| Eberhard Sommer |

Am nördlichen Stadtrand Münchens, am äußersten nordwestlichen Zipfel des Bezirks 24 (Feldmoching-Hasenbergl) liegt die Wohnsiedlung Ludwigsfeld. Die Siedlung liegt zwar auf Münchner Stadtgebiet hat aber zu allen Seiten keinen Anschluss an städtische Siedlungsstrukturen.

Im Süden liegt die Autobahn A99, eine riesige, Lärm produzierende Barriere zum ursprünglichen Ludwigsfeld, zum Allacher Forst und nach Moosach. Davor landwirtschaftliche Nutzfläche, über die der Verkehrslärm als Grundrauschen bis zur Wohnbebauung reicht. Die durch Pendlerverkehr stark frequentierte Dachauer- /Münchner Straße begrenzt das Gebiet im Osten. Hier schließen die großflächigen Industrieansiedlungen von MTU und MAN an, deren Teststrecke sich auch noch bis in den Norden ausdehnt. Vom Nordosten- bis Südosten landwirtschaftliche Nutzfläche bis zum Feldmochinger See und den ersten lockeren Bebauungen von Feldmoching.

Das ursprüngliche Ludwigsfeld wurde ab 1802 als Kolonie zur Urbarmachung des Dachauer Mooses auf Veranlassung des damaligen bayerischen Kurfürsten Maximilian IV. Joseph entlang der damaligen Dachauer Straße gegründet. Dieses Siedlungsgebiet liegt heute durch den Bau des Rangierbahnhofs und durch den Umbau der Straßenführung der Dachauer Straße ebenfalls völlig abgetrennt und isoliert zum Stadtgebiet. Es ist aber noch stark landwirtschaftlich geprägt.

Blick nach Südosten, über Felder und Autobahn zum Fernsehturm

Blick nach Südosten, über Felder und Autobahn zum Fernsehturm

 

Die neue Wohnsiedlung

Die Wohnsiedlung Ludwigsfeld ist eine Neubausiedlung aus den 50er Jahren für Displaced People, d.h. Personen, die nach dem Krieg weder in ihre Heimat zurückkehren noch in andere Länder ausreisen konnten. Sie wurde am Stadtrand auf dem Gelände eines ehemaligen Außenlagers des KZ Dachau errichtet. Dieses Lager hatte u.a. die Funktion Arbeitskräfte (zwangsrekrutiert und Kriegsgefangene) für die Flugzeugmotorenwerke BMW auf dem jetzigen MAN Gelände bereitzustellen.

Diese Neubausiedlung wurde zur neuen Heimat für ca. 2908 zum großen Teil kriegstraumatisierte Personen aus ca. 30 Nationen, meist aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese zusammengewürfelte Gemeinschaft verschiedenster Ethnien, Nationalitäten, Glaubensrichtungen und politischer Richtungen hat sich, sicherlich auch unterstützt durch die städtische Randlage, zu einer multikulturellen Nachbarschaft entwickelt, die häufig mit einer relativ geschlossenen Dorfgemeinschaft verglichen wird. Viele der Glaubensrichtungen hatten eigene Versammlungsräume oder sogar Kirchen, jede Nationalität pflegte ihre spezifischen Traditionen und gleichzeitig entstanden gemeinsame Aktivitäten und es wurde gemeinsam gefeiert.

„Das gemeinsame Schicksal traumatischer Erlebnisse in der Zeit des Nationalsozialismus und des Verlusts der Heimat, aber auch die abgeschiedene Lage und Isolation der neuen Heimat am Stadtrand von München sowie die Ablehnung durch Teile der Bevölkerung der umliegenden Orte und Stadtbezirke führten dazu, dass sich unter den Bewohnern ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte.
So wuchs hier über nationale, konfessionelle und sprachliche Grenzen hinweg eine multiethnische, multikulturelle und multireligiöse Gemeinschaft zusammen, vor allem unter den Kindern und Jugendlichen der 2. und 3. Generation, die hier ihre Sozialisierung erlebten.“
(Zitat aus : Vom Ort der Verzweiflung zur Stätte der Hoffnung, Ewgenij Repnikov)

