| Rolf Katzendobler |

Unsere Landkreisgemeinden stehen unter einem enormen Siedlungsdruck. Die über Jahrhunderte gewachsenen Ortskerne drohen, ihr Gesicht zu verlieren. Anhand von drei Beispielen möchte ich in diesem Beitrag Ortskerne am südöstlichen Münchner Stadtrand vorstellen:  

 

Grasbrunn und Putzbrunn

Die Ortschaften Putzbrunn und Grasbrunn im Landkreis München sind seit dem 10. bzw. 11. Jahrhundert urkundlich nachweisbar. Kennzeichen – darauf deutet das Suffix „-brunn“ – ist das fehlende Oberflächenwasser. Der Grundwasserspiegel liegt hier bei etwa 21 Metern. Ein Brunnen war für das Dorf also essentiell.

 

Interessant ist, dass die Kirchen – sowohl in Putzbrunn als auch in Grasbrunn – nicht im eigentlichen Dorfzentrum liegen. Besonders ausgeprägt sehen wir dies in Grasbrunn. Nordwestlich vom eigentlichen Zentrum steht die Filialkirche St. Ulrich, ursprünglich sicherlich eine Eigenkirche. Der zugehörige Zehentmeier-Hof liegt unmittelbar südlich des Sakralbaus.

Mitten durch Putzbrunn, entlang der Nord-Süd-Straße verlief gleichzeitig die Gerichtsgrenze. Der Westen des Ortes gehörte zu Wolfratshausen, die Höfe östlich davon zum Land- und Pflegegericht Schwaben (heute: Markt Schwaben im Landkreis Ebersberg) und damit zur Hauptmannschaft Grasbrunn. Dies ist ein Zeichen, dass es sich um eine Altstraße handelt. Diese Zweiteilung finden wir auch in Höhenkirchen vor.

Vollständig verändert hat sich das Zentrum Putzbrunns in den 1970er Jahren. Die baumbestandene Glonner Straße, zwischen dem Maibaum und der Kirche St. Stephan, wurde ihrer mittig angelegten einreihigen Allee beraubt. Heute zieht sich ein breites Teerband durch den Ort. Historische Anwesen wurden zum Teil durch gesichtslose Geschäftsbauten ersetzt. Die Apotheke mit Waschbeton-Balkonbrüstungen repräsentiert den typischen Baustil der 70er Jahre. Vor dem Gebäude stehen Betontröge mit Koniferenpflanzungen. Der „Huberwirt“ musste 1993 dem Parkplatz für das neue Kirchenzentrum weichen.

Putzbrunn, Glonner Straße

Putzbrunn, Glonner Straße

 

Charakteristisch sind die ehemaligen, sehr dicht angeordneten, Bauernhöfe auf der Westseite des Grasbrunner St.-Ulrich-Platzes. In einer Ausbauphase entstand diese enge Bebauung. Die Gebäude sind unmittelbar an der nördlichen Grundstücksgrenze angeordnet. Das, unter Denkmalschutz stehende, ehemalige Bauernhaus am St.-Ulrich-Platz 8 repräsentiert noch den, bis in das 19. Jahrhundert vorherrschenden, typischen Bautyp des Dachauer Hauses. Der Hof war im Besitz der sehr angesehenen Familie Kotter. Sie stellten über Jahrzehnte den Vorsteher bzw. Bürgermeister.

Ursprünglich waren die Grasbrunner und Putzbrunner Wohnhäuser, zum Teil bis in die 1960er Jahre, nur eingädig (= eine erdgeschossige Bebauung) ausgeführt. Der Zugang dieser strohgedeckten Steildachhäuser erfolgte ausschließlich über die Traufseite. Der Grasbrunner Großbrand in Jahre 1834 beendete die Periode der Strohdeckungen.

Grasbrunn. St.-Ulrich-Platz (Westseite)

Grasbrunn. St.-Ulrich-Platz (Westseite)

 

Der Münchner Südosten liegt im unmittelbaren Übergangsbereich zweier Hauslandschaften: Südlich und östlich der beiden erwähnten Dörfer dominierte bereits das sogenannte „Tiroler Dach“. Als Beispiele sollen Harthausen (Gemeinde Grasbrunn) und Siegertsbrunn erwähnt werden. Das Steildachhaus ist hier völlig unbekannt. Das flache Dach wurde einst mit Legschindeln gedeckt.

Viele historische Gebäude mussten bereits weichen. Ursprünglich standen östlich des Grasbrunner St.-Ulrich-Platzes, analog zum westlichen Platz, ebenfalls Bauernhöfe. Diese, in der typischen Ost-West-Richtung angeordneten, Höfe waren jedoch hier mit dem Kopfbau nach Westen hin situiert. Üblicherweise standen unsere Bauernhäuser, vom Wetter abgewandt immer im Osten. Westlich davon schlossen sich Stall und Stadel an.

