Eine Chance für München?

| Daniel Genée |

Wer Freiham vom S-Bahnhof aus besucht, muss erstmal tief Luft holen und sich in einem der größten Neubaugebiete Europas durch gewaltige Gewerbe-Baustellen kämpfen. Hat man diese passiert, steht man im Stadtteilzentrum am Mahatma-Gandhi-Platz. Auch hier wird derzeit noch gebaut, auch wenn schon viele Geschäfte geöff net haben. Hier werden auch einige Wohnungen entstehen, aber der meiste Wohnraum entsteht weiter nördlich. Wer dort angekommen ist und sich die vielen modernen Wohnprojekte anschaut, wird mit einer Stadtentwicklung konf rontiert, die in vielen Bereichen eine Chance für die weitere Entwicklung Münchens darstellen könnte.

Aber fangen wir von vorne an: Schon im Stadtentwicklungsplan von 1963 hat die Landeshauptstadt München kurzfristigen Bedarf für ein neues großes Neubaugebiet und mittelfristigen Bedarf für ein weiteres identifiziert. Zwei Orte hatte man damals im Blick: Neben Freiham war das Neuperlach. Bekanntlich hat mansich zunächst für Neuperlach entschieden und Freiham für zukünftige Perspektiven aufgehoben. Dennoch handelte die Stadt auch in Freiham und traf hier eine wegweisende Entscheidung, die die Entwicklung dieses neuen Stadtteils heute maßgeblich beeinflusst: Unter dem damaligen Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel wurde beschlossen, Stück für Stück Flächen in Freiham aufzukaufen. Eine nachhaltige Politik: Heute Geld in Flächen investieren, die morgen oder übermorgen benötigt werden. Damit hat die Stadt sich und dem Steuerzahler einen ordentlichen Haufen Geld gespart: Allein zwischen 2008 und 2022 haben sich die Baulandpreise in München verfünffacht (Quelle: statista.com ). Vor allem aber ermöglichte das der Stadt, auf die Entwicklung in Freiham deutlich mehr Einfluss zu nehmen, als dies im Rahmen eines Bebauungsplanes möglich ist. Ein entscheidender Schritt war die Weiterentwicklung der sogenannten Konzeptausschreibung für Grundstücke, die der Landeshauptstadt gehören. In Rahmen des Programmes „Wohnen in München“ entkoppelte die Stadt ihre Grundstückssauschreibungen vom Preiswettbewerb, hin zu qualitativen Kriterien. Durch diese Form der Grundstücksvergabe erhalten diejenigen Bieter den Zuschlag, die das überzeugendste Konzept vorlegen. Die Grundstücke werden zum Festpreis vergeben. Zu diesen qualitativen Kriterien gehörte schon seit längerem der vorgesehene Mietpreis. In Freiham kamen weitere Kriterien aus unterschiedlichen Bereichen hinzu: ökologisches und nachhaltiges Bauen, Soziales und Wohnformen. Die Kriterien werden nach Punkten gewichtet, der Bieter mit der höchsten Punktzahl erhält den Zuschlag. Dieses Verfahren eröffnete den Genossenschaften die Möglichkeit, in Freiham einzusteigen. Grundstücke rein nach Verkehrswert zu erwerben, war für sie keine Option, obwohl die Stadt 40% der Flächen für die Genossenschaften reserviert hatte.

Die Weiterentwicklung der Konzeptausschreibung hatte für Freiham konkrete Folgen: Nicht nur bei Genossenschaften entstehen innovative Wohnkonzepte, auch bei privaten Investoren oder der städtischen Wohnungsbaugesellschaft entstehen Gemeinschaftsräume, Mobilitätsstationen oder innovative Energiekonzepte. Selbst mit Artenschutz konnte man in der Ausschreibung punkten. So entstehen nun artenreiche Pflanzflächen ebenso wie Nisthilfen an Fassaden. Über die Konzeptausschreibung haben zumindest im ersten Realisierungsabschnitt Freihams diese qualitativen Kriterien den Sprung aus der Genossenschaftsszene herausgeschafft. Mit diesem Weg könnte also eine Perspektive gefunden sein, die den scheinbaren Gegensatz zwischen dem Bau von Wohnraum und der ökologischen und sozialen Entwicklung der Stadt befriedet.