Die Siedlung war nach den damaligen Stadtplanungsvorstellungen als Zeilenbau mit viel Luft, Licht und Grünflächen und einer relativ autarken Versorgung mit Geschäften, Post, Arzt und Schule als eines der damals größten Bauprojekte in Bayern entstanden. Wohnungsgröße und Ausstattung entsprachen dem damaligen Nachkriegsstandard. Für TBC Erkrankte wurde ein besonderer Block mit Südbalkonen errichtet.
Durch eine Buslinie war die Siedlung an das Stadtgebiet angeschlossen.
Da der motorisierte Individualverkehr damals die Ausnahme war, sind die Straßen vergleichsweise schmal ausgelegt und ein Stellplatznachweis war damals nicht nötig.

Gefördert durch die gemeinsame Schule, eine aktive, gemeinsame Kultur- und Sportarbeit und die räumliche Abtrennung zum restlichen Stadtgebiet hat sich hier über die nachfolgenden Generationen ein beispielhaftes Gemeinschafts- und Heimatgefühl entwickelt.

Dadurch, dass das Finanzministerium des Bundes Eigentümerin der Anlage wurde, blieben die Mieten über lange Jahre auf einem vergleichsweise sehr niedrigen Stand. Das ermöglichte auch den nächsten Generationen in unmittelbarer Nähe ihrer Eltern eine bezahlbare Wohnung zu finden und die Bindung an ihre „Heimat“ zu erhöhen.

 

Erste Erweiterung

Erst Ende der 1990er Jahre gab es eine Erweiterung der Siedlung durch den Neubau von Eigentumswohnungen und Reiheneigenheimen auf der östlichen und südlichen Seite der Siedlung im Rahmen eines Demonstrativbauvorhabens im München Modell.
Diese vergleichsweise kleinteilige Erweiterung wurde von den Ludwigsfeldern anfangs durchaus als externen Eingriff in ihre Siedlung gesehen.
Nach mehr als 20 Jahren gehören die „neuen Wohnungen“ und die „neuen Reihenhäuser“ aber jetzt zur Siedlung Ludwigsfeld. Die neu hinzugezogenen schätzen das Ludwigsfelder Gemeinschaftsgefühl und die fehlende Anonymität einer Vorstadtsiedlung trotz der Defizite in Infrastruktur, Verkehrsanbindung und Lärmbelästigung. Die meisten Werbeaussagen des damaligen Bauträgers erwiesen sich als nicht eingelöste Versprechen. Es fehlte an Kita- und Hortplätzen, die Schule war in eine Förderschule umgewandelt worden, die Verkehrsanbindung bestand immer noch nur aus einer einzigen Buslinie nach Moosach und es gab nur eine eingeschränkte Versorgung in der alten Ladenzeile.

Randlage und Defizite

Diese Defizite wurden gegenüber der Stadt, dem Bund und dem BA 24 immer wieder thematisiert.
Erst nach langen Kämpfen und auf Initiative der Ludwigsfelder wurde 2003 (Linie 182) eine 2. Buslinie (heute 172) nach Feldmoching eingerichtet, die heute stark frequentiert ist.
Die starke Verkehrsbelastung durch den Pendler- und Ausweichverkehr von Dachau und Fürstenfeldbruck in Richtung Münchner Osten über die Ludwigsfelder und Kristallstraße wurde schon 1987 erkannt und eine direkte Entlastung durch das MAN Gelände zur Dachauer Straße projektiert. Die Stadt München hat es bis heute nicht geschafft diese 2009 beschlossene Planung in Kooperation mit der MAN durchzusetzen.
Die schlechte ÖPNV Anbindung macht es für die meisten Ludwigfelder notwendig die Arbeits- und Einkaufswege mit dem Auto zu bewerkstelligen. Forciert durch den Zuzug und eine geänderte Altersentwicklung entstand über die Jahre ein großes Parkplatzproblem. Da für die Wohnungen der alten Siedlung kaum private Stellplätze nachgewiesen waren und der Stellplatzschlüssel für die neuen Wohnungen mit „eins“ dem tatsächlichen Bedarf nicht entspricht, ist dieses Problem trotz diverser Gespräche und „runden Tischen“ mit Stadt und Eigentümer bis heute nicht wirklich gelöst.
Einwände der Ludwigsfelder gegen die steigende Lärmbelästigung durch Intensivierung der Nutzung bei MAN (Teststrecke) und MTU (Triebwerksprüfstand) und Autobahnerweiterung wurden mit Hinweis auf die gesetzliche Zulässigkeit nicht einschränkend berücksichtigt.

Verkauf an die Patrizia AG

Eine wegweisende Änderung fand im Januar 2007 durch den Verkauf der Siedlung, gegen den Widerstand der Ludwigsfelder, an die Patrizia AG statt. Und obwohl die Besitzerin; jetzt BImA genannt (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) die Siedlung der Stadt München zum Kauf angeboten hat, konnte sich die Stadt nicht durchringen die Siedlung zu einem Spottpreis zu kaufen und hier eigene stadtplanerische und wohnungspolitische Ziele zu verwirklichen. Trotz eines vergleichbaren, alternativen Angebotes eines privaten Unternehmens ging die Siedlung, mit inzwischen bald auslaufenden Sozialklauseln, an die Patrizia AG. Nach 10 Jahren wurde die Siedlung an die aktuelle Besitzerin die „Wohnungsgesellschaft Ludwigsfeld“ verkauft, deren Eigentümer und Geschäftsführer stark mit der Patrizia verwoben sind.
Auch wenn es für alte Mieter durch die Sozialklauseln Ausnahmen gibt, sind die Bestandsmieten Mieten im Durchschnitt bedingt durch Modernisierung, energetische Sanierung um das Dreifache und bei Mieterwechsel und Neuvermietung um mehr als das Vierfache gestiegen.

Die Interessengemeinschaft Ludwigsfeld (IGLU e.V.) und der Bewohnerbeirat suchten auch nach dem Eigentümerwechsel das Gespräch mit den neuen Eigentümern um auf die Besonderheit der Siedlung hinzuweisen und anstehende Probleme einvernehmlich zu lösen.
Auch mit der Stadt wurde versucht Kontakt aufzunehmen um u.a. das Parkplatzproblem im Rahmen eines zukunftsorientierten Gesamtkonzeptes zu lösen.
Noch am 5.4.2016 wurde auf eine Bürgeranfrage (im Zusammenhang mit dem Verkauf des so genannten „Liebel“ Geländes an einen Investor) nach den weiteren Planungskonzepten der Stadt für Ludwigsfeld und eine mögliche Beteiligung der Ludwigfelder geantwortet:

„Eine Änderung des Flächennutzungsplanes bzw. eine Erweiterung der angrenzenden Wohnbebauung ist nicht vorgesehen. Die Fläche wird weiterhin als Außenbereichsfläche definiert, in der nur ganz wenige außenbereichsverträgliche Vorhaben zulässig sind. Eine Bürgerbeteiligung ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht angezeigt“
(Zitat aus Antwort des Planungsreferates auf Anfrage in der Bürgerversammlung BA 24 am 16.4.2015)

Fast zeitgleich fanden die ersten Sondierungsgespräche zwischen der Stadt, der Wohnungsgesellschaft Ludwigsfeld und dem neuen Besitzer des „Liebl“ Geländes statt.

 

Entwicklungskonzept 2019

Mitte 2019 wird der Bezirksausschuss 24 völlig überraschend mit der sehr umfangreichen und detaillierten „Strukturuntersuchung Ludwigsfeld“ des Planungsreferats konfrontiert, zu der er innerhalb von 14 Tagen eine Stellungnahme abgeben soll.
Auf der Basis einer umfangreichen Standortanalyse, untermauert von Gutachten der Investoren wird eine mögliche Erweiterung der Siedlung um ca. 2100 Wohneinheiten als Basis für weitere Untersuchungen anschließend im Stadtrat mit der Regierungsmehrheit beschlossen.
Die im Stadtrat geforderte Bürgerbeteiligung findet als einseitige Präsentationveranstaltung der Investoren statt.
Die Investoren sind die Wohnungsgesellschaft Ludwigsfeld, die PG Granatstraße (Liebl Gelände)und die Büschlgruppe, die erst 2017 Ackerland zwischen Siedlung und Autobahn gekauft hat.

Während der Präsentationsveranstaltung und danach wurden fast 500 Unterschriften gesammelt, die sich insbesondere gegen die Dimension der geplanten Erweiterung wendet.
Diese Dimension der Siedlungserweiterung ist nur schwer vorstellbar und nimmt bei der Diskussion neben Parkplätzen, Supermärkten, Miethöhen, Lärmschutz und Verkehrsanbindung nur eine Nebenrolle ein, eben weil sie nur schwer fassbar ist und offiziell von einer behutsamen Siedlungserweiterung gesprochen wird.

Bebauungsdichte im Vergleich

Es stellt sich die Frage warum die geplante Bebauungsdichte (Anzahl Wohnungen zu Grundstücksfläche) im Entwicklungskonzept Ludwigsfeld in etwa doppelt so hoch ist wie die anderer vergleichbarer Planungsvorhaben im Münchner Norden:

(der Vergleich bezieht sich nur auf die Neubaufläche in Ludwigsfeld)

Entwicklungskonzept Ludwigsfeld (ohne Abzug der Fläche für die geplante Schule)

1400 Wohnungen (WE) auf einer Fläche von ca. 9,6 Hektar (96.500 qm)
Geschossfläche von ca. 140.700 m² (ca. 100,5 qm/WE aus Ratold/ Raheinstr.)
ca. 145 WE/ha (WE/ Grundstücksfläche)
GFZ von ca. 1,45 (Geschossfläche/Grundstücksfläche)

Bebauungsplan Ratold-/Raheinstr.:

900 Wohnungen (WE) auf einer Fläche von ca. 11,6 Hektar (116.000 qm)
Geschossfläche von 90.450 m² (ca. 100,5 qm/WE)
ca. 77,6 WE/ha (WE/ Grundstücksfläche)
GFZ von ca. 0,78 (Geschossfläche/Grundstücksfläche)

Wettbewerbsergebnis Eggarten:

1800 Wohnungen (WE) auf einer Fläche von ca. 21,5 Hektar (215.000 qm) (SZ 23/24.10.2021)
Geschossfläche von 180.900 m² (ca. 100,5 qm/WE aus Ratold/ Raheinstr.)
ca. 84 WE/ha (WE/ Grundstücksfläche)
GFZ von ca. 0,84 (Geschossfläche/Grundstücksfläche)

Eckdatenbeschluss Lerchenauer Straße (Feld):

1600 Wohnungen (WE) auf einer Fläche von ca. 23,8 Hektar (238.000 qm) (Eckdatenbeschluss)
Geschossfläche von 160.800 m² (ca. 100,5 qm/WE aus Ratold/ Raheinstr.)
ca. 67 WE/ha (WE/ Grundstücksfläche)
GFZ von ca. 0,68 (Geschossfläche/Grundstücksfläche)

Betrachtet man nur die Kernsiedlung aus den 50er Jahren mit aktuell ca. 680 Wohnungen, so sollen hier auf der gleichen Fläche noch einmal 700 Wohnungen durch Nachverdichtung und Überbauung bisheriger Grünflächen entstehen.

 

Bewohnerzahlen im Vergleich

Der Vergleich der aktuellen Gesamtbewohnerzahlen im Vergleich zum Planungsziel macht es vielleicht noch anschaulicher:
Aktuell gibt es in der Gesamtsiedlung ca. 800 Wohnungen mit ca. 1800 Einwohnern. Durch die Neubebauungen Ende der 90er Jahre (WEG Smaragdstraße und WEG Diamantstraße) und 2015 (WEG Kristallstraße) vergrößerte sich der Wohnungsbestand insgesamt um 152 Wohnungen und um ca. 350 Personen; das sind ca. 22%.
Das Planungskonzept sieht eine Erweiterung um 2000 Wohnungen mit ca. 5000 Einwohnern vor. Das ist eine Erweiterung um ca. 260% auf einer Fläche, die sich nur um ca. 30% erweitert.
Umgekehrt gerechnet werden nach der Baumaßnahme nur noch ca. 28% der Bewohner „Alt-Ludwigfelder“ sein.

