| André Perret |

Manche Städte wie Barcelona, Marseille oder Neapel haben das Meer als Orientierung und als Blickfeld; München hat die Alpen mit dem bewaldeten Voralpenland als Bühnenbild nach Süden. Dieser Effekt wird deutlich gestärkt durch die ansteigende Topographie in Richtung Süden und durch die Helligkeit des Wetters in Richtung Alpen – nicht nur bei Föhn. Gleichzeitig kann eine Großstadt als gesund und lebendig charakterisiert werden, wenn sie zusammen mit ihrer Umgebung die Fähigkeit hat, „ein kleines Land“ zu bilden.

München hat auch durch sehr komplexe Topographien, Wasser- und Vegetationsstrukturen als Relikt der Eiszeit diese Fähigkeit, sich mit der Umgebung langfristig zu verzahnen. Die Addition dieser beiden Komponenten, Blickfeld und Land macht die Münchner Region einmalig im europäischen Kontext und prägt die Identität und den Erfolg dieser Stadt. Diese Qualitäten sind im städtebaulichen und landschaftsplanerischen Kontext sehr fragil und müssen in jeder Epoche neu hinterfragt und gepflegt werden.

Münchens einmalige Lage, seine Stadttopographie und die Kulisse der Alpen

Die Einmaligkeit der Lage Münchens im Zusammenhang mit den Alpen ist keine neue Erfindung, die Münchner Landschaftsmalerei zwischen 1800 und 1850 hat mit den Malern Johann Georg von Dillis, Wilhelm von Kobell und vor allem Ernst Kaiser mit dem berühmten Bild „Blick von Oberföhring auf München“ den Zusammenhang zwischen Isartal, Stadtsilhouette und Alpenkulisse zelebriert. Dieser Zusammenhang ist eine ewige Komponente der Münchner Identität und muss auch im heutigen Zeitalter der Hochhäuser und Verdichtungen langfristig gepflegt werden. Dabei sind mehrere Betrachtungen zu berücksichtigen:

  • Eine traditionelle Stadtbetrachtung, die früher von den freien Hängen der Hochterrassen der Isar am Gasteig, in Oberföhring oder am Oberwiesenfeld zu erleben war und heute noch vom Olympiaberg und vom Luitpoldpark aus zu erleben ist. Von der Rückseite der Altstadt inklusive der nördlichen Vorstädte aus prägt heute noch der Isartalgrünzug mit der Achse der Ludwigstraße und der Abfolge der Kirchtürme der Ludwigskirche, der Theatinerkirche, von St. Peter und der Frauenkirche die Silhouette der Stadt vor den blauen Massen der Alpen. Südlich einer Achse Bahnlinie-Haidhausen sind heute kaum störende Baumassen wahrnehmbar, und die Stadt verschmilzt im Süden mit den Wäldern der Altmoränen.
  • ine Außenraumbetrachtung, die vom äußeren topographischen Rahmen Münchens vom Dachauer Schloss oder vom Schuttberg in Fröttmaning aus möglich ist, ist heute wichtig, um die Hochhausentwicklungen der letzten 40 Jahre einzubeziehen. Dadurch, dass die neuen Akzente in relativ großen Abständen ausschließlich im Norden, Osten und Westen der Altstadt entstanden sind und diese relativ hoch und schlank sind, entsteht ein neues konsequentes Bild der Stadt in Anlehnung an die beschriebene traditionelle Betrachtung. Die neuen Hochhäuser mit den begleitenden Verdichtungen ordnen sich als Amphitheater und als erste lockere Blickebene um die Kernstadt, die sich als zweite Blickebene mit der ursprünglichen Kirchturmsilhouette vor dem Bühnenbild der Alpen und des Voralpenlandes hervorhebt (s. Abb. 1).

