Interesse des Gegners ist, das Verfahren hinauszuzögern um den Kläger mürbe zu machen und finanziell an seine Grenzen zu bringen.
Es geht aus meiner Sicht nicht um die Schuldfrage, sondern darum Verantwortung zu übernehmen. Und diese Verantwortung liegt eindeutig bei der Stadt, denn ganz egal, wie wir gebaut haben, wir sind nicht verantwortlich für den Anstieg des Grundwasserpegels. Und es gibt den schönen Satz: Schadensgeneigtheit schützt den Schädiger nicht.
Von Schuld würde ich sprechen, wenn die Stadt uns in voller Absicht unter Wasser gesetzt hätte. Aber wenn die verantwortlichen Politiker der Stadt nicht bald handeln und das RKU sich nicht seiner Aufgabe als Aufsichtsbehörde der MSE besinnt und eine Weisung an diese gibt, diesem Spuk ein Ende zu bereiten, dann werden sie schuldig.

Autorin:
Franziska von Gagern ist Fotografin und seit 3 Jahren Sprecherin der Interessengemeinschaft Grundwasser Osterwaldstr.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 07./08./09.2023 zum Themenschwerpunkt “Wasser in der Stadt?”

 

Bildquellen:

  • Überschwemmte Tiefgarage: Franziska von Gagern
  • Schematische Darstellung des Aufstaus am RAK, des Dükers und der Drainagen: Franziska von Gagern
  • Ehemaliges Schwimmbad, später Kindergarten, Archivraum und Werkstatt: Franziska von Gagern
  • Ehemaliger Sandkastenbereich: Franziska von Gagern
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