Die Zahlen machen deutlich, dass eine jahrzehntelang vernachlässigte, historisch bedeutsame Siedlung am Stadtrand, auf dem Gelände eines ehemaligen KZ Außenlagers plötzlich zu einem Areal für einen, vergleichsweise gigantischen Wohnungsbau wird, wenn Investoren und Stadtpolitik, mit unterschiedlichen Motiven, ein gemeinsames Ziel verfolgen.

 

Dialog

Die Einsicht in die Planungsunterlagen musste mit sehr viel Energie erkämpft werden. Da die Gutachten von den Investoren in Auftrag gegeben und bezahlt worden waren, hat es erst der Hinweis auf das UIG (Umweltinformationsschutzgesetz) möglich gemacht, dass einzelne Personen, allerdings nur persönlich Einsicht nehmen konnten.
Coronabedingt konnten im folgenden keine Infoveranstaltungen im Präsenzformat durchgeführt werden. Die inhaltliche Auseinandersetzung fand in kleinsten Gesprächskreisen, vor Ort unter freiem Himmel, statt.
Der Stadtrat wurde von IGLU (Interessengemeinschaft Ludwigsfeld e.V.) durch offene Briefe über die Einwände der Bürger mehrfach informiert. Der Bürgermeister und das Planungsreferat wurden zur Stellungnahme zu den Fragen und Bedenken aufgefordert.
Alle Stadtratsparteien wurden zu Gesprächen nach Ludwigsfeld eingeladen um sich ein Bild vor Ort zu machen und um die Bedenken der Ludwigsfelder zu vermitteln. Die meisten sind dieser Einladung auch gefolgt

Die Investoren haben von Anfang an eine eigene Marketingfirma engagiert, die sehr geschickt mit eigener Internetpräsents und Imagekampanien Sympathiewerbung macht.
Probleme werden bagatellisiert und die Dimension der Planungsabsicht gar nicht zur Diskussion stellt.

 

Entwicklungskonzept 2021

Gleichzeitig arbeiteten die Investoren und das Planungsreferat an der Detaillierung des Strukturkonzeptes, in das dann die Bürgerwünsche aus Präsentation und Befragungen einfließen sollten, ohne das parallel irgendwelche Informationen an die Öffentlichkeit drangen.
Das „neue“ Konzept wurde den Bürgern ohne Vorabinformation im November 2021 in einer von der Stadt organisierten öffentlichen Versammlung präsentiert.
Das Konzept hat sich, entgegen den Einwendungen der Bürger und der lokalen Politiker, nicht grundlegend geändert. In der ersten Strukturuntersuchung wurde von 2100 Wohneinheiten gesprochen, jetzt wird eine Zahl von 2000 Wohneinheiten zu Grunde gelegt.
Viele Punkte wurden aber konkreter erläutert und durch die Veröffentlichung von Arbeitsstudien auch mögliche Bebauungsszenarien grafisch dargestellt.
Daraus wird die hohe und dichte Überbauung der neuen und alten Fläche deutlich.
In den Erläuterungsberichten wird vom innerstädtischen Charakter und von Identitätsstiftenden Orientierungspunkten durch Hochpunkte (z.B. 8-10 geschossigen Häusern) gesprochen.

Obwohl sich seit dem ersten Konzept viele Ludwigsfelder Bürger, der Bezirksausschuss BA 24, der Naturschutz und auch einzelne Stadtpolitiker gegen diese unmaßstäbliche Neubebauung (denn nur eine Erweiterung ist es bei diesen Dimensionen nicht mehr) gewehrt haben, wird keine Variante mit einer geringeren Zahl als 2000 Wohneinheiten als Arbeitsstudie erstellt.

