Eine Fallstudie für München

| Paul Pfeilschifter |

Die Diskussion um den Einfluss der Dichte auf die Lebensqualität wird oft emotional geführt. Im Rahmen einer Masterarbeit wurde deshalb dieser Zusammenhang anhand von zehn Quartieren in München exemplarisch auf einer quantitativen Ebene untersucht. Dabei zeigte sich vor allem: Es kommt nicht (nur) auf die Dichte an, damit eine lebenswerte Nachbarschaft entsteht.

Die Diskussion um die „richtige“ Dichte ist wahrlich nichts Neues. So lässt sich bereits der Osterspaziergang in Goethes „Faust“ als Kritik an zu dichten Strukturen verstehen, und seit der Industrialisierung und ihren beengten Wohnverhältnissen koexistieren positive wie negative Lesarten der Dichte |1|. Dass die Thematik derzeit wieder einmal Hochkonjunktur genießt, begründet sich v. a. aus dem Entscheidungsdruck, dem viele Städte aktuell ausgesetzt sind. Zuzug und ein Mangel an verfügbarem Wohnraum, mangelhafte Klimawandelanpassung, massive Verkehrsprobleme und eine gefährdete Biodiversität sind nur ein kleiner Auszug aus den sich überlagernden Herausforderungen, die Anpassungen unausweichlich machen. Gerade in München ist dies auf Grund der hohen Mieten drängend, zudem sind nach vielen Konversionsprojekten in den letzten Jahrzehnten großräumige Entwicklungen nur noch auf wenigen, bisher unbebauten Flächen am Stadtrand möglich, was insbesondere die dortigen Anwohner stark beschäftigt.

Doch die Diskussion dauert nicht nur seit langem an, auch ihre Fronten scheinen so verhärtet und ineinander verkeilt, dass ein Zurücktreten und Reflektieren nur schwer möglich sind. Doch welche Bedeutung nimmt die Dichte jenseits aller emotionalen Vorbelastung für die Lebensqualität der Zukunft eigentlich genau ein? Dieser Frage habe ich mich 2021 im Rahmen meiner Masterarbeit am Beispiel Münchens gewidmet.

Das Konzept der Lebensqualität

Der Begriff Lebensqualität beschreibt, wie gut Eigenschaften einer Situation unsere Bedürfniserfüllung ermöglichen. Im Gegensatz zum Wohlbefinden, das das konkrete Level der Bedürfniserfüllung beschreibt, stellt sie also ein Potenzial dar. Dabei existieren physiologische Bedürfnisse (z. B. Sauerstoff) für das Funktionieren des Körpers sowie affektive Bedürfnisse, deren Erfüllung uns auf einer emotionalen Ebene einen Zustand hoher Überlebenswahrscheinlichkeit verdeutlicht |2|. Hierunter fällt z. B. der Wunsch nach Zuneigung, Identität oder kreativem Schaffen |3|. Bei einem Fokus auf die mit einem Siedlungsareal assoziierten Eigenschaften führt dies dann zum Begriff der urbanen Lebensqualität. Entscheidend ist also die Frage, wie sich Dichte auf diejenigen Eigenschaften auswirkt, die unsere urbane Lebensqualität maßgeblich bestimmen.

Methodischer Rahmen

Im Rahmen der Masterarbeit wurden dazu für zehn Quartiere repräsentative Ausschnitte betrachtet, die wiederum fünf für München typische Bebauungstypologien repräsentieren: Ein- und Zweifamilienhausbebauung (Daglfing, Maxhof), Blockrandbebauung (Maxvorstadt, Untere Au), Großwohnsiedlungen (Neuperlach, Olympiadorf), Mischbebauung (St. Ulrich in Laim, Hasenbergl), neue Quartiersentwicklungen (Domagkpark, Messestadt Riem).

Exemplarische Abbildung des Untersuchungsgebiets Olympiadorf

Exemplarische Abbildung des Untersuchungsgebiets Olympiadorf

Unter Dichte wurde hierbei die bauliche Dichte verstanden. Denn gerade diese ist zumindest bei Neuentwicklungen in gewissem Rahmen steuerbar. Statt der „klassischen“ Geschossflächenzahl (GFZ), die sich nur auf das jeweilige Grundstück bezieht, wurde für jedes Untersuchungsgebiet die ermittelte Geschossfläche ins Verhältnis zur gesamten Gebietsfläche gesetzt (die sog. Gebiets-GFZ). Dadurch wird das komplette urbane Layout (Straßen, Freiflächen usw.) abgebildet.

Diese Dichte wurde dann mit neun die Lebensqualität repräsentierenden, quantitativ erhobenen Indikatoren verglichen, die dem DGNB-Katalog zur Quartierszertifizierung entnommen wurden |4|. Diese waren: Hitzebelastung, Lärmsituation, verfügbarer Freiraum, Zahl der Freizeit-, Nahversorgungs- und Sozialeinrichtungen jeweils pro 1.000 Einwohner, Aufteilung des Verkehrsraums, ÖPNV-Abfahrtsdichte sowie Reisezeit zu wichtigen Zieldestinationen. Anschließend wurden auch Vergleiche mit Einschätzungen der Bevölkerung sowie soziodemographischen Daten durchgeführt.
Im Folgenden wird nun ein Überblick über die Erkenntnisse gegeben, die vor allem für die weitere Stadtentwicklung Münchens relevant erscheinen.

München und die Dichte

Zunächst zeigte sich, dass die Dichte in der Tat Wirkung auf die Quartiere entfaltet. So schafft hohe Dichte v. a. über die in der Regel einhergehende Bevölkerungsdichte Potenziale für Freizeiteinrichtungen, Nahversