| André Perret |
In diesem Beitrag werden Eckpunkte für eine stadträumliche Konzeption für die Landeshauptstadt München entwickelt und skizziert, deren Mangel im Zusammenhang mit aktuell anstehenden stadtentwicklungspolitischen Entscheidungen schmerzlich bemerkbar geworden ist. Diese Skizzen für eine stadträumliche Konzeption sind in der Auseinandersetzung mit der dritten Hochhausstudie entstanden, mit deren Erarbeitung das Planungsreferat das Münchner Büro 03 Architekten beauftragt hat. Es wird dringend geraten, eine solche stadträumliche Konzeption in die Fortschreibung des Münchner Stadtentwicklungsplans „Perspektive München“ zu integrieren; der Umstand, dass der Entwurf des Stadtentwicklungsplans STEP 2040 sich derzeit in der öffentlichen Debatte befindet, kann dabei als günstige Bedingung angesehen werden.
Zur Vorbereitung von Ideen einer stadträumlichen Konzeption habe ich mir erlaubt, in den Zonenplan der Hochhausstudie (Entwurf, s. Beitragsbild) meine Modifikations-Vorschläge zu skizzieren. Dieser Zonenplan besteht in der Originalfassung abstrakt aus den vier Farben, Gelb, Dunkelgelb, Hellblau und Violett für die vier Höhenzonen I bis IV, die definiert worden sind: Zone I: „Traufe stärken“; Zone II: „Maßstäblich gestalten“; Zone III: „Höhenprofil gestalten“; Zone IV: „Stadtsilhouette gestalten“.
Die gelben Zonen I und II sind unproblematisch und korrespondieren mit moderaten Akzentuierungen der Weiterentwicklung der homogenen Bausubstanz Münchens.
Die zwei weiteren Zonen III und IV sind wesentlich problematischer, da sie ohne leitende Idee und ohne übergeordnete räumliche Konzeption „Stadtteilzeichen“ bis 80 m Höhe bei der Zone III und „Stadtakzente“ ab 80 m Höhe und ohne Höhenbegrenzung bei der Zone IV ermöglichen.
Auf diesem Zonenplan habe ich schematisch mehrere wichtige Informationen farbig ergänzt, um die stadträumlichen Zusammenhänge besser verständlich zu machen.
Zuerst die Grünzugsstruktur mit allen Vernetzungspotentialen
Dann als vertikale Schraffur die Kernstadt von München, die ungefähr mit dem Staffelbauplan von Theodor Fischer korrespondiert, sowie die Kernstadt von Pasing, die endlich in ihrer historischen Autonomie differenziert werden müsste, statt an München mühsam geklebt zu werden. Der vorgeschlagene Westgrünzug zwischen München und Pasing wäre die perfekte notwendige Pause. Theoretisch wäre um Perlach eine dritte, modernere Kernstadt als Potential möglich, die mit vielen Ergänzungen und Akzentuierungen eine eigene Prägung bekommen könnte.
Zum Schluss habe ich mit dicken schwarzen Punkten die historischen Höhenpunkte der Kirchtürme im Zentrum und den Bogen der wichtigsten Hochhäuser der Stadt im Norden und Nordosten betont. Diese zufällig entstandene Ordnung ist interessant, aber in der Hochhausstudie nicht erwähnt. Wichtig dabei ist auch, dass diese solitären Ikonen der Münchner Wirtschaft jeweils die Spitze von Siedlungsquartieren von ca. 40 bis 50 ha, wie im Werksviertel, Bogenhausen, Parkstadt Schwabing oder BMW, bilden. Sie sind wie die bedeutendsten Logenplätze eines Stadtamphitheaters im Norden der Stadt lokalisiert und nach Süden ausgerichtet, es gibt vielleicht noch freie Plätze für die Zukunft in der zweiten oder dritten Reihe am Frankfurter Ring oder an dem zukünftigen Bahn-Ring im Norden bis zur Bahntrasse Richtung Ostbahnhof, aber München dürfte dadurch Konglomerate von Hochhäusern wie etwa in Frankfurt niemals erhalten.
Der Versuch, eine Ordnung in diesen Plan zu bekommen, zeigt, wie die von mir rot umrandeten Gebiete im Süden der Stadt Konflikte verursachen, die violett oder blau in der Hochhausstudie markiert sind.