Auch die im Zusammenhang mit der Bebauung kritisch hinterfragten Themen Lärmschutz, Natur- und Landschaftsschutz, Verringerung Grünflächenanteil/ Bewohner, öffentliche Verkehrsanbindung, Stellplatzprobleme und Stadtteilkultur- und Sozialarbeit werden in dem aktuellen Konzept zwar angesprochen aber in Form allgemeiner Aussagen und faktisch unbegründeter Versprechungen unverbindlich abgehandelt.
Die von den Investoren in Auftrag gegebenen Gutachten und Arbeitsstudien versuchen mit Unterstützung des Planungsreferates immer wieder nur die Unbedenklichkeit der angestrebten, für dieses Quartier unangemessen hohen Bebauungsdichte, zu begründen.

 

Vernachlässigung und Randlage

Ludwigsfeld als funktionierendes soziales Quartier in deutlicher städtischer Randlage wurde bisher jahrzehntelang in Bezug auf die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen (im städtischen Vergleich) sträflich vernachlässigt.
Die Qualität der Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist mehr an den Anforderungen des Berufsverkehrs orientiert als an einer attraktiven Versorgung der Ludwigsfelder. Ein Um- oder Teilumstieg vom Auto zu öffentlichen Verkehrsmitteln ist für die meisten nicht realistisch.
Car Sharing, MVG Leihfahrräder und Ladesäulen gibt es in Ludwigsfeld nicht. Das Glasfasernetz versorgt zwar MAN und MTU, liegt aber nicht in Ludwigsfeld.
Trotz lang bekannter Stellplatzprobleme gibt es hier keine städtischen Ansätze für eine Lösung.
Für die schon seit 1987 benannte Notwendigkeit einer Reduzierung der Verkehrsbelastung der Siedlung durch eine direkte Anbindung der Karlsfelder Straße an die Dachauer Straße
durch das MAN Gelände wird jetzt ein Baubeginn für 2024 versprochen.
Der berechtigte Wunsch nach einer Brücke über die Würm nach Karlsfeld für Fußgänger und Fahrradfahrer ist seit mehr als 10 Jahren in Planung.

Das Vertrauen, dass diese Baustellen, wie verspochen, mit der geplanten Verdichtung und Neubebauung zeitnah, realistisch und im Sinne der Ludwigsfelder gelöst werden, ist nicht mehr da.
Dagegen wird die ohnehin zu erstellende notwendige Infrastruktur bei einer solchen Neubebauung für die Ludwigsfelder durch eine erhöhte Lärmbelästigung, ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, ein erhöhtes Stellplatzproblem und eine eklatante Reduzierung des Grünflächenanteils/ Bewohner erkauft.
Das sich die sozialen Auswirkungen einer so dichten Bebauung in dieser Randlage (Getto) über privates Engagement wie in den 50er Jahren ausgleichen können, ist sehr fraglich.

Nicht nur dieser Aspekt vermittelt den Ludwigsfeldern den Eindruck, als hätte die Stadtplanung und die städtischen Entscheidungsgremien seit den 70er Jahren gar nichts dazu gelernt.

Demonstrationszug in Ludwigsfeld am 24.2.2022

Demonstrationszug in Ludwigsfeld am 24.2.2022

 

Die Ludwigsfelder haben ihren Protest gegen das Entwicklungskonzept in einer erfolgreichen Demonstration am 24. Februar 2022 deutlich gemacht. Sie wenden sich damit nicht gegen eine zukunftsorientierte und nachhaltige Erweiterung aber sie sind der Meinung, dass es auch eine Nummer kleiner ginge. Ein Konzept, das stärker die Besonderheit des Quartiers aufnimmt und für dessen Defizite auch zeitnah Lösungen findet. Außerdem müssen die Rahmenbedingungen für die Neubebauung und Verdichtung im Voraus verbindlich und realistisch festgelegt werden und mit der Fertigstellung der Bebauung abgeschlossen sein.

Autor:
Eberhard Sommer Architekt, Mitglied IGLU e.V.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 07./08./09.2022 zum Themenschwerpunkt “Münchens Stadtrand: bloßes Bauland oder mehr?”.

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