| Klaus Bäumler |
Passagen und Durchgänge schaffen wertvolle, individuelle urbane Qualität. Sie sind kein „Luxus-Artikel“, auch wenn ihre Planung und rechtliche Durchsetzung hohen Aufwand seitens der Administration erfordert. Denn es geht um die schwierige Aufgabe, öffentliche Durchwegungen zu Lasten von Privatgrundstücken abzusichern. Mehr und mehr wird jedoch erkannt, dass neben dem Gewinn an städtebaulicher Qualität die Öffnung und die Durchlässigkeit von Geschäftsgrundstücken einen erheblichen Wertzuwachs bei Immobilien erwarten lassen. Die Altstadt-Leitlinien aus dem Jahr 2015 heben hervor, dass in der Münchner Altstadt heute „ein feines Netz von Durchgängen, Innenhöfen und Passagen“ existiert und „jeder einzelne Durchgang die Durchlässigkeit der Altstadt für den Fußgänger fördert und unter besonderem Schutz steht“. Ausdrücklich wird in den Altstadt-Leitlinien hierzu festgehalten, dass deshalb auch ein nur partieller Verlust dieser wertvollen Wegebeziehungen vermieden werden müsse.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem Normenkontrollverfahren, dessen Gegenstand der Bebauungsplan Nr. 526a (Altheimer Eck) war, die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Gehrechtsflächen ausdrücklich bejaht (BayVGH Beschl. v. 26.01.1979 Nr. 287 II 75): „Die Festlegung der Gehrechtsflächen liegt im öffentlichen Interesse, weil sie Teil einer durchgehenden Fußwegverbindung in Nord-Süd-Richtung vom Promenadeplatz bis zum Altheimer Eck darstellt. Damit werden die angrenzenden Bauquartiere mit der Fußgängerzone im Bereich der Neuhauser Straße durch störungsfreie Fußwege verknüpft. Die Durchlässigkeit von Baublöcken im hochverdichteten innenstädtischen Raum hat besondere städtebauliche Bedeutung. Sie führt zu einer Belebung und Aufwertung hinterliegender Grundstücke und wirkt so der Verödung der Innenstadt entgegen (vgl. Monheim, Verkehrsberuhigte Zonen in Kernbereichen, Schriftenreihe des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1978, S. 9 ff)“.
Die Amalien-Passage in der Maxvorstadt: Städtebauliches Vorzeigeobjekt?
Die Amalien-Passage bricht das schachbrettartige Straßenraster der Maxvorstadt zwischen Amalienstraße/ Türkenstraße und Adalbertstraße auf. In den Jahren 1975-77 von Jürgen von Gagern geplant, errichtet durch die Firma Eichbauer, ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu diesem damaligen Pilot-Projekt zu konstatieren: Die Amalien-Passage lebt und ist belebt. Die lärmfreie Abkürzung zwischen Türkenstraße/Adalbertstraße/Amalienstraße wurde und wird als selbstverständlich angenommen. Das Gesamtprojekt, 200 Wohnungen, kombiniert mit kleinteiliger gewerblicher Nutzung in den Höfen, geplant von Landschaftsarchitekt Karl Kagerer, kann als gelungen bezeichnet werden. Nahezu vergessen ist aber, dass dieses Projekt als frühes Beispiel der Gentrifizierung zu Beginn der 1970er Jahre äußerst umstritten war. Die Wohnhäuser Türkenstraße 84 und Amalienstraße 85, 87 und 89 – überwiegend von älteren Menschen bewohnt – wurden abgebrochen. Stadtbaurat Uli Zech verteidigte den Abbruch der Wohnhäuser mit dem Schlagwort „Sanierung einer Mülltonnen-Landschaft“. Der bürgerschaftliche Widerstand der Bürgerinitiative „Aktion Maxvorstadt“ und des Bezirksausschusses Maxvorstadt-Universität war vergeblich.
„Landesbank-Arkaden“: Ein städtebauliches Null-Summen-Spiel?
