Bahnwege über die Isar in München
| Georg Kronawitter |
Nicht nur bayerische Königstreue dürften sich freuen, dass auch im heutigen Wiener Westbahnhof eine überlebensgroße Sissi-Statue in der Halle die Reisenden empfängt. Was tut Sissi (Sisi) hier? Immerhin steht sie schon seit 1858 hier. Sie war damals bereits vier Jahre Kaiserin in Wien, und der heutige Westbahnhof wurde als Kaiserin-Elisabeth-Bahnhof errichtet, als Endpunkt der Kaiserin-Elisabeth-Bahn zwischen Salzburg und Wien – der heutigen Westbahn. Und von München bis Salzburg wurde in der gleichen Zeit (1851 bis 1860) die Maximiliansbahn /1/ gebaut, nach dem bayerischen König Max II Joseph benannt. Die heiratsmäßige Verbindung des Hauses Habsburg mit dem Haus Wittelsbach schlug sich also auch im Bahnwesen nieder. Genau genommen ging die Maximiliansbahn im Westen gar bis nach Ulm, verband also das Königreich Württemberg mit dem Kaisertum Österreich. Aber auch Bayern hatte ein großes wirtschaftliches Interesse, eine Bahnanbindung an den damals österreichischen Hafen Triest so wie an die Brennerbahn zu bekommen.
Ein Großprojekt mit Tücken
Und was hat das mit der Isar zu tun? Der Münchner (Haupt-)Bahnhof lag schon immer links der Isar, Rosenheim, Salzburg, Wien und Triest liegen aber rechts der Isar, dem reißenden Wildfluss. Also musste eine Brücke her, und zwar eine vergleichsweise filigrane Eisenbrücke auf Wunsch von König Max zwo, kein Viadukt à la Göltschtalbrücke. Aber wo? Die Wahl fiel auf Großhesselohe, weil man hier die Spannweite gering halten wollte und im ersten Ansatz dazu die Isar in ihrem Bett einengte. Diese rächte sich durch Unterspülen des ersten Brückenpfeilers. Eine Umplanung wurde erforderlich, die Isar bekam wieder mehr Platz, die Brücke wurde länger und der Bau ruhte über ein Jahr. Ein Bau, an dem zeitweise 1.500 Arbeiter beschäftigt waren! /2/.
Gleichwohl: Die Überbrückung der Isar war eine technische Meisterleistung. Der konstruktive Entwurf stammte vom Ingenieur und Pionier des Eisenbahnbrückenbaus Friedrich August von Pauli, damals Rektor der Kgl. Polytechnischen Schule München. Ausführende Firma war die Brückenbauanstalt Klett & Cie. in Nürnberg unter der Leitung von Heinrich Gerber /1/. Die Eröffnung fand am 31. Oktober 1857 statt. Sie war seinerzeit die zweithöchste Eisenbahnbrücke weltweit. Die Brücke war von vornherein zweispurig geplant, was sich bald als verkehrlich durchaus notwendig erwies.
Mit diesem aus Münchner Sicht ziemlich südlichen Isarübergang war es quasi natürlich, die weitere Führung der Maximiliansbahn bis Rosenheim an die geografischen Gegebenheiten anzupassen. Der Markt Holzkirchen als Tor zum Oberland bot sich als Bahnknoten an. Ab dort wurde es auf der Maximiliansbahn wild romantisch: ihre Trasse schmiegte sich an das Nordufer der Mangfall an, um in die Aiblinger Ebene und dann mit der Mangfall nach Rosenheim zu kommen.
Die jüngere Schwester – die Braunauer Eisenbahnbrücke als Teil der Direttissima
Es lag nicht an der Großhesseloher Eisenbahnbrücke, dass gerade einmal ein Jahrzehnt später eine zweite Bahnbrücke über die Isar geschlagen wurde, die Braunauer Eisenbahnbrücke zwischen Sendling und Giesing, die Teil des so genannten Südrings ist.
Warum kam es in so kurzer Zeit zum Bau einer zweiten Bahnbrücke über die Isar, obwohl viele anderen Gegenden Bayerns noch sehnlich auf einen Bahnanschluss warteten?
Objektiv war es so, dass der Abschnitt der Maximiliansbahn zwischen Kreuzstraße und Feldkirchen traktionstechnisch ungünstig war: enge Gleisradien und relativ steile Rampen erforderten bei den Güterzügen immer häufiger Mehrfachtraktion mit den damals noch schwachen Dampflokomotiven, die im revierfernen Bayern statt mit energiehaltiger Steinkohle oft nur mit Torf beheizt wurden. Man stelle sich vor, dass alle Brennerverkehre durch das enge Mangfalltal fahren mussten. Dieser Streckenabschnitt war einfach den Anforderungen dauerhaft nicht gewachsen, ein zweispuriger Ausbau war nicht sinnvoll möglich.
Auch war der Weg von München nach Wien über Holzkirchen nicht der geradeste.
Daher plante man nun den direkten Weg – wenn auch mit Bauchgrimmen in Niederbayern /3/. Ziemlich auf der Luftlinie München – Wien liegen die Städte Mühldorf und Simbach/Braunau und Wels, das ohnehin schon an der Westbahn lag. Münchner Ausgangspunkt dieser Direttissma war der Bahnhof Haidhausen, der heutige Ostbahnhof. Man versprach sich eine Reisezeit-Einsparung von immerhin 13 Stunden!
Beim Bau der Braunauer Eisenbahnbrücke 1869 – schon unter der Regentschaft von König Ludwig II. – konnte man sich auf die großen Fortschritte beim Bahnbrückenbau seit 1850 stützen: ein bekanntes Baufoto zeigt z. B. einen hohen Holzmasten, von dem aus elektrisches Licht die Baustelle beleuchtete, um Nachtarbeiten zu ermöglichen.
Man baute nicht nur die Direttissima Haidhausen – Braunau – Wels – Wien, sondern zeitgleich die Strecke Haidhausen – Trudering – Rosenheim, um vor allem die Brennerverkehre über eine wesentlich günstigere Trasse an München anzubinden. Ein Ziel, das wieder hochaktuell ist im Zuge des Nordzulaufes zum Brenner-Basistunnel (BBT).
Mit der Inbetriebnahme der neuen Rosenheimer Bahn 1871 verlor die Maximiliansbahn zwischen Rosenheim, Holzkirchen und München und damit auch die Großhesseloher Brücke den Fernverkehr. Allerdings ist sie immer noch Umleitungsstrecke, wenn es auf der Hauptstrecke stockt.
Wer ist die Schönere im Land?
Kein Zweifel: den Schönheitspreis unter den drei Münchner Eisenbahnbrücken über die Isar – 1938 kam die Leinthaler Brücke des Güterzugnordrings hinzu – trägt eindeutig die Großhesseloher Brücke davon – nicht nur wegen des spektakulären Ausblicks, sondern auch wegen der gestalterischen Eleganz, die auch die 1985 komplett erneuerte Brücke aufweist.
Autor:
Dr. Georg Kronawitter ist Elektroingenieur, war Stadtrat von 2008 bis 2014 und ist Mitglied im Münchner Forum.
Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 10./11./12.2021 zum Themenschwerpunkt “Die Isar in München: urbaner Natur- und Erholungsraum”.
GELBER KASTEN
Zum Weiterlesen:
Bildquellen:
- Die heutige Großhesseloher Brücke: Wikipedia
- Die ursprüngliche Großhesseloher Brücke: Wikipedia
- Braunauer Eisenbahnbrücke: Wikipedia