Angesichts gestiegener Baukosten scheint aber offen zu sein, ob diese qualitativen Kriterien auch in Zukunft erfolgreich angewendet werden können. Eine Ausweitung von Kriterien kann zu Mehrkosten führen, die wiederum dem Ziel des preisgünstigen Wohnungsbaues entgegenstehen, der ja selbst wiederum Teil der qualitativen Kriterien ist. Hier stellt sich also eine grundsätzliche Herausforderung: den Erhalt und Ausbau günstigen Wohnraumes zu kombinieren mit einer klimagerechten, inklusiven und bei der Mobilität innovativen Stadtentwicklung. Und das alles bei leider weiter steigenden Grundstückspreisen, die den städtischen Haushalt belasten. Denn die Grundvoraussetzung für Konzeptausschreibungen bleibt: Die Stadt muss Grundstückseigentümer sein.

Stadterweiterung bedeutet in Freiham auch nicht nur einfach so ein Weiterbauen der Stadt. Freiham ist keine Ausdehnung des Nachbarviertels Neuaubing, das überwiegend Ende der siebziger Jahre entstand. Dann wäre Freiham eines der klassischen Stadtrandgebiete, in denen es meistens nicht einmal Car-Sharing-Stationen gibt. Freiham ist anders als Neuaubing: Das ist Chance und Herausforderung in einem. Chance, weil Mobilitätsverhalten und Energieversorgung aus den siebziger und achtziger Jahren in einer wachsenden Stadt nicht einfach fortgeführt werden können. Herausforderung, weil entscheidend ist, dass der neue Stadtteil kein Fremdkörper neben den bestehenden Vierteln wird. Die Gefahr ist natürlich latent vorhanden, wenn Stadtteile mit unterschiedlichen Lebenskonzepten nebeneinander existieren. Auch die große Anzahl der zukünftigen Bewohner*innen (25.000+) erschreckt viele Menschen in den Nachbarvierteln. Aber es gibt viele Ideen und Entwicklungen, die das Zusammenwachsen erleichtern und auch für die Nachbarn positive Effekte haben:

  • Die Schulbauten für den ersten Realisierungsabschnitt wurden bereits vor Einzug der ersten Menschen fertiggestellt und wurden von Anfang an unter anderem von Aubinger Schulen genutzt. Freihamer Kinder lernen also sofort Neuaubinger Kinder und mit ihnen hoffentlich auch deren Eltern kennen
  • Ein starkes Quartierszentrum mit einer ungewöhnlichen Anzahl sich gegenseitig befruchtender Einrichtungen zieht auch die Nachbarn nach Freiham: Dort finden sie ein Kulturzentrum, eine Stadtbibliothek, ein Familienzentrum, ein Bildungslokal, einen Gesundheitstreff, gastronomische Einrichtungen und Kindertagesstätten.
  • Ein Stadtteilmanagement arbeitet seit mehreren Jahren stadtviertelübergreifend in Freiham, Aubing, Neuaubing und Am Westkreuz.
  • Einmal im Jahr feiert Freiham ein großes Stadtteilfest, das auch immer wieder viele Neugierige aus den Nachbarvierteln anzieht, die Freiham und seine Bewohner*innen kennenlernen wollen.
  • Attraktive Grünflächen, die ausdrücklich für das neue und die alten Viertel angelegt sind, schaffen Räume, in den sich die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gut mischen können.
  • Große und kleine Veranstaltungsräume im Bildungscampus und bei den Genossenschaften bieten dem gesamten Stadtbezirk Orte für Aktivitäten.
  • Ein Badesee wird in einigen Jahren zusätzlich zu vielen neuen Grünflächen das Freizeitangebot verbessern.

Das bleibt die zentrale Herausforderung der Stadterweiterung: Nicht einfach nur vorhandene Lebensräume auszuweiten, sondern auch das Zusammenleben in der Stadt zu stärken. Die Planung von Stadt und Bauherren kann dafür gute oder schlechte Voraussetzungen schaffen. Letztlich sind die Menschen vor Ort und in der Nachbarschaft die finale Instanz, die daraus einen Erfolg oder Misserfolg macht. Die Erfahrungen der ersten Jahre machen große Hoffnungen, dass in Freiham Stadterweiterung gelingen kann. Schon jetzt gibt es dort eine engagierte Bürgerschaft, der ein soziales Zusammenleben wichtig ist und die sich auch kritisch-konstruktiv in die weitere Entwicklung des Stadtteils einbringt.

 

Der Autor:
Daniel Genée ist seit 2023 stellvertretender Vorsitzender des Programmausschusses des Münchner Forums.

 

Zum Weiterlesen:

Wer sich Freiham gerne unter fachkundiger Begleitung anschauen will: Auf der Internetseite https://www.freiham.de werden regelmäßig Termine für Führungen eingestellt.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 01./02./03.2025 Stadt und Dichte

 

Bildquellen:

  • Freiham vom S-Bahnhof aus: Michaela Schier
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