| Michael Schneider |

Wohnungspolitisch hat die Berliner Ampel-Koalition vor allem mit einer Zahl von sich reden gemacht: 400.000. So viele neue Wohnungen, 100.000 davon öffentlich gefördert, sollen in Deutschland jährlich gebaut werden. Kaum war die Zahl in der Welt, kamen die Zinswende der EZB, die Inflation, Lieferengpässe, Fachkräftemangel und die größte Kostensteigerung im Baugewerbe seit 1968/69 zusammen. Tapfer sprach Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) in die Kameras, was jeder schon wusste: das Ziel, 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen, ist in weite Ferne gerückt, aufgeben wolle man es trotzdem nicht. Dabei steckt in der Koalitionsvereinbarung vom Dezember 2021 eine echte Überraschung, die in der Wohnungsbaudiskussion völlig unterging. Die Bundesregierung will die Wohnungsgemeinnützigkeit wiederbeleben: „Wir werden zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen und so eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen. Sie soll nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit die Struktur der etablierten Wohnungswirtschaft ergänzen, ohne diese zu benachteiligen.“ (S. 88) /1/

Die alte Wohnungsgemeinnützigkeit war von der CDU/CSU/FDP-Regierung 1990 im Gefolge der Skandale um die Neue Heimat abgeschafft worden. Lesen Sie hierzu auch den Beitrag von Georg Kronawitter in dieser Ausgabe der Standpunkte.
Im Juli 2022 waren es die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Verena Hubertz und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, die das Thema mit Leben füllten. In einem Gastbeitrag im Spiegel warben sie für die Idee:
„Wir wollen Wohnraum schaffen, der nicht der Gewinnerzielung, sondern langfristig dem Allgemeinwohl dient. Die Idee der neuen Wohngemeinnützigkeit bedeutet, dass Gruppen und Gesellschaften und Personen, die sich diesem Ziel rechtsverbindlich verschreiben, werden vom Staat belohnt: Es soll spürbare steuerliche Entlastungen bei der Körperschafts-, Gewerbe-, Grund- und Grunderwerbsteuer geben sowie Reduzierungen bei der Umsatzsteuer. […] Als weitere Maßnahme sollten gemeinnützige Unternehmen einen bevorzugten Zugang zur Vergabe bundeseigener Grundstücke und Liegenschaften bekommen. Durch staatliche Unterstützung können wir so kurzfristig, aber auch langfristig wieder zu mehr bezahlbarem Wohnraum kommen. Das ist ein Vorteil gegenüber der sozialen Wohnraumförderung mit ihrer häufig nur 30 Jahre währenden Bindungsfrist.“ /2/
Damit sprechen Hubertz und Kühnert die Absurdität an, dass mit millionenschweren öffentlichen Mitteln geförderte Wohnungen nach Auslaufen der Bindungsfrist dem freien Wohnungsmarkt anheimfallen, wo die Eigentümer dann im Rahmen des Mietrechts erhebliche Mietsteigerungen durchsetzen können. Vernünftig wäre es stattdessen, nur Neubauten mit öffentlichen Mitteln zu fördern, die Zeit ihres Bestehens der Preisentwicklung auf dem sogenannten freien Wohnungsmarkt entzogen sind. Der österreichische Wohnungswissenschaftler Christian Donner hat das deutsche Modell der Wohnraumförderung einmal mit unüberhörbar ironischem Unterton als „soziale Zwischennutzung“ bezeichnet.
Die Chance der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, so Hubertz und Kühnert, besteht nun darin, langfristig Wohnraum zu schaffen, der nicht zu den Preisen des freien Marktes vermietet wird. Zugutekommen soll das nach dem Willen der beiden denen, „die es auf dem Markt besonders schwer haben: Familien, Alleinerziehende, Studierende, Rentnerinnen und Rentner.“
Hubertz und Kühnert schlagen vor, dass Wohnungsunternehmen dann von der Gemeinnützigkeit profitieren, wenn sie die Wohnungen zu Preisen mindestens zehn Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete anbieten. Und weiter:
„Die gemeinnützigen Vermieter sollten sich verpflichten, ihre Rendite auf wenige Prozente zu beschränken und darüber hinausgehende Überschüsse in die neue Wohngemeinnützigkeit zu reinvestieren, um weitere gemeinnützige Bauvorhaben zu fördern. Auch Non-Profit-Ansätze sind vorstellbar.“
Die Resonanz auf den Vorstoß von Hubertz und Kühnert war überschaubar, ausführlich mit den Vorschlägen beschäftigte sich immerhin der Immobilienpodcast „1a Lage“ mit Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. /3/
Bei der Bundesregierung selbst ist das Thema auch 15 Monate, nachdem der Koalitionsvertrag unterzeichnet wurde, noch nicht angekommen: ein Gesetzentwurf zur neuen Wohnungsgemeinnützigkeit liegt dem Deutschen Bundestag bislang noch nicht vor – ein Gesetzentwurf aus den Fraktionen der Ampel-Koalition im Übrigen auch nicht.

Autor:
Michael Schneider ist Politikwissenschaftler (M. A.) und Dipl.-Verwaltungswirt (FH). Er ist seit Oktober 2021 stellvertretender Programmausschuss-Vorsitzender des Münchner Forums. Er arbeitet im Landratsamt München im Fachbereich Mobilität und verkehrliche Infrastruktur.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 1./2./3.2023 zum Themenschwerpunkt „Gemeinwohlorientierter Wohnungsbau“.

 

Zum Weiterlesen:

/1/ Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN UND FDP: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/koalitionsvertrag-2021-1990800

/2/ Hubertz, Verena und Kühnert, Kevin: SPD-Vorschlag: Ein Plan für mehr bezahlbaren Wohnraum. In: Der Spiegel, 05.07.2022; https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kevin-kuehnert-und-verena-hubertz-spd-vorschlag-fuer-mehr-bezahlbaren-wohnraum-a-1e05c2a8-6d21-4ee0-9631-9964361870d0

/3/ 5 Gründe gegen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit. In: 1a Lage – Der Immobilienpodcast, 20.09.2022; https://1alage.podigee.io/87-5-grunde-gegen-eine-neue-wohnungsgemeinnutzigkeit

 

Bildquellen:

  • Auf dem GWG-Baufeld WA12 in der ehemaligen Bayernkaserne entstehen rund 190 geförderte Wohnungen.: PARKELF Killius Ernst Wagner Architekten & Beratender Ingenieur Partnerschaft mbB
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