Darf nicht dem Zufall überlassen bleiben
| Monika Ermert |
Bezahlbaren Wohnraum schaffen und Grünstrukturen in den Städten schützen – diese beiden Ziele gaben Kommunen in einem Interview mit dem Zentrum Stadtnatur und Klimaanpassung (ZSK) der Technischen Universität München als größte Herausforderungen an. Doch diese Ziele der Nachverdichtung stehen zueinander im Widerspruch. Bislang bleibt eine gute Ausbalancierung eher glücklicher Zufall. Das zeigt ein Blick ins sogenannte Waldviertel in München.
München ist die am meisten versiegelte und auch eine der am dichtesten bewohnten Großstädte der Republik. Mindestens 44 Prozent des Stadtgebietes sind mit Straßen und Gebäuden bebaut. Das weiß auch die Münchner Stadtverwaltung und gibt seit einigen Jahren die Losung aus: Mehr Begrünung, Entsiegelung, Projekt Schwammstadt. Denn der Klimawandel und mit ihm Extremwetterereignisse werden in den kommenden Jahren auch die Landeshauptstadt zunehmend prägen und verändern.
Konflikt Nachverdichtung
Umso härter wird in den Münchner Vierteln mit Gartenstadtcharakter um Nachverdichtungsprojekte gerungen. In der sogenannten „Waldkolonie“, dem Südwesten des Stadtbezirks 21 (Pasing-Obermenzing), schlagen regelmäßig die Wogen hoch, wenn die für das Viertel vormals typischen großen Bäume Neubauprojekten geopfert werden. 2019 fanden sich fast 50 Demonstrantinnen, bewacht von zwei Dutzend Polizisten, am Mühlerweg ein, als dort eine über 300 Jahre alte Stieleiche gefällt wurde.
Der später errichtete Neubau spiegelt das Grundkonzept einer auf Maximalausnutzung gerichteten Nachverdichtung. Sie geht einher mit praktisch kompletter Versiegelung des Grunds, da Tiefgaragen bis an die Grundstücksränder reichen. Das auf Basis der Auflagen für die Stieleiche und weitere Großbäume auf dem Grundstück gepflanzte einzelne Ersatzbäumchen hat wenig Chancen auf Entwicklung.
Studien haben laut Professor Stephan Pauleit vom ZSK gezeigt: „Stadtbäume werden heute oft nur noch 20 Jahre alt.“ Dabei sind gerade ältere, groß gewachsene Bäume „von überragender Bedeutung“, wie Pauleit jüngst bei einem Online-Seminar der Deutschen Umwelthilfe nochmals erläuterte. Die Forscher haben errechnet, dass ein 80 Jahre alter Baum die zehnfache Leistung eines 20 Jahre alten Ersatzbäumchens für den Schutz des Stadtklimas erbringt.
Positivbeispiele dringend gesucht
Es gibt positive Beispiele für eine grüne Nachverdichtung. 2019 errichtete das Augustinum zwei Mehrfamilienhäuser in der Croissant-Rust-Straße in der Waldkolonie. Dort wurden die ortsansässigen Eichen und Ahorne erhalten. Als Standort für Mitarbeiterwohnungen geplant, bieten die beiden Gebäude zugleich mehrere große und für den Eigentümer finanziell attraktiv vermietete Familienwohnungen mit Südausrichtung. Im Sommer können dort die Kinder im Schatten großer Eichen spielen – trotz Nachverdichtung.
Ein so schön eingewachsener Neubau ist eine Seltenheit, sagt auch der Architekt Thomas Hetfleisch vom Architekturbüro Hetfleisch und Leppert. Bei dem Projekt kamen laut Hetfleisch mehrere günstige Faktoren zusammen. Nicht nur fielen die Bäume auf dem Grundstück unter die Münchner Baumschutzverordnung. Sie waren auch so platziert, dass der Erhalt zwar bautechnisch aufwändig, aber möglich war. Ohne Baumschutz, so Hetfleisch, wäre wohl anders gebaut worden.
Der Wurzelschutz für Bäume auf dem nördlich angrenzenden Nachbargrundstück machte überdies eine weitere Auflockerung bei der Planung der beiden Baukörper notwendig. Insgesamt habe man durchaus das Maximum an Bebaubarkeit herausgeholt, versichert er zugleich.
