statt Tunnel und Stau für den Münchner Norden

| Paul Bickelbacher |

Die maßgeblichen Entwicklungsmöglichkeiten Münchens liegen außerhalb des Mittleren Ringes. Dabei hat die Innenentwicklung Vorrang vor der Inanspruchnahme neuer Flächen. Ein erhebliches Potenzial, bereits versiegelte Flächen intensiver zu nutzen, hat der Münchner Norden zum Beispiel mit dem Euro-Park (früher Euro-Industriepark). Insofern gilt es zu prüfen, wie die verkehrliche Entwicklung mit der Nutzungsintensivierung Schritt halten kann. Bereits heute ist der Münchner Norden in großem Maße mit privatem Kfz-Verkehr und Logistik-Verkehren bis an seine Grenzen belastet, so dass dringend nach Lösungen gesucht werden muss.
Hinzu kommen die Erfordernisse, die aus der vom Stadtrat beschlossenen Zielsetzung der Verkehrswende resultieren, wie sie im Entwurf der Mobilitätstrategie niedergelegt sind. Sowohl aus Gründen des Klimaschutzes und der Umfeldverbesserung, aber auch aus Gründen der Gewährleistung der Mobilität für einen funktionierenden Lebens- und Wirtschaftsraum gilt es, Wege durch intelligente Stadtentwicklung zu verkürzen und auf flächeneffiziente, energiesparende und klimaschonende Verkehrsmodi (Öffentlicher Verkehr, Radfahren und Zufußgehen) zu verlagern.

Das Tunnelprojekt

Wie selbst ein schneller Blick auf den Stadtplan erkennen lässt, fehlt eine Verbindung der im Autobahnring A99 endenden Autobahn A92 in die Stadt München. Lange Zeit wurde daher an einer Verbindung der A99 von Westen her zur Schleißheimer Straße geplant und zwar in einem Tunnel unterhalb des FFH-Gebietes; das Heide-Areal. Solche Planungen, die ein FFH-Gebiet tangieren, müssen aber vor dem Europäischen Gerichtshof bestehen und dafür alternativlos sein. Spät, aber besser als nie hatte sich die Einsicht durchgesetzt, dass letzteres nicht der Fall ist, und im städtischen grünroten Koalitionsvertrag wurde diesem „Treiben“ ein Ende gesetzt.
Allerdings wurde nun ein neues, viel aufwändigeres, weil viel längeres Tunnelprojekt aus der Taufe gehoben. Dies soll eine Anbindung an das Autobahndreieck schaffen, den Stadtteil Hasenbergl unterqueren und wiederum die Schleißheimer Straße anbinden. Obwohl noch kaum vertiefende Planungen existieren und keine exakte Kostenschätzung (grob ca. eine Milliarde EUR) vorliegt, haben auf Betreiben von OB Reiter und BMW die Fraktionen SPD, CSU und FDP gemeinsam mehrheitlich beschlossen, das Vorhaben bis zur Planfeststellung voranzutreiben. Wenn man sich schon in dieses unzeitgemäße Abenteuer BMW-Tunnel stürzen möchte, wäre in jedem Fall vorher die Abwägung von Chancen und Risiken, ein fortgeschrittener Planungsstand und eine sorgfältige Abwägung der Alternativen, wie vom Mobilitätsreferat vorgeschlagen, sinnvoller gewesen.

Folgen des Tunnelprojekts

Völlig ausgeblendet wird die CO2-Bilanz des Tunnelprojekts. Die vielen Tonnen Beton, die dafür vergraben werden, gefährden den CO2-Minderungspfad. Für den Bau müssen gemäß Greenpeace 700 Bäume fallen. Auch das städtische Personal ist begrenzt. Auf keinen Fall dürfen Fachkräfte vom U-Bahn-Bau abgezogen werden. Das Geld, das für Investitionen zur Verfügung steht, kann nur einmal ausgegeben werden. Ist der Tunnel erst einmal gebaut, fallen danach jährlich hohe Betriebskosten an.
Nach allen Erkenntnissen der Verkehrsplanung bewirkt dieser Tunnel eine erhebliche Kfz-Verkehrszunahme auf den Straßen im Münchner Norden, es wird quasi eine Schleuse geöffnet. Für viele Bewohnerinnen und Bewohner des Umlandes wird es einfacher und geht es dann schneller, nach München hinein mit dem Auto zu fahren, so dass sie Kfz-Fahrten unternehmen, die sie vorher nicht unternommen hätten (sogenannter induzierter Verkehr), also vom Öffentlichen Verkehr auf das Auto umsteigen. Beiden Effekten könnte man nur begegnen, wenn man eine spürbare City-Maut oder eine teure Tunnel-Maut einführen würde. Ein Tunnel kostet also nicht nur viel, sondern er schafft auch die falschen Anreize, die man dann mühsam korrigieren müsste.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass nach Aussage von BMW die Logistik-Verkehre vom und zum Unternehmen nicht zunehmen, sondern bei ca. 700 Lkw pro Tag stabil bleiben werden. Sollte dies zutreffen, dann dient dieser Tunnel ganz wesentlich dem privaten Kfz-Verkehr, vor allem den Pendlerinnen und Pendlern, die viel sinnvoller den Öffentlichen Verkehr (ÖV) nutzen sollten. Hier liegen die zukunftsfähigen und nachhaltigen Lösungen.

