Für den Nachmittag des 1. Mai, Demonstration und Kundgebung des DGB waren da schon in das Familienfest auf und um den Marienplatz übergegangen, lud das Münchner Forum, wie schon seit einigen Jahren, zum Mai-Ausflug in die Stadtlandschaft ein. Vor zwei Jahren besuchte man die Flaucher-Insel, jene vom damaligen Bürgermeister Jakob von Bauer zur Mitte des 19. Jahrhunderts mit klar ausgesprochener sozialer Absicht durchgesetzte und geformte erste städtische Grünanlage, die ein modernes Parkpflegewerk nötig – und inzwischen auch erhalten – hat. Voriges Jahr ging es zur Theresienwiese, bei deren Gestaltung von Bezirksausschüssen und Bürgerinitiativen ein angemessenes Verhältnis kommerzieller und nichtkommerzieller Nutzung eingefordert wird. Dieses Jahr gab es etwas Neues: die Erfahrung des Weges.
Traditioneller Münchner Maiausflug mit Klaus Bäumler | Foto: Detlev Sträter

Traditioneller Münchner Maiausflug mit Klaus Bäumler | Foto: Detlev Sträter

Wer vom Hauptbahnhof zum Englischen Garten will, kann die Strecke auch zu Fuß und – man glaubt es kaum – weithin durchs Grüne zurücklegen. Die kleine Stadtwanderung führte vom „Ring-Denkmal“, das am westlichen Eingang zum Alten Botanischen Garten steht, in den Finanzgarten, der dem Englischen Garten vorgelagert ist und jetzt, nach der Abwehr der Überbauung durch einen Konzertsaal, eine Aufwertung erfährt.

Die Strecke führt an einer Fülle geschichtlicher Merkzeichen vorbei. Klaus Bäumler, stellv. Vorsitzender des Programmausschusses des Münchner Forums und Leiter des Arbeitskreises Öffentliches Grün, der die schöne Kunst des Lehrvortrags im Freien, im Gehen und im Verweilen an markanten Orten beherrscht, musste eine Auswahl treffen; und in diesem Bericht kann erst recht nur angedeutet werden, was alles zur Sprache kam und an weiterführenden Gedanken ausgelöst wurde.

Hauptbahnhof und Justizpalast stehen für die Einführung einer modernen Staatsverwaltung und den verkehrstechnischen Anschluss des Landes an die Welt. Mit dem großartigen Wittelsbacherbrunnen am Lenbachplatz feierte die Landeshauptstadt kunstsinnig die Einrichtung von zentraler Wasserver- und Abwasserentsorgung. Die Anlage von lehrreichem botanischen Garten und erholsamem Park zeigt, wie Wissenschaft und Gefühl für Naturprozesse sich verbinden können. Und, und, und.

Aktuell und politisch wichtig ist die Erinnerung, dass es bei der Entwicklung der modernen Stadt zu jedem Zeitpunkt Menschen und Initiativen gebraucht hat, denen die Gestaltung der Straßen, Plätze und Freiflächen als Ort der Begegnung von Menschen mit Menschen und von Mensch und Natur wichtig und der Gesichtspunkt der optimalen Verwertung der Immobilien und Standorte nicht Alles war. Unbequem für Wirtschaft und Politik, denn das braucht Fläche, die sich auch verwerten ließe, auf der Profite generiert werden können und eventuell auch Steuern und Abgaben.

Der breite Streifen „unverwerteter“ Fläche, der sich – mit Unterbrechungen – vom Hauptbahnhof bis zum Englischen Garten durchzieht, zeugt vom Kräftemessen zwischen einseitigen Verwertungsin-teressen und bürgerschaftlichem Engagement.

Klaus Bäumler am Denkmal von Karl von Effner | Foto: Detlev Sträter

Klaus Bäumler am Denkmal von Karl von Effner | Foto: Detlev Sträter

Bürgersinn, Interesse am Mitmenschen und Verantwortung vor der Geschichte haben auf diesem Weg Spuren hinterlassen. Das Kinderspielhaus am westlichen Eingang zum Alten Botanischen Garten stiftete 1947 Dr. Fritz Kraft zum Gedenken an seine Tochter, die sich 1943 im Alter von 29 Jahren das Leben nahm, weil sie den „Arier-Nachweis“ nicht erbringen konnte. An der Errichtung des Hauses wirkten Soldaten der US-Army in ihrer Freizeit mit.

Untergegangen ist ein Mahnzeichen, das gleich nach dem Ende des NS-Regimes am ehemaligen „Gestapo-Garten“ angebracht wurde; noch im Februar 1945 waren hier sieben sog. Ostarbeiter umgebracht worden. Ein wenn auch verborgenes Dasein führt die Gedenktafel im heutigen Innenhof des Landwirtschaftsministeriums, die an die Ermordung von fünf Mitgliedern der Aktion freies Bayern erinnert. Erst nach langwierigen politischen Auseinandersetzungen konnte auf Initiative des Bezirksausschusses Maxvorstadt 1984 die Tafel endlich angebracht werden.

Es war schon ein Erlebnis zu hören, wie entlang des Wegs Geschichte lebendig werden kann, und zu begreifen, dass das nur funktioniert, weil diese Kette von Zeichen im öffentlichen und schön gestalteten Raum zugänglich ist, jederzeit von allen gesehen, interpretiert und diskutiert werden kann. – Es wäre eine Überlegung wert, wie mit den Mitteln der modernen Datentechnik der Hintergrund der Denkwürdigkeiten entlang des Wegs leichter zugänglich gemacht werden könnte.

Innenhof des Landwirtschaftsministeriums  | Foto: Detlev Sträter

Innenhof des Landwirtschaftsministeriums | Foto: Detlev Sträter

Zum Schluss: Man kann also die Strecke vom Hauptbahnhof bis zum Englischen Garten auf einer grünen Trasse zu Fuß zurücklegen, auf erholsame Weise vorwärtskommen, und, wenn Zeit ist, auch Orte zum Verweilen finden. Vorhandene Hindernisse und Störfaktoren ließen sich mit relativ geringem Aufwand entschärfen.

Wir finden hier eine Kombination von funktionalem Weg (zügig von A nach B) mit einem Erlebnis- und Erholungsraum vor. Die Kulturdenkmale am Wege können Interesse wecken, die Gestaltung der Trasse als Park und Garten macht ein Aufatmen möglich. Neben dem Netz der Straßen für den motorisierten Individualverkehr und über dem hocheffizienten Netz der Massenverkehrsmittel im Untergrund sehen wir die Chance für etwas Neues: Ein Teilstück eines grünen Wegenetzes, das die Räume der Stadt durch Fuß- und behutsam genutzte Radwege verbindet.

Wenn zu politischen Veranstaltungen die Kinder mitkommen sollen, wird es schon mal schwierig: Drei Stunden Vortrag! Anders bei diesem Weg durch die reiche Kultur- und Naturlandschaft. Dass die Kinder, die dabei waren, die Wanderung spielend begleiten konnten, belegt, so eine Teilnehmerin, wie kaum etwas anderes den sozialen und kulturellen Wert dieses grünen Wegs durch die Stadtlandschaft.

Martin Fochler

Bildquellen:

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