| Elisabeth Merk |
Seit 2020 gilt als Leitbild für europäische Stadtentwicklung die Neue Leipzig Charta: die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl. Die Charta rückt die Stärkung der Gemeinwohlorientierung in den Städten in den Fokus der Stadtpolitik. Auch die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung fordert in ihrer „Berliner Erklärung“ eine Reform bei der Nutzung von Grund und Boden zu Gunsten des Gemeinwohls. Was bedeutet das für die Stadtplanung in München? Einer Stadt, die bei allen Umfragen zur beliebtesten und lebenswertesten Stadt zuverlässig auf den oberen Plätzen landet. Doch München ist nicht nur ein attraktiver Wohnort, sondern eben auch eine Stadt, in der die Nachfrage nach Wohnraum seit Jahren das Angebot übersteigt.
Wohnraum für alle
Wohnraum ist nicht nur knapp, vielmehr sind die Preise meist für mittlere Einkommen kaum mehr bezahlbar.
Doch Wohnen soll erschwinglich für alle bleiben. Mit dem wohnungspolitischen Handlungsprogramm „Wohnen in München“ gibt die Stadt seit über 30 Jahren Antworten auf diese Herausforderung. Insbesondere die Programme des geförderten und preisgedämpften Mietwohnungsbaus, werden kontinuierlich weiterentwickelt und vereinfacht.
Wohnen in München
Die sechste Fortschreibung des wohnungspolitischen Handlungsprogramms, Wohnen in München VII, beinhaltet angesichts gestiegener Baukosten, Bauzinsen und Materialpreise und des enormen Bedarfs an bezahlbarem Wohnraum ein Finanzvolumen von zwei Milliarden Euro an städtischen Mitteln für die Jahre 2023 bis 2028. Das bedeutet mehr als eine Verdopplung gegenüber dem Vorgängerprogramm. Damit ist Wohnen in München VII das finanzstärkste kommunale Wohnungsbauprogramm in Deutschland.
Obwohl es nicht alle Probleme löst, verbessert es Jahr für Jahr unsere Wohnungsmarktsituation deutlich. Damit geht es uns im Vergleich wesentlich besser als anderen Großstädten.
Es gibt rund 210.000 fertiggestellte Wohnungen – davon 45.000 geförderte Wohnungen – seit Einführung von „Wohnen in München“, 74.600 Wohnungen liegen im Bestand der Landeshauptstadt München und ihrer Wohnungsbaugesellschaften.
Mit dem erhöhten Einsatz von Fördergeldern unterstützt die Stadt alle, die geförderte Wohnungen bauen – sei es auf städtischen Flächen, die in Erbpacht vergeben werden, sofern sie nicht durch eigene Wohnungsbaugesellschaften bebaut werden, oder auf privaten Flächen, die im Wege der Baurechtschaffung der Sozialgerechten Bodennutzung unterliegen.
Die Münchner Mischung
Das Konzept der Stadt, die „Münchner Mischung“ sorgt für eine sozial gerechtere Situation auf dem Wohnungsmarkt.
Drei Modelle versorgen verschiedene Bedürfnisse. Auf städtischen Flächen entstehen bis zu 30 Prozent Wohnungen für einkommensschwache Haushalte in der „Einkommensorientierten Förderung“. Weitere 30 Prozent werden im „München Modell“ bebaut und richten sich an Haushalte mit mittlerem Einkommen, vor allem an Familien.
Mit 40 Prozent steht der größte Anteil für den „Konzeptionellen Mietwohnungsbau“ und damit für all diejenigen zur Verfügung, die zwar über der Einkommensgrenze für eine geförderte Wohnung liegen, sich aber auf dem angespannten Münchner Wohnungsmarkt trotzdem schwertun, eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Ein Mehrwert für Quartiere: die Münchner Genossenschaften
Die Nachfrage nach genossenschaftlichem Wohnen ist hoch. Aktuell gibt es in München rund 60 Wohnungsgenossenschaften, seit 2015 allein 20 Neugründungen. Stadtweit gibt es rund 44.000 Genossenschaftswohnungen. Die Genossenschaften schaffen nicht nur bezahlbaren Wohnraum, sondern kurbeln das Leben in Quartieren an: durch Gemeinschaftsräume, Sharing-Konzepte oder gar einer eigenen Quartiersgenossenschaft, wie sie erstmalig im Prinz Eugen Park entstanden ist. Auch werden die genossenschaftlichen Projekte vielerorts mit Preisen ausgezeichnet. Neben vielen weiteren Beispielen leistet das genossenschaftliche Wohnprojekt „San Riemo“ in Riem einen wichtigen Beitrag zur Baukultur.
Teuerungsausgleich für den Konzeptionellen Mietwohnungsbau
Die Krise im Bausektor ist auch bei den Genossenschaften deutlich spürbar. Damit die Projekte trotz der aktuellen Preissteigerungen angegangen werden können, erhalten Genossenschaften frischen Rückenwind, um den Weg aus der Baukrise zu finden:
Die Stadt plant als Unterstützung einen befristeten Teuerungsausgleich. Neben den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und privaten Dritten sollen mit dem befristeten Teuerungsausgleich insbesondere Wohnungsgenossenschaften unterstützt werden, die seit Jahren durch ihre günstigen Mieten und dem nachbarschaftlichen Engagement zum Erhalt lebenswerter Wohnquartiere beitragen.