 

Abb. 1: Außenraumbetrachtung
Zeichnung © André Perret, 2008

 

Verdichtungskonzept und Hochhausstudie

Die Beibehaltung und die Weiterentwicklung dieser perspektivischen Hierarchie der Höhenentwicklung der Stadt im Zusammenhang mit der Kulisse der Alpen sind von essentieller Bedeutung, um die einmalige Identität Münchens im europäischen Kontext langfristig zu sichern. Die Ordnung der Akzente der Stadterweiterungen als Amphitheater ist im Norden der Kernstadt ein Muss. Im Süden der Kernstadt, vor allem aufgrund der erhöhten Topographie der Hochterrassen der Isar, müssen städtebauliche Verdichtungen möglichst niedrig bleiben, um mit der charakterischen Silhouette der Altstadt nicht zu konkurrieren.

Kompensationsmöglichkeiten für Verdichtungen

Um München weiter zu verdichten, sind Kompensationen im Bereich der Parks und Landschaften unbedingt erforderlich. Die großen Parks der Stadt sind insgesamt sehr isoliert, und nur der Grünzug entlang der Isar bietet zusammen mit dem Englischen Garten eine übergeordnete und durchgehende Grünzugslinie. Zwei Ausnahmen bilden im Westen der Grünzug entlang der Würm in Pasing und im Osten die zierlichen Grünverbindungen entlang des Hachinger Bachs. Gleichzeitig existieren noch sehr große Barrieren für eine grüne Nord-Süd-Vernetzung im Bereich der zahlreichen Bahnflächen. Diese Freiflächenbilanz muss parallel zu weiteren Verdichtungen konsequent verbessert werden.

Mittel- bis langfristig bieten sich großzügige Maßnahmen, um die Stadt landschaftlicher erleben zu können und besser mit der Umgebung zu vernetzten: Maßnahmen in Nord-Süd-Richtung: Vernetzung der Grünzüge und der Parks miteinander. Der Nymphenburger Park bietet eine großzügige Landschaftsfläche im Westen der Kernstadt, die nach Norden in Richtung Ludwigsfeld und Karlsfeld und nach Süden in Richtung Pasing, Martinsried und Forstenrieder Park stärker als Westgrünzug und Gliederung der Stadt vernetzt sein müsste. Der Perlacher Forst müsste langfristig über Perlach, Berg-am-Laim und Daglfing in Richtung Aschheim und Speichersee grünplanerisch als Ostgrünzug etabliert werden.

Maßnahmen in Ost-West-Richtung: Begrünungen entlang der Bahntrassen Hauptbahnhof-Pasing und Ostbahnhof-Riem und ihre Freihaltung als Frischluftschneisen (s. Abb. 2).

Abb. 2: Maßnahmen in Ost-West-Richtung: Begrünungen entlang der Bahntrassen Hauptbahnhof-Pasing und Ostbahnhof-Riem und ihre FReihaltung als Frischluftschneisen
Zeichnung © André Perret, 2020

 

Durch die neuen Grünzüge würden die schwierigsten Grünraum- und Städtebaubarrieren der Stadt wegfallen und neue Zusammenhänge der Quartiere ermöglicht. Die neuen Freiflächen sollten so großzügig angelegt werden, dass damit eine Kompensation der Stadtverdichtungen möglich wäre. Ähnlich wie in vielen Kommunen, wo Neubauprojekte den Ausbau von neuen Biotopflächen finanzieren, könnten größere Verdichtungen in München den Ausbau dieser Grünzüge finanziell unterstützen. Eine weitere Finanzierung des Projekts könnte, ähnlich wie in Berlin, durch neue Verdichtungen der Ränder der Parks entstehen.

Übergeordnete und konzertierte Planung der Münchner Region

München selbst reicht als Stadtraum seit Jahrzehnten nicht mehr aus, um die Wachstumstendenzen der Region zu absorbieren. Trotz Regionalem Planungsverband wird die Entwicklung der Münchner Region außer bei bestimmten verkehrsplanerischen und landschaftsplanerischen Themen kaum koordiniert. An vielen Stellen, wie in Martinsried oder zwischen Unterhaching und Ottobrunn, werden bisher langfristig reservierte Grünkorridore zunehmend reduziert, bis sie ihre wichtige Belüftungsfunktion des urbanen Raums verlieren (s. Abb. 3).