Der vielleicht wichtigste Faktor für die technisch und finanziell erfolgreiche Nachverdichtung war dabei wohl, dass das Grundstück bereits vor dem Bau im Besitz des Augustinums war.
Üblicherweise blättern Bauträger hohe Millionenbeträge für die wertvollen Waldkolonie-Grundstücke hin. Der selbst gemachte Kostendruck setzt die Bauträgerfirmen dann unter Zugzwang: entweder ein Grundstück regelrecht brutal ausschlachten oder Verluste einfahren.
Aktuell geht die Rechnung trotz enormem Wohnungsdruck dabei nicht immer auf. Viele Bauprojekte in der Waldkolonie stocken, nicht zuletzt, weil sich die Bauträger mit dem Verkauf der extrem hochpreisigen Wohnungen schwer tun.
Dem Zufall überlassen
Kostendruck und Gewinnorientierung sind es also, die Neubauprojekten ihr Gesicht geben. Mehr bezahlbarer Wohnraum, Klimaschutz und gesunde Wohnverhältnisse für die neuen Bewohner und ihre „alten“ Nachbarn sind nicht vorrangig. Veränderungen durch klimatische Veränderungen, heißere Sommer und mehr Starkregenereignisse, erkennt Hetfleisch im Moment noch nicht. Auf Käuferseite sei man am Ende froh, überhaupt eine Bleibe zu finden. Auf Bauträgerseite gelte nach wie vor: ein Baum kann das Baurecht niemals komplett verhindern, er muss weichen.
Grüne Nachverdichtung bleibt ein Zufallsprodukt
Über 100.000 Bäume hat München in einem Zeitraum zwischen 2011 und 2021 zur Fällung frei gegeben, manche hundert Jahre alte Baumriesen. Bei einem Bestand von rund 1,5 Millionen Bäumen lässt sich leicht ausrechnen, wann die Stadt bei diesem Tempo nur noch kleine Ersatzbäumchen haben wird.
Zwar müssen deutsche Städte in den nächsten Jahren Klimanpassungskonzepte vorlegen. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet, und auch der Landkreis München hat sich zusammen mit 27 Kommunen verpflichtet, bis Ende 2025 ein Klimafolgenanpassungskonzept zu erstellen. Wissenschaftler Pauleit, der sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema befasst, rät demgegenüber zur Festlegung von klaren Spielregeln, insbesondere durch sogenannte Freiflächengestaltungssatzungen und durch die Entwicklung von Leitbildern und Zielvorstellungen für die Stadtplanung.
Für die Verwaltung empfiehlt das ZSK den Einsatz digitaler Werkzeuge zur Abschätzung von Klimaeffekten. Für die bessere Akzeptanz müssten die beteiligten Akteure – Architekten, Bauträger –, aber auch die Öffentlichkeit ins Boot geholt werden.
Verkehrte Richtung: Bayerns Modernisierungsgesetz
Die Bayerische Staatsregierung ist aktuell eher bemüht, solchen neuen Ideen den Garaus zu machen. Grün-Leitbilder oder Freiflächengestaltungssatzungen fallen unter das von ihr im Landtag vor Weihnachten durchgedrückte Verbot verschiedenster kommunaler Satzungen im Bereich des Bau- und Stadtplanungsrechts. Das sogenannte 1. Modernisierungsgesetz steuert so in die Gegenrichtung. Der Einzelne, der Markt soll entscheiden, wie die Stadtgemeinschaft in der Zukunft leben will.
Bei Forschern wie Pauleit löst das neue Gesetz Kopfschütteln aus. In der Pasinger Waldkolonie führt es zu Besorgnis und der Überlegung, was getan werden muss, wenn die Fäller der nächsten 200 Jahre alten Eiche anrücken.
Die Autorin:
Monika Ermert ist Sinologin und arbeitet als freie Journalistin im Bereich Technik und Regulierung des Internet. Seit 2019 gehört sie der Bürgerinitiative Pasinger Grün an und engagiert sich dort für den Baumschutz in München.
Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 01./02./03.2025 Stadt und Dichte
Bildquellen:
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