Was sagt uns der „Masterplan“?

| Dierk Brandt |

Das Vorgehen um das Paketpost-Areal bestätigt eher die Regel als die Ausnahme, wie in München Stadtplanung betrieben wird: Da erwirbt ein Investor ein großes Gelände – hier ein weitgehend unbebautes Areal nördlich der Friedenheimer Brücke mit der denkmalgeschützten Paketposthalle. Dann lässt der Investor ein international renommiertes Architekturbüro, nach dessen Plänen in München bereits zahlreiche Bauten errichtet worden sind und dessen Entwürfe beim Fachpublikum meist große Bewunderung auslösen, eine Bebauung des Geländes entwerfen und dies in einem sogenannten Masterplan niederlegen. Dieser „Masterplan“ wird dann bei der städtischen Planungsbehörde eingereicht mit der Maßgabe, dass das Planungs- und Baugenehmigungsverfahren sich nach diesem Masterplan richten solle. Die städtische Planungsbehörde (Referat für Stadtplanung und Bauordnung) lässt sich vom Stadtrat mit einem Eckdatenbeschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplanes beauftragen, der die planungsrechtlichen Voraussetzungen zur Umsetzung der Investorenpläne erstellt. Diese sehen laut Masterplan, dem einzigen Dokument, das in der Öffentlichkeit dazu bekannt ist, eine dichte mehrgeschossige Blockrand-Bebauung vor, die auf einem das Gelände fast vollständig unterkellernden, ebenfalls mehrgeschossigen Tiefbauwerk errichtet werden soll. Neben der Paketposthalle, für die noch Nutzungen gesucht werden, sollen zwei 155 Meter hohe Türme errichtet werden, die in der Kalkulation des Investors auch zur Gegenfinanzierung der Sanierung und Umnutzung der denkmalgeschützten Halle dienen sollen. Zur gründlichen Analyse und qualifizierten Bewertung des gesamten Bauvorhabens reichen die im „Masterplan“ gemachten Angaben allerdings nicht aus.

Zwar ist zu vermuten, dass zwischen Investor und Planungsbehörde (Referat für Stadtplanung und Bauordnung) relevante Planungsinformationen ausgetauscht wurden und werden. In der Öffentlichkeit sind diese aber nicht bekannt und dürften – wenn überhaupt – erst mit der Auslegung des Bebauungsplan-Entwurfs der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. So bleibt zunächst nichts anderes übrig, als auf der Basis der Informationen im „Masterplan“ und weiterer Quellen Berechnungen darüber anzustellen, welche Bauvolumina und welche Baudichten auf dem Gelände an der Wilhelm-Hale-Straße entstehen könnten.

Ich habe daher den zur Verfügung stehenden Daten im Masterplan zum Paketpost-Areal die Geschossflächen ermittelt und die Geschossflächenzahl (GFZ) berechnet. Dies habe ich in verschiedensten Gesprächsrunden, Podiumsdiskussionen und Online-Veranstaltungen zur Diskussion gestellt und auch in direkten Gesprächen präsentiert, z.B. mit der Münchner Stadtbaurätin, im Planungsreferat, mit Oberbürgermeister Dieter Reiter, mit den Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die GRÜNEN, der SPD/Volt, der CSU sowie als Impulsreferent beim Bürger*innengutachten zum Paketpost-Areal (Oktober 2021). Fast jedes Mal wurden die Ergebnisse meiner Berechnungen und die auf ihnen basierenden entscheidenden Faktoren beiseite geschoben, als „falsch“ abgekanzelt oder einfach ignoriert, ohne dass Gegenargumente, Gegenberechnungen oder transparente Erläuterungen zu den Eckdaten vorgebracht wurden.

Auf diese Weise wird nicht nur eine öffentliche Auseinandersetzung konsequent verhindert.

Es ist vielmehr zu vermuten, dass mit den Berechnungsergebnissen essentielle „Knackpunkte“ des Bauvorhabens getroffen wurden, über die niemand reden will und über die in der Öffentlichkeit nicht gesprochen werden soll, nämlich: den Zusammenhang herzustellen zwischen dem Planungs- und Bauvorhaben „Paketposthallen-Areal“ mit der Bodenfrage, der Bodenspekulation, einer gemeinwohlorientierten Stadtentwicklungspolitik, Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und „Enkeltauglichkeit“ in ihrer Komplexität sowie über das Verständnis von der Planungshoheit der Kommune.