Abb. 3: Grünkorridore mit Belüftungsfunktion werden zunehmend reduziert
Zeichnung © André Perret, 2020

 

Es gibt auch keine politische Handlungsebene mit dem Umland außer im Bereich des Münchner Landkreises. Ein planerischer Zusammenschluss aus der Landeshauptstadt München, dem Landkreis München und den weiteren unmittelbar angrenzenden Landkreisen wäre dringend erforderlich, um eine Gesamtplanung der Region sinnvoll voranzutreiben. Unabhängig von der politischen Dimension dieser Koordinierungsinstrumente wäre ein übergeordneter Konsens bei der Sicherung von unbebauten und unversiegelten Flächen der Münchner Umgebung notwendig, um die schleichende Zerstörung von wertvollen Potentialen zu verhindern. Dabei könnte gleichzeitig ein Konsens für sinnvolle und öffentlich gut erschlossene Verdichtungen entstehen.

Bei der Betrachtung der bisher gesicherten Grünräume der Münchner Region fällt eine deutliche Ungleichheit auf, die aufgehoben werden müsste. Der südliche Waldkranz mit Rodungsinseln zwischen Ammersee und Ebersberger Forst ist die grüne Lunge von München und sichert langfristig eine gute Luftqualität für die Stadt. Ein vergleichbares Pendant ist bisher im Norden der Stadt nicht vorhanden und in dieser Größenordnung auch nicht geplant. Es wäre trotzdem möglich, ab jetzt die Flächen des Trapezes Ismaning, Aschheim, Erding bis zum Flughafen zusammen mit den Flächen zwischen Garching und Oberschleißheim beidseitig der Isar zu vernetzen und definitiv als Grünräume zu sichern. Die vielen Wasserflächen, die dort durch das Grundwasser der Schotterebene entstanden sind, bilden zusammen mit Biotopvernetzungen und Wäldern den Nukleus für eine langfristige und identitätsvolle Landschaftsgestaltung dieser neuen Lunge im Norden. Die vorhandenen Dörfer und die Landwirtschaft bleiben in der bisherigen Form erhalten. Neue Verkehrsinfrastrukturen sollten diese Flächen möglichst schonen. Als Gegensatz können bereits bebaute Ensembles wie zwischen Fürstenfeldbruck und Dachau, Gauting und Karlsfeld, Heimstetten und Erding, Oberschleißheim und Neufahrn oder Garching und Ismaning weiter als urbane Zungen ausgebaut und verdichtet werden. Die Voraussetzung ist, dass die Landschaften dazwischen als übergeordnete Grünvernetzungen langfristig erhalten bleiben.

Autor:
André Perret ist Architekt und Stadtplaner.
*1954 in Saint-Etienne/Frankreich. Diplôme Architecte DPLG 1979; Master of Architecture University of Pennsylvania/ Philadelphia (USA) (1981-1982). 1982-1990 Mitarbeit in den Büros Alexander von Branca und Walter Lehneis München. 1990-2000: selbständige Architektentätigkeit in München, bis 1994 in Partnerschaft mit Wilhelm Hopfinger.1994 1. Preis WB der Parkstadt Schwabing. 2000-2017 Partner des Büros PRPM Architekten; ab 2012 Geschäftsführer prpm Architekten und Stadtplaner GmbH in München. André Perret wohnt in Starnberg.

 

Titelfoto: Münchner Skyline vor dem Alpenpanorama © Friedrich Grössing

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 06./07.2020 zum Themenschwerpunkt “Neue Hochhäuser für München?”.

 

 

 

 

Bildquellen:

  • gestalt der stadt groessing: Grössing
  • Perret Zeichnung 5: A. Perret
  • Perret Zeichnung 2: André Perret
  • Perret Zeichnung 3: André Perret
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