Der Abbruch des erst 1906 entstandenen Schlösslwirts in Grasbrunn erfolgte 1973. Die im Stil eines Schlösschens mit Zinnen und Erkern errichtete Gaststätte stünde heute sicher unter Denkmalschutz. Im kommenden Jahr soll der erst 1974 eröffnete „Grasbrunner Hof“ bereits wieder abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt werden. Eine wenig nachhaltige Planung.

 

Keferloh

Eine völlig andere Entwicklung machte der Weiler Keferloh durch. Seit Mitte des 12. Jahrhunderts gehörten die beiden Bruderhöfe zum Prämonstratenserstift Schäftlarn. 1140 hatte Bischof Otto I. von Freising Ursberger Chorherren nach Schäftlarn geholt. Keferloh war um 1158, parallel mit München, entstanden. Als Ausgleich für verlorene Besitzungen, in der neu gegründeten Stadt, erhielten die Schäftlarner, in einem komplizierten Tauschgeschäft, u. a.  Besitzungen in Keferloh und Grasbrunn. Die Keferloher Kirche liegt zwischen den beiden Höfen Baur und Schweinhammer, unmittelbar nördlich der ehemaligen Salzstraße von Salzburg nach München.

Die Kirche St. Aegidius am ehemaligen Hallweg (Salzstraße)

Die Kirche St. Aegidius am ehemaligen Hallweg (Salzstraße)

 

Die Salzstraße war 1158, im Zuge der Verlegung nach Süden, von Oberföhring nach München, über Zorneding, Keferloh, Haidhausen und den Gasteig geführt worden. Der Bischof hatte das Nachsehen. Parallel dazu wird wohl der Keferloher Viehmarkt entstanden sein. Dass der Pferdemarkt schon seit 955, wie oft behauptet, nach der Schlacht auf dem Lechfeld existierte, ist nicht belegt. Gleichzeitig errichteten die Freisinger Baumeister, die noch heute sehr beeindruckende romanische Kirche

St. Aegidius. Sicherlich hatte hier Herzog Heinrich der Löwe seine Hände im Spiel. Dieses Patrozinium finden wir ebenfalls z. B. in der von ihm begründeten Hansestadt Lübeck (Tilgenkerk). Da Keferloh bis zur Säkularisation, knapp 650 Jahre, ausschließlich in den Händen von Schäftlarn geblieben war, entstanden hier keine weiteren Höfe.

 

Die geplante Unterschutzstellung des historischen Bauernhauses Haus Keferloh Nr. 1 unterblieb bei der Erstellung der Denkmalliste. Kreisheimatpfleger Fritz Lutz hatte sich 1981 vergeblich engagiert. Leider wurde zur Jahrtausendwende dieser „beim Schweinhammer“ genannte Hof abgebrochen und durch einen belanglosen Büroneubau ersetzt. Das Bürohaus reicht nun – völlig unverständlich – mit seinem mit Glas überdachten Ladehof und Abfallcontainern, direkt an die historische Kirche heran. Eine Thujenhecke soll den romanischen Bau vom Betriebshof optisch abtrennen.

 

St. Aegidius in Keferloh

Die Purifizierung des Kirchenbaus erfolgte in den 1960ern. Die barocke Ausstattung wurde im Zuge dieser Reromanisierung vollständig entfernt. Die Bauarbeiten wurden zwar sehr gut dokumentiert, jedoch weitgehend falsch durchgeführt. Vom Dombaumeister waren in der Apsis Lüftungsschlitze eingebaut worden, die im Sommer feucht-warme Luft in den Kirchenbau transportierten. Die Feuchtigkeit kondensierte an den kalten Innenwänden und verursachte erhebliche Bauschäden. Wesentlich unterstützt durch den Förderverein St. Aegidius erfolgte in den Jahren 2003-13 eine weitere Restaurierung. Kardinal Reinhard Marx weihte am Patrozinium 2013 den neuen Altar.

Im Inneren der Kirche St. Aegidius in Keferloh

Im Inneren der Kirche St. Aegidius in Keferloh

 

Selbst der kleine Weiler Keferloh verändert sich zusehends. Durch das aktuell im Südosten Keferlohs entstehende Gewerbegebiet „Greenpark“ wird der Schwerpunkt des Ortes sicherlich dorthin verlagert. Der frühere Kreisheimatpfleger Dr. Alfred Tausendpfund sprach bei der Anhörung zur gemeindlichen Bauleitplanung vom „Sargnagel“ Keferlohs, einer „absoluten Fehlplanung“ und „einem amorphen Siedlungsbrei“. Auf dem ehemaligen, brachliegenden Tennisgelände ist eine baldige Neubebauung zu erwarten.

Autor:
Rolf Katzendobler, geb. 1958 in der Maxvorstadt, Dipl.-Ing. (FH) Architekt und Stadtplaner, Kreisheimatpfleger, Denkmalpfleger München-Land

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 07./08./09.2022 zum Themenschwerpunkt “Münchens Stadtrand: bloßes Bauland oder mehr?”.

 

 

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