 

Zu den Berechnungen zu GFZ und Geschossflächen sowie Einschätzungen zum Masterplan Paketpost-Areal

Angaben zur Geschossflächenzahl verschiedener Nutzungen im Masterplan und GFZ-Berechnungen wurden unseres Wissens bisher vom Büro Herzog & de Meuron (Basel) und seinem Münchner Büro, Herrn Architekt Hösl veröffentlicht. Ich beziehe mich auf diesbezügliche Aussagen in einer Videokonferenz am 1. Juli 2021. Frau Stadtbaurätin Merk und das Planungsreferat/ Bebauungsplan-Abteilung hatten sich bis dahin zu diesen Dichteberechnungen nicht öffentlich geäußert. Offensichtlich fand aber ein informeller Austausch zwischen Investor Büschl bzw. seinem Architekturbüro Herzog & de Meuron und Planungsreferat statt. Insofern sind meine Berechnungen, die ich im Rahmen meiner Mitwirkung im Münchner Forum angestellt habe, die einzigen öffentlich zugänglichen Informationen, die den zen-tralen Aspekt der baulichen Dichte und der handelbaren Geschossfläche thematisieren und auf Grundlage der vorliegenden veröffentlichten Eckdaten plausibel ermittelt haben.

Diese Ergebnisse liegen auch meinem Impulsreferat zugrunde, das ich beim Bürger*innengut-achten zum Paketpost-Areal (Oktober 2021) vorgetragen habe. Offensichtlich haben sich die Bürgergutachter*innen in einer Planungszelle damit beschäftigt (s. Dokumentation Bürger*Innen-gutachten, z.B. S. 73) – in der Dokumentation zum Bürger*innengutachten wird zudem deutlich, dass sich auch hier das Planungsreferat als Planungsbehörde zu diesen Themen nicht konkret äußert.

Zunächst die Berechnung von Investor Büschl/ Büro Herzog & de Meuron, wie sie auf der Videokonferenz am 1. Juli 2021 vorgestellt wurden – mit dem Ergebnis, dass – wenn die Brutto-Grundstücksfläche des Paketpostareals von 87.500 qm multipliziert wird mit der GFZ von 3,08 (die Plankategorie „Urbanes Gebiet“ [MU] erlaubt eine maximale GFZ von 3,0) – dies eine Brutto-Geschossfläche (GF) von insgesamt 269.400 qm ergibt.

Vorgesehene Nutzungen auf dem Gelände laut Masterplan: 1.100 Wohnungen, 3.000 Arbeitsplätze;
Nutzungen und deren Flächenbedarf, vorhanden in den beiden 155 m hohen Türmen (mit ca. 110.000 qm GF) sowie in fünf Wohnhöfen und einem Gewerbehof:

– Wohnen:                                  ca. 110.000 qm GF

– Büros:                                      ca. 82.000 qm GF

– Kultur, Erholung:                       ca. 21.000 qm GF

– Hotel:                                        ca. 19.000 qm GF

– Gewerbe, Handel, Gastronomie:    ca. 9.000 qm GF

ergibt insgesamt                 ca. 250.000 qm GF

zusätzlich Paketposthalle:             ca. 19.400 qm GF

ergibt in der Summe inklusive Paketposthalle
= ca. 269.400 qm GF

Masterplan des Paketpost-Areals (zur Verdeutlichung von uns bearbeitet): rot umrandet das Planungsgebiet und mit rotem X die geplante Stelle der Türme

Masterplan des Paketpost-Areals (zur Verdeutlichung von uns bearbeitet): rot umrandet das Planungsgebiet und mit rotem X die geplante Stelle der Türme

 

Hier nun meine Berechnung zur Dichte und Geschossflächenzahl im Masterplan Paketpost-Areal:

Für das Paketpost-Areal gilt als ‚Maß der Baulichen Nutzung‘ gemäß § 17 (1) BauNVO (Baunutzungsverordnung) die Flächenkategorie „Urbanes Gebiet“ (MU) mit der maximalen Geschossflächenzahl (GFZ) von 3,0.

Zur Ermittlung von Dichte und Geschossflächenzahl lässt sich, wie bei sonstigen Bebauungsplänen in München, die übliche Brutto- zu Netto-Berechnungsweise heranziehen.

Die Brutto-Grundstücksfläche des Paketpostareals beträgt 87.500 qm. Für die Bestimmung der Netto-Fläche des Baugebietes als Bezugsgröße für die Geschossfläche (GF) sind die Grundfläche der Paketposthalle und die Flächen für Gassen, Wege, Plätze und allgemeines Grün abzuziehen.

Die Bodenversiegelung – als Grad ihrer Überbauung – bemisst sich an den Vorgaben der Baunutzungsverordnung, wo eine Grundflächenzahl (GRZ) von 0,8 im „Urbanen Gebiet“ (MU) vorgesehen ist, was bedeutet, 20 Prozent der Bodenfläche soll unversiegelt bleiben, d.h. auch ohne eine an der Oberfläche nicht sichtbare Unterbauung (Erschließungsstraßen und -wege, Tiefgaragen, Unterkellerungen etc.).