ÖV-Ausbau als Alternative(n)

Beim Ausbau des Öffentlichen Verkehrs im Münchner Norden ist bereits bisher einiges in Angriff genommen worden. Im Stadtgebiet selbst verkehrt schon jetzt die U2 tagsüber bis Feldmoching im Fünf-Minuten-Takt. Die Busverbindungen im Münchner Norden wurden kontinuierlich verbessert. Der Trassierungsbeschluss zum Bau der Verlängerung der Tram 23 von Schwabing-Nord (Bauhausplatz) über Neufreimann bis Kieferngarten ist gefasst. Demnächst folgt der Trassierungsbeschluss für die tangentiale Tram 24 von Kieferngarten bis zur U-Bahn-Station Am Hart. Ebenso ist die Planung der Y-Tram vom Petuelring über die Schleißheimer Straße bis zur U-Bahn-Station Am Hart und in das Neubaugebiet Lerchenauer Feld beschlossen.
Gemeinsam mit dem Landkreis Dachau bezuschusst die LH München die Buslinie 172 von Dachau zur U-Bahn-Station Am Hart, und ebenfalls gemeinsam mit dem Landkreis Dachau wird derzeit eine Machbarkeitsstudie für eine Trambahnlinie von Moosach über Ludwigsfeld nach Dachau erstellt. Bahn und Freistaat wollen bis 2026 eine Stummellösung für den S-Bahn-Nordring von Karlsfeld bis zum FIZ, dem Forschungs- und Ingenieur-Zentrum von BMW, in Betrieb nehmen. Die Stadt betreibt die Verlängerung bis zum Euro-Park und hat auf unseren Antrag hin die Vorfinanzierung der Planung bis dorthin beschlossen. Eine Stärkung des Regionalzughalts Feldmoching haben wir auf Vorschlag der FDP hin interfraktionell beantragt.
Angesichts der Herausforderungen der städtebaulichen Entwicklungen bedarf es aber in jedem Fall eines weiteren ÖV-Ausbaus für den Münchner Norden. Auf Stadtgebiet bedeutete dies mindestens einen Tram-Ausbau von St.-Emmeram über den Föhringer und den Frankfurter Ring bis Moosach sowie die Verlängerung der U1 ab dem Olympia-Einkaufszentrum in Richtung Norden.
Regional gesehen wären weitere möglichst direkte Verknüpfungen des Münchner Nordens in Richtung Dachau sinnvoll. Untersucht werden sollte hier auch das System Bögl-Bahn. Es fragt sich aber, ob die Einführung eines neuen Systems mit den dafür in Kauf zu nehmenden Umsteigezwängen vorteilhaft ist. Die Verlängerung der U6 bis zur S1-Trasse (kostensparend mit möglichst weitgehend oberirdischer Trasse) böte sich ebenso an. Insgesamt bräuchte die Region München – und das betrifft nicht nur den Münchner Norden – ein S-Bahn- und Regionalzugnetz, das nicht nur die Stadtmitte der Kernstadt im Blick hat, sondern mittels der Schienenstränge von Süd- und Nordring zahlreiche Tangentiallinien ermöglicht. Besonders attraktiv wären Verbindungen

  • von Pasing über den Nordring zum Flughafen
  • von Dachau über den Nordring zum Ostbahnhof und weiter nach Rosenheim, Dorfen oder Holzkirchen
  • von Freising über den Nordring zum Ostbahnhof und weiter nach Rosenheim, Dorfen oder Holzkirchen.

