Gilt auch für die Stadtnatur

| Irene Gronegger |

Das EU-Parlament stimmte im Februar 2024 für den f inalen Entwurf des Renaturierungsgesetzes, oder wie es ausführlich heißt: EU-Verordnung für die Wiederherstellung der Natur. Der Rat der EU-Umweltminister hat die Verordnung im Juni mit nur knapper Mehrheit beschlossen, da die Österreicherin Leonore Gewessler überraschend dafür stimmte, statt sich wie erwartet zu enthalten.

In Deutschland ist die Verordnung seit Mitte August 2024 in Kraft. Sie definiert Ziele für verschiedene Lebensraumtypen, darunter sind Wälder, landwirtschaftliche Ökosysteme, Flüsse und Auen, aber auch die Natur in der Stadt. Nun sind die EU-Staaten verpflichtet, nationale Wiederherstellungspläne auszuarbeiten und deren Umsetzung zu überwachen, auch begleitende Forschung ist vorgesehen.

Der mehrstufige Zeitplan ist für alle Ökosysteme ähnlich und reicht bis zum Jahr 2050. Das Vorhaben ist ambitioniert, weil teils hohe Anteile der vorhandenen Flächen renaturiert oder aufgewertet werden sollen. Das soll Ökosysteme auch widerstandsfähiger gegen den Klimawandel machen.

Stadtnatur als kommunales Thema

Ein eigener Artikel der Verordnung gilt der Wiederherstellung städtischer Ökosysteme. Sie sind definiert als „Gesamtfläche von Bäumen, Büschen, Sträuchern, dauerhafter krautiger Vegetation, Flechten und Moosen sowie Teichen und Wasserläufen in Städten oder in kleineren Städten und Vororten“ (Definitionen finden sich in Artikel 3 der Verordnung). Diese Vegetation lässt sich grob in Grünflächen und Gehölze einteilen.

Für viele Lebensräume gibt es ausführende Ämter hinunter bis zur Bezirks- oder Kreisebene, die sich bereits um manche Renaturierung kümmern, zum Beispiel in der Wasserwirtschaft und im Wald. Bei der Stadtnatur wird es vor allem die Aufgabe der Städte sein, die Verordnung direkt in ihren Siedlungsgebieten umzusetzen, besonders hinsichtlich der Vegetation.

Kein Verlust an Bäumen und Grünflächen

Erstes Ziel für die städtische Natur ist, dass auf nationaler Ebene bis zum Jahr 2030 kein Nettoverlust an städtischen Grünflächen und an Baumüberschirmung eintritt. Laut Verordnung ist das Jahr 2024 die Vergleichsbasis, und die Daten für das Monitoring existieren bereits: Der Copernicus-Landüberwachungsdienst aus dem Weltraumprogramm der EU wird die Veränderungen beobachten.

Für die Auswertung und die nationale Bilanz zählen also nur tatsächliche Zustände und messbare Veränderungen auf erfassten Flächen. „Kommunale Zuweisungen, wie aus der Bauleitplanung, spielen dabei keine Rolle“, schreibt eine Sprecherin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN). Auch verwilderte Gewerbeflächen, Brachflächen und dergleichen können grundsätzlich zur Stadtnatur zählen, wenn ihr Bewuchs den Kriterien entspricht. Eine spätere Überbauung solcher Flächen würde die Grünflächen-Bilanz der Kommune wieder verschlechtern. Ein aktuelles Beispiel: Der alte Eggarten ist im Flächennutzungsplan als Bahn- und Gewerbegebiet dargestellt, tatsächlich ist er eine verfallene Gartensiedlung, die nur gering versiegelt ist und eine hohe Artenvielfalt hat (siehe www.biotop-eggarten.de).

Natur erobert Garten zurück (Marderstraße, Ende November 2024)

Natur erobert Garten zurück (Marderstraße, Ende November 2024)

Kriterium „Baumüberschirmung“

Die Baumüberschirmung soll ab 2031 einen steigenden Trend verzeichnen. Dann kommt es zusätzlich zur nationalen Gesamtbilanz auch auf die einzelne Stadt an. Benachbarte Kommunen in städtischen Regionen könnten aber auch gemeinsam ein städtisches Ökosystemgebiet bilden, zum Beispiel im Landkreis München. Inwieweit Kommunen tatsächlich zur Umsetzung der Verordnung verpflichtet werden können, muss laut BfN noch geklärt werden.