Der heutige Hauptsitz der Bayerischen Landesbank wurde zu Beginn der 1980er Jahre von den Architekten Beck–Enz–Yelin im Geviert zwischen Brienner Straße/Türkenstraße/Gabelsbergerstraße/Oskar-von-Miller-Ring geplant. Der monumentale Bürokomplex wird durch öffentliche Höfe, Arkaden und Passagen erschlossen: In Nord-Süd-Richtung von der Gabelsbergerstraße zur Brienner Straße, flankiert vom Löwen gegenüber St. Markus. In Ost-West-Richtung vom Oskar-von-Miller-Ring zur Türken- und Prinz-Ludwig-Straße. Grundlage hierfür sind die Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 12b aus dem Jahr 1977. Diese beruhen auf den Ergebnissen eines „Offenen Planungsverfahrens für das Gelände des ehemaligen Wittelsbacher Palais am Oskar-von-Miller-Ring“, ein Format, das von der Stadt München 1973 erstmals durchgeführt wurde.
Die Stadt München hat 1961 das zeitgeschichtlich belastete Areal des Wittelsbacher Palais vom Freistaat erworben, um hier ein „Volksbildungshaus“ mit Konzertsaal zu errichten, fasste dann aber den Verkauf ins Auge, um mit dem Erlös auf eigenem Grundstück das Kulturzentrum am Gasteig zu errichten. Im Rahmen eines damals neuartigen, kooperativen Planungsverfahrens sollte eine breite Diskussion über die künftige Verwendung des stadteigenen Areals am Oskar-von-Miller-Ring angestoßen werden. Die bürgerschaftlichen Intentionen gingen vor allem dahin, einen homogenen, abgekapselten Baukörper zu verhindern, um die städtebauliche Scharnierfunktion des Areals zwischen Altstadt und Maxvorstadt durchzusetzen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigt sich, dass die Chance, die durch bürgerschaftliches Engagement geforderten „Landesbank-Arkaden“ zu einem attraktiven Zugang zum Museumsquartier zu machen, bis heute nicht im Ansatz genutzt wurde. Noch immer sind die „Landesbank-Arkaden“ durch die autobahnähnliche Gabelsbergerstraße von den Pinakotheken getrennt. Die mögliche attraktive Ost-West-Verknüpfung Wittelsbacher Platz–Siemens Headquarter–Landesbank Arkaden–Prinz-Ludwig-Straße–Hochschule für Fernsehen und Film (HFF)–Königsplatz über den Oskar-von-Miller-Ring hinweg existiert derzeit nur als illegaler „Trampelpfad“.
Die mehrjährigen Baustellen im Bereich Oskar-von-Miller-Ring/Altstadtring-Tunnel haben im Praxistest gezeigt: Das Profil des Oskar-von-Miller-Rings könnte mit einer zusätzlichen Querungsmöglichkeit deutlich zurückgebaut werden. Nur so macht das im Bebauungsplan Nr. 12b im Jahr 1977 festgesetzte und seinerzeit bürgerschaftlich durchgesetzte Passagensystem im Areal der Bayerischen Landesbank Sinn. Andernfalls bleibt es weiter ein städtebauliches Null-Summen-Spiel.
Vor dem Hintergrund der vom Stadtrat angesagten Verkehrswende und der damit propagierten „Fußgänger-Freundlichkeit“ sollten von der städtischen Administration alle Formate genutzt werden, um bestehende Passagen „populär“ zu machen. Bei der Aufstellung der an sich gut gelungenen „Stadtplan-Informationssäulen“ hat das Referat für Arbeit und Wirtschaft (RAW) die Existenz des Passagensystems der „Landesbank-Arkaden“ negiert (vgl. Abb. 2). Die im Herbst 2019 von mir beim RAW angeregte Ergänzung des Stadtplans ist bis heute nicht erfolgt (vgl. Bäumler: Denkmal-Moral; ders.: „Dritte Pinakothek“).
„Pinakothek der Moderne“ und die Diagonale von Stephan Braunfels
Vor knapp 20 Jahren, im Jahr 2002, wurde die Pinakothek der Moderne eröffnet. Die Entwurfsidee von Stephan Braunfels nimmt die städtebauliche Situation auf, basierend auf einer Stadt-Reparatur mittels Verknüpfung des Museumsquartiers mit der Altstadt über den Altstadtring hinweg. Die „Diagonale“, welche von Süd-Osten nach Nord-Westen das Foyer der Pinakothek der Moderne durchschneidet, setzt schlüssig, aber auch zwingend eine funktionale und gestalterische Anbindung voraus. 2022 soll der Umbau des Altstadtrings Nord-West einschließlich der Tunnelrampe abgeschlossen sein. Ob zum Jubiläum „20 Jahre Pinakothek der Moderne“ eine entscheidende Verbesserung eintreten wird, darf mit Spannung erwartet werden.