Diese Ideen zu ÖV-Verbindungen werden hier nur beispielhaft angesprochen und sind zu vertiefen. Dies erfolgt u.a. im Beitrag von Andreas Barth von Pro Bahn und Berthold Meier vom AAN in diesem Heft S. 11.

Verbesserungen im Radnetz

Auch beim Fahrradnetz sind erhebliche Verbesserungen vorgesehen. Diese sind allem voran die beiden Radschnellwege. Der Radweg von Garching bzw. Unterschleißheim nach München ist in den Planungen schon weit fortgeschritten und in kleinen Abschnitten bereits in der Umsetzung. Die Verbindung von München nach Dachau steht noch am Anfang und bedarf einer ergänzenden direkten Verbindung in den Münchner Norden. Die konsequente Berücksichtigung von Bike+Ride mittels sicherer und komfortabler Anbindungen an die ÖV-Haltestellen und attraktiver Abstellanlagen verknüpft die Systemvorteile der flächenhaften Erschließung durch das Rad mit den kurzen Fahrzeiten im Schnellbahnsystem.

Vorschlag zu Park+Ride (Idee und Quelle Jürgen Trepohl)

Vorschlag zu Park+Ride (Idee und Quelle Jürgen Trepohl)

Neuartiges Park+Ride-Projekt und Mobilitätsmanagement

Wenn auch Park+Ride-Projekte bisher nur mäßig funktioniert haben, wenngleich an vielen Stellen Bike+Ride die sinnvollere Lösung ist, so wäre es doch der Mühe wert, als preiswertere und weniger klimaschädliche Alternative zu einem Autotunnel die folgende von Jürgen Trepohl ausgearbeitete Option näher zu untersuchen: Direkt am Autobahndreieck der A92/A99 entsteht ein Park+Ride-Parkhaus und eine neue S-Bahn-Station. Vom Dach des Park+Ride-Parkhauses führt eine Seilbahn zum FIZ/zur U-Bahn-Station Am Hart. Hier wäre eine Seilbahn mit einer Punkt-zu-Punkt-Verbindung und einer Führung parallel zu einer Hochspannungsleitung über Grünbereiche, in die bis auf wenige Stützen nicht eingegriffen werden muss, optimal eingesetzt – anders als die kürzlich untersuchte lineare Erschließung entlang des Frankfurter Rings. Die kontinuierliche Abfahrt der Seilbahngondeln kommt der kontinuierlichen Ankunft der Kfz entgegen. Ob sich auch eine Fortführung einer für Freizeitnutzungen interessanten Seilbahn zum Regattasee lohnt, wäre ebenso zu untersuchen.
BMW ist bereits heute vorbildlich beim Mobilitätsmanagement. Zahlreiche Mitarbeiter bekommen ein attraktives Job-Ticket. Mit dem ÖV-Ausbau und dem Park+Ride-Projekt wird es noch attraktiver. Weitere Firmen könnten mit einem besseren ÖV-Angebot dafür gewonnen werden. Aber auch schon heute steckt in verbesserten und gezielten Maßnahmen zur Information, Kommunikation und Motivation noch ein erhebliches Potenzial.

Fazit

Dieser Beitrag soll zeigen, dass es viele sinnvolle Alternativen zu einem Auto-Tunnel gibt. Völlig unwidersprochen muss die Erreichbarkeit des Münchner Nordens im Allgemeinen und der urbanen Produktion von BMW im Besonderen gewährleistet sein. Dies kann aber auf andere und zukunftsfähige Weise erfolgen. Wenn München noch einen Tunnel brauchen sollte, dann zum Zusammenführen der beiden Teile des Englischen Gartens, d.h. ein Tunnel zur Grünverbesserung und nicht zur Erhöhung der nach München einfahrenden Kfz-Verkehrsmenge.

Autor:
Paul Bickelbacher, Stadtrat LH München, Stadt- und Verkehrsplaner und Mitglied im Programmausschuss des Münchner Forums.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 07./08./09.2022 zum Themenschwerpunkt “Drunter und/oder drüber? Straßentunnels in München”

 

 

Bildquellen:

  • Übersicht alternative Straßenplanungen im Münchner Norden: Baureferat zur Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / V 06594, Vollversammlung 29.06.2022
  • Vorschlag zu Park+Ride (Idee und Quelle Jürgen Trepohl): Jürgen Trepohl
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