Ersatzpflanzungen werden nicht reichen

Es ist schon absehbar: Um den Anteil der Baumüberschirmung in der Stadt zu erhalten und zu vergrößern, reichen die Regeln aus der Münchner Baumschutzverordnung nicht aus. Es wird auch nötig sein, alten Baumbestand besser zu schützen. Die Stadt wendet ihre eigene Verordnung nach dem Prinzip „Baurecht vor Baumschutz“ an und bekennt sich unverblümt dazu: Die zitierte Aussage fiel im Februar 2024 im Alten Rathaus, als der Entwurf für die Neufassung der Baumschutzverordnung öffentlich vorgestellt wurde.

Wegen solcher Prioritäten ist die Baumbilanz der Stadt seit Jahren negativ, das jährliche Minus ist vierstellig. Aber auch korrekte Ersatzpflanzungen brauchen Jahrzehnte, bis sie einen gefällten alten Baum tatsächlich ersetzen, was die Überschirmung und erst recht seinen ökologischen Wert angeht: Eine 80 Jahre alte Linde kann man nicht neu einplanen und bei der Gärtnerei bestellen.

München ist selbst in der Pflicht

Der Klimawandel bringt zwar mit sich, dass das Wetter chaotischer wird. Doch immerhin ist München durch die Nähe zu den Alpen und die vergleichsweise häufigen Sommergewitter deutlich begünstigt, wenn man es mit trockenen Gebieten in Teilen Frankens oder Ostdeutschlands vergleicht. Solche Regionen werden kaum imstande oder bereit sein, bis 2030 alle Baumverluste auszugleichen, die München für seine Bauvorhaben in Kauf nimmt.

Daher sollte München nicht nur junge Bäume pflanzen, sondern auch seinen gewachsenen Baumbestand mehr schätzen und konsequenter schützen. Es geht jetzt darum, grüne Innenhöfe der inneren Stadtbezirke und Gartenstädte zu bewahren, statt Nachverdichtungen als unvermeidlich hinzunehmen. Mögliche Wege wären, das Bauliniengefüge gewachsener Stadtviertel zu überarbeiten, Grünverbindungen und Frischluftschneisen konsequent von Bebauung freizuhalten und eine neue Gartenstadtsatzung zu entwickeln.

Landwirtschaftliche Ökosysteme

Teile des Stadtgebiets sind landwirtschaftlich genutzt. Hier ist die EU-Verordnung recht flexibel: Je nachdem, was besser passt, können Flächen der städtischen Natur oder einem anderen Ökosystem zugewiesen werden. Der Artikel zu landwirtschaftlichen Ökosystemen setzt Ziele für Feldvögel und Grünlandschmetterlinge, aber auch für den Kohlenstoffvorrat der Böden – Stichwort Humusaufbau. Es geht nicht nur um Natur- und Klimaschutz, sondern auch darum, Erträge langfristig zu sichern.

Für organische Böden in entwässerten Moorgebieten gilt, dass sie in erheblichem Umfang wiedervernässt werden sollen. Entwässerungsgräben in Niedermooren gibt es auch im Münchner Stadtgebiet. Die EU-Verordnung verpflichtet aber niemanden, Flächen in Privateigentum zu vernässen: Es ist die Aufgabe der Mitgliedstaaten, Anreize für Renaturierungen zu schaffen und dazu passende Nutzungen zu fördern. Die Wiederherstellung der Ökosysteme soll außerdem wissenschaftlich begleitet werden.

 

Die Autorin:
Irene Gronegger studierte Geographie, Bodenkunde, Landschaftsökologie und -planung in München und Wien. Die Geographin schreibt über Umwelt und Naturschutz, Wissenschaft und Gesundheit.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 01./02./03.2025 Stadt und Dichte

 

Bildquellen:

  • Der verwilderte Eggarten Ende Oktober 2024: Stadtgrün laut EU-Verordnung (Daxetstraße): Irene Gronegger
  • Natur erobert Garten zurück (Marderstraße, Ende November 2024): Irene Gronegger
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