Die städtebauliche Idee der „Diagonale“ war in den Beratungen des Preisgerichts wesentliches und überzeugendes Kriterium und brachte Stephan Braunfels den ersten Preis. Damit diese „Diagonale“ nicht nur gestalterisches Element bleibt, wurde sie im Bebauungsplan Nr. 1641 vom 27.10.1994 rechtlich abgesichert. Dies erfolgte durch die verbindliche Festsetzung eines Gehrechts über das Grundstück der Pinakothek der Moderne, beginnend an der Ecke Gabelsberger-/Türkenstraße – Foyer und Rotunde der Pinakothek durchschneidend – bis zur Barer Straße (vgl. Abb. 3). Mit anderen Worten: Auch ohne Besuch der Pinakothek der Moderne ist es möglich, das Gebäude auf dieser Linie zu durchqueren, dies allerdings nur zu den Öffnungszeiten.
Der Bebauungsplan Nr. 1641 enthält eine weitere rechtsverbindliche Festsetzung, die im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens von der Bürgerschaft erfolgreich gefordert wurde. In Ost-West-Richtung vom Portikus an der Türkenstraße bis hin zur Barer
Straße ist eine Fuß- und Radwegverbindung als „dinglich zu sichern zu Gunsten der Allgemeinheit“ festgesetzt (vgl. Abb.)
Eine rechtsverbindliche Absicherung dieser Festsetzungen durch die erforderlichen Eintragungen ins Grundbuch ist – nahezu 20 Jahre nach Eröffnung der Pinakothek der Moderne – bis heute nicht erfolgt. Auf Nachfrage wurde mir im Auftrag von Stadtbaurätin Prof. Dr. Merk im Januar 2017 mitgeteilt, dass der Freistaat Bayern diese Festsetzungen schriftlich anerkannt und sich zur Errichtung und zum Unterhalt verpflichtet hat.
Die Eintragung ins Grundbuch „durch den Freistaat Bayern zur Sicherung für die Stadt“ sei aber entbehrlich, solange sich das Grundstück im staatlichen Eigentum befinde.
Weiter stellt das Planungsreferat mit Schreiben vom 23.01.2017 Plan-HA II-23 lapidar fest: „Die öffentlichen Flächen wurden hergestellt und sind der Öffentlichkeit zugänglich.“
Dies trifft aber nur für die diagonale Durchquerung zu. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Staatliche Bauverwaltung bis heute die Freiflächen im Bereich der Pinakothek der Moderne nicht hergestellt hat. Damit existiert der im Bebauungsplan Nr. 1641 festgesetzte Fuß- und Radweg auch heute nur im Planteil des B-Plans und ist entgegen der lapidaren Feststellung des Planungsreferats im Januar 2017 bis heute nicht gebaut.
Autor:
Klaus Bäumler ist 2. Vorsitzender des Programmausschusses des Münchner Forums, dort Leiter des Arbeitskreises „Öffentliches Grün“, von 1978 bis 2008 Vorsitzender des Bezirksausschuss Maxvorstadt und Richter (rtd.) am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.
Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 04./05.2021 zum Themenschwerpunkt “Plätze – Passagen – Arkaden”.
Ingeborg Richarz in: 10 Jahre Aktion Maxvorstadt 1971-1981, o. O. (München), S. 161 ff Freiräume im Städtebau – München und Umgebung, Hrsg. Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL), Landesgruppe Bayern, München 1984, S. 115
Klaus Bäumler: Denkmal-Moral und Denkmal-Politik. Das Wittelsbacher Palais – ein Beispiel, 4. Aufl. 2008.
Klaus Bäumler: Die „Dritte Pinakothek“: ein Glücksfall. In: Historisch-aktuelles Königsplatz-Panorama, München 1996, S. 25 ff.
Rudolf Pfister: Theodor Fischer. Leben und Wirken eines deutschen Baumeisters, München 1968, S. 86
Franz Steffan: Bayerische Vereinsbank 1869-1969, München 1969
Bildquellen:
- Bebauungsplan Nr. 12b: Oskar-von-Miller-Ring, Brienner-, Türken-, Gabelsbergerstraße: LHM
- Kartendarstellung auf Infosäule vor der Landesbank/ Nordeingang im Bereich Gabelsberger-/Türkenstraße: Klaus Bäumler