Zudem muss die Paketposthalle beim Grad der Ermittlung der Bodenversiegelung herausgelassen werden, weil sie als ein überdachtes Areal nicht als Freifläche zu werten ist.

Städtebauliches Modell des Areals ausgestellt im Plantreff Juni/Juli

Städtebauliches Modell des Areals ausgestellt im Plantreff Juni/Juli

 

Unter diesen Voraussetzungen ergibt meine Berechnung:

Brutto-Grundstücksfläche des Paketpostareals:                                                                            87.500 qm

abzgl. der Grundfläche der Paketposthalle:                                                                              ca. 20.000 qm

abzgl. für Gassen, Wege, Plätze, Grün (20%):                                                                          ca. 13.500 qm

ergibt eine Netto-Grundstücksfläche/ Baufläche von:                                                               ca. 54.000 qm

Daraus errechnet sich die tatsächliche Geschossflächenzahl (GFZ) und damit die Dichte, die Intensität der Bebauung in zwei Größen

  1. mit Paketposthalle:

269.400 qm Brutto-Geschossfläche (GF) dividiert durch 54.000 qm Netto-Grundstücksfläche ergibt eine GFZ von ca. 5,0

  1. ohne Paketposthalle:

250.000 qm Brutto-Geschossfläche (GF) dividiert durch 54.000 qm Netto-Grundstücksfläche ergibt eine GFZ von ca. 4,6

Dazu der Hinweis: Im Rahmen des Bürger*innen-gutachtens zum Paketpost-Areal (Oktober 2021) wurde die Zahl von 240.000 qm Brutto-Geschossfläche (Quelle: Architekturbüro Herzog & de Meuron/ Herr Hösl, München) genannt, d.h. 240.000 qm dividiert durch 54.000 qm Netto-Grundstücksfläche ergibt eine GFZ von ca. 4,5; kommt also meinen Berechnungsergebnissen recht nahe.

Welche Berechnungsweise man auch immer zugrunde legt: Mit einer Geschossflächenzahl (GFZ) von 5,0 oder auch „nur“ einer GFZ von ca. 4,5 überschreitet der Masterplan des Investors die definierte Obergrenze einer GFZ von 3,0 für ein „Urbanes Gebiet“ (MU) gemäß § 17 (1) BauNVO mit Größenordnungen von ca. 80.000 bis ca. 100.000 qm Bruttogeschossfläche. Hier werden ein Bauvolumen und eine Baudichte angestrebt, die in München bisher in keinem anderen Stadtgebiet großflächig realisiert worden ist. Diese Überschreitungen werden von keinen städtebaulichen, architektonischen oder sozialen Qualitätskriterien herausgefordert oder verlangt. Sie liegen allein in den Renditeerwartungen des Investors bzw. seiner hinter ihm stehenden Anleger begründet, die die in München allemal schon überschießenden Immobilienprofite für sich nochmals gesteigert sehen wollen („Extraprofite“). Wenn hierauf eine aufmerksame Stadtöffentlichkeit kein Auge wirft und interveniert, könnte dies dem Investor durchaus gelingen – die planende Verwaltung und die Stadtpolitik haben sich in den letzten Jahren als viel zu schwach erwiesen, um Investorenbegierden gegenüber gemeinwohlorientiertem Interesse in die Schranken zu weisen. Ändern wir dies.

Autor:
Dierk Brandt, Stadtplaner aus München, ist Mitglied im Münchner Forum. Er ist Koautor der nachhaltigen Siedlungsstrategie „München kompakt urban grün“ der PERSPEKTIVE MÜNCHEN der LH München; er hat mit seinem Büro Planungsgruppe 504 eine Vielzahl von stadtplanerischen Gutachten im Auftrag der LH München erstellt, z.B. das „Dichtemodell München“, und die Planungen zur „Zentralen Entwicklungsachse Hauptbahnhof – Laim – Pasing“ begleitet.

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 04./05./06.2022 zum Themenschwerpunkt “Paketpost-Areal: Kippen die Hochhäuser?”.

 

Bildquellen:

  • Paketposthalle in derzeitigem Zustand: Landeshauptstadt München
  • Masterplan des Paketpost-Areals (zur Verdeutlichung von uns bearbeitet): rot umrandet das Planungsgebiet und mit rotem X die geplante Stelle der Türme: Herzog de Meuron / LHM, bearbeitet Caroline Klotz
  • Städtebauliches Modell des Areals ausgestellt im Plantreff Juni/Juli: Heller / LHM
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