Der zielgruppenorientierte Wohnungsbau bezieht Werkswohnungen, Azubiwohnungen, Mehrgenerationenwohnen und die Erstellung von Flexi-Heimen zur vorübergehenden Unterbringung von wohnungslosen Haushalten mit ein. Außerdem ist eine Aktivierung der Genossenschaften und Neugründungen in München und der Region durch die externe Beratungsstelle „mitbauzentrale“ wichtig. Bürger*innen die sich für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt interessieren, können sich bei der mitbauzentrale beraten lassen.
Für Azubis und Senior*innen hat der Stadtrat zudem bereits im Januar 2022 ein eigenes Programm aufgelegt („Bezahlbares Wohnen und Leben“ mit 100 Mio. Euro pro Jahr.). Allein für die Auszubildenden bedeutet das 1.000 Wohnungen bis 2025.
Mieten verträglich halten
Für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und GEWOFAG und den Wohnungsbestand der Landeshauptstadt München hat der Stadtrat einen Mietenstopp auf fünf Jahre beschlossen. Dies bedeutet, dass bis Ende Juli 2024 die Kaltmieten für die Bewohner*innen der GWG und GEWOFAG „eingefroren“ sind und nicht erhöht werden. Die Modernisierungsumlage wurde bei städtischen Wohnungen von den zulässigen 11 Prozent auf 5 Prozent reduziert.
Neubau und Bestand
Die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum kann nicht durch den klassischen Wohnungsneubau allein bedient werden. Auch die Flächenknappheit ist eine Herausforderung in München und fordert kreative Ideen.
Die Nachverdichtung und Flächenmobilisierung zum Beispiel durch Parkplatzüberbauungen oder die Kooperation mit Discountern, die über der Verkaufsfläche Potential für Wohnraum bieten können, sind nur einige davon. Gleichzeitig steigert die Stadt ihren Bestand an Flächen durch Ankauf von Flächen. Außerdem verkauft die Stadt keine Wohnungsbauflächen, sondern vergibt diese nur im Erbbaurecht. Dabei gibt es seit Jahrzehnten keinen Preiswettbewerb auf die städtischen Grundstücke, sondern das beste Konzept zählt.
Als eine der ersten deutschen Kommunen stellt die Landeshauptstadt München sektorale Bebauungspläne auf, die mit der Änderung des Baugesetzbuches möglich sind. So ist auch bei diesen Flächen sichergestellt, dass der Boden sozialgerecht genutzt wird.
Die Stadt schöpft auch weiterhin alle rechtlichen Möglichkeiten zur Sicherung und zum Schutz bestehenden Wohnraums aus. Dies geschieht unter anderem durch den konsequenten Vollzug der Zweckentfremdungssatzung oder die Schutzvorschriften in den bereits 36 Münchner Erhaltungssatzungsgebieten.
Der Nachhaltigkeitsfaktor
Ziel ist es, unter Berücksichtigung aller Bedarfe, auf klimaneutrales Bauen zu setzen. Abgesehen von dem geforderten EH40-Standard wird die Förderung von Holzwohnungsbauprojekten mit dem neu aufgelegten Zuschussprogramm „Holzwohnungsbau in München“ weiter gefördert. Bei allen geförderten Wohnungsbauprojekten und auf Flächen der Landeshauptstadt gilt der „ökologische Kriterienkatalog“.
Zusammenspiel der Akteur*innen
Jedoch kann die herausfordernde Aufgabe, die Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen, nicht im Alleingang gelöst werden. Die Kooperation der Stadt München mit anderen Akteur*innen auf dem Wohnungsmarkt, wie den freien Wohnungsbauunternehmen, den verschiedenen Verbänden, den Genossenschaften, den Mietshäusersyndikaten und den Kommunen in der Region, ist wichtiger denn je auf dem Weg zu einer gemeinwohlorientierten Zukunft der Stadt.
Autorin:
Prof. Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk, Architektin, ist seit 2007 Stadtbaurätin von München. Nach freiberuflicher Tätigkeit sowie einem weiterführenden Studium in Florenz war sie 1995-2000 in München und Regensburg verantwortlich für Stadtgestaltung, städtebauliche Denkmalpflege und Sonderprojekte. 2000-2005 leitete sie das Stadtplanungsamt in Halle/Saale. Elisabeth Merk war 2005-2007 Professorin an der HfT Stuttgart, ist dort seit 2009 Honorarprofessorin, von 2015-2022 Präsidentin der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung und seit 2020 Honorarprofessorin an der Technischen Universität München.
Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 1./2./3.2023 zum Themenschwerpunkt „Gemeinwohlorientierter Wohnungsbau“.
Bildquellen:
- Genossenschaftliches Wohnprojekt San Riemo der Kooperative Großstadt: LHM
- Dachgarten San Riemo: LHM
- Gemeinschaftsraum San Riemo: LHM