Das problematischste Gebiet ist eindeutig die aktuell viel diskutierte violette Zone zwischen Hansastraße, Friedenheimer Brücke und Donnersberger Brücke. Die violette Markierung signalisiert fatalerweise vor der Genehmigung der Hochhausstudie unbegrenzte Höhenentwicklungen von „Stadtakzenten“ mitten in der von mir beschriebenen Kernstadt, vor dem Nymphenburger Ensemble und im Blickfeld des Alpenpanoramas. Das Projekt an der Paketposthalle bündelt aktuell an dieser Stelle die ganze Problematik der Hochhausstudie und versteckt gleichzeitig die starken Ausdehnungsmöglichkeiten von weiteren Hochhäusern in diesem sehr sensiblen Gebiet der Stadt.
Ähnlich schwierig sind die blau markierten Zonen der Kategorie III aufgrund der – wie bereits beschrieben – ansteigenden Topographie in Richtung Süden, wo „Stadtteilzeichen“ mit 80 m Höhe möglich sein sollen. Dies soll gelten für die Areale im Süd-Osten in der Verlängerung des Werksviertels nach Süden, am Giesinger Bahnhof und erstaunlicherweise am Geiselgasteig. Im Süd-Westen ergeben sich ähnlich problematische Situationen im Blickfeld der Kernstadt und in Richtung Alpenpanorama bei der Großmarkthalle und vor allem in Obersendling. Das Areal der Großmarkthalle ist aufgrund der Nähe zur Altstadt und zur Ludwigvorstadt besonders ungeeignet für ein „Stadtteilzeichen“. Insgesamt fehlt ein städtebaulicher Masterplan für das große Areal von Obersendling; deswegen werden die Flächen, meistens sehr isoliert, zum Spielball der Immobilienspekulationen. Die Bauhöhen von 80 m, die durch die große Ausdehnung der blauen Zone III an vielen Stellen möglich werden sollen, werden aufgrund der ansteigenden Topographie mit einer Höhendifferenz zwischen Kernstadt und südlichen Stadtrand von ca. 50 m in ihrer Lage im Blickfeld der Altstadt besonders problematisch.
Um das Konzept der Hochhausstudie zu beruhigen, müsste die Kategorie 4 mit ihrem Begriff „Stadtteilzeichen“ bis 80 m Höhe aus der Definition der blauen Zone III bei allen Gebieten im Süden der Kernstadt entfernt werden.
Auf der Basis dieser Analyse habe ich begonnen, das fehlende stadträumliche Konzept zu umreißen. Es sind lediglich skizzenhafte Darstellungen, die uns gemeinsam für die kommenden Debatten inspirieren sollen.
Bei diesem ersten Konzeptvorschlag (s. Konzept 1) wird die Stadt aus der Vogelperspektive von Westen und mit den drei wichtigsten Komponenten – dem Städtebau, der Landschaft mit der ansteigenden Topographie und den dominanten Verkehrserschließungen wie Bahnlinien und Mittlerer Ring – dargestellt. Zusätzlich wird diese Skizze am unteren Rand mit einem Schnitt durch die Topographie der Stadt ergänzt. Die markantesten Bauformen der Hochhäuser und der Kirchen sind bewusst überhöht dargestellt.
Damit wird deutlich erkennbar, dass ein Hochhaus als „Stadtteilzeichen“ mit 80 m Höhe in Obersendling auf der Basis von 570 m ü. NN eine Höhe von 650 m erreicht und damit dem Uptown-Hochhaus am Petuelring mit einer Bauhöhe von ca. 150 m als Stadtakzent entspricht. Diese Wirkungen von vergleichbar hohen Bauten auf unterschiedlichen Niveaus zu beiden Seiten der Kernstadt sind nicht akzeptabel; dies wird auch in der Hochhausstudie nicht thematisiert. Aus diesem Grund dürften die höheren Bauten im Süden der Kernstadt eine Höhe von 40 bis 50 m nie überschreiten. Das Wort „Stadtteilzeichen“ bis 80 m Höhe müsste bei den ausgewiesenen Zonen III im Süden der Kernstadt entfernt und durch die Kategorie „Quartierszeichen“ ersetzt werden.
Diese Skizze (s. Konzept 2) ist eine weitere Darstellungsmöglichkeit des stadträumlichen Konzeptes, diesmal als Plan mit den drei wichtigen Komponenten der Stadt, dem Städtebau, der Landschaftsstruktur und der Verkehrsinfrastruktur. Wichtig dabei ist die Darstellung der Ausdehnung der Kernstadt (vertikale Schraffur), die Darstellung des Westgrünzugs als Gliederung zwischen München und Pasing sowie die Vernetzung der übergeordneten Grünflächen.
Die Bogenstruktur der Hochhaussolitäre der Münchner Wirtschaft einschließlich ihres Siedlungsumfelds ist dunkelgrau markiert; das mögliche Potential von weiteren Verdichtungen mit Akzentuierungen in der 2. oder 3. Reihe am Frankfurter Ring oder am zukünftigen Bahnring ist gelb gekennzeichnet.
Die dunklen Kreise der ehemaligen Dorfkerne Solln, Thalkirchen, Giesing, Schwabing und Oberföhring ergänzen, als wichtiges und eigenständiges Element der Münchner Siedlungsgeschichte, das räumliche Konzept.
Zur Komplettierung dieser räumlichen Darstellung dient die Skizzenperspektive (s. Konzept 3), die nach Süden zu den Alpen orientiert ist. Darin wird die komplette Hierarchie der Höhenentwicklung in München erkennbar sowie die notwendige und charakteristische Verschmelzung der horizontalen Stadtsubstanz mit dem Voralpenland als Besonderheit dieser Stadt. In dieser erneut bewusst überhöhten Darstellung wird deutlich erkennbar, wie zerstörerisch eine Hochhausgruppe an der Paketposthalle, mitten in der Kernstadt und vor dem Nymphenburger Ensemble, sein würde.
In München fehlen im Moment bis auf wenige Ausnahmen, wie z. B. das prämierte Projekt „Werk 12“ der niederländischen Architekten MVRDV im Werksviertel, vorbildliche Projekte, die viele Themen der Nachhaltigkeit und des fortschrittlichen Städtebaus in den Vordergrund stellen. Stattdessen wird viel zu viel über extreme Höhenentwicklungen diskutiert, die nur eine Illusion von Fortschritt und Dichte suggerieren.
Der Hochhausstudie (Entwurf) kann in der jetzigen Form nicht zugestimmt werden; sie muss komplett überdacht werden. Es kann auch nicht sein, dass das zukünftige Aussehen einer Stadt wie München allein von der Studie eines Architekturbüros abhängt. Über ein interdisziplinäres Team mit mehreren Fächern wie Städtebau, Landschaft und Verkehr, ähnlich wie in Berlin, Wien oder Kopenhagen, müsste zuerst die übergeordnete räumliche Konzeption definiert und abgestimmt werden. Dieses „stadträumliche Konzept“, wie ich es genannt habe, sollte anschließend, als Konsens für die prägende Ordnung und Gestaltung der Stadt, Teil des Stadtentwicklungsplans werden.
Die begonnene Debatte um die Fortschreibung des Stadtentwicklungsplans „Perspektive München“, dem Stadtentwicklungsplan STEP 2040, bietet dazu die besten Voraussetzungen und jegliche Gelegenheit. Mehr als fahrlässig wäre es, ein solches städtebauliches Konzept nicht mit dem Stadtentwicklungsplan zu verknüpfen.
Autor:
André Perret ist Architekt und Stadtplaner. *1954 in Saint-Etienne/Frankreich. Diplôme Architecte DPLG 1979; Master of Architecture University of Pennsylvania/ Philadelphia (USA) (1981-1982). 1982-1990 Mitarbeit in den Büros Alexander von Branca und Walter Lehneis München. 1990-2000: selbständige Architektentätigkeit in München, bis 1994 in Partnerschaft mit Wilhelm Hopfinger.1994 1. Preis WB der Parkstadt Schwabing. 2000-2017 Partner des Büros PRPM Architekten; ab 2012 Geschäftsführer prpm Architekten und Stadtplaner GmbH in München. André Perret wohnt in Starnberg.
Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 04./05./06.2022 zum Themenschwerpunkt “Paketpost-Areal: Kippen die Hochhäuser?”.
Bildquellen:
- Vorschläge des Verfassers zum Umbau des Zonenplans der Hochhausstudie (Entwurf), hrsg. Planungsreferat LH München (Bearb. 03 Architekten München): Andre Perret
- Stadträumliches Konzept 1: Andre Perret
- Stadträumliches Konzept 2: Andre Perret
- Stadträumliches Konzept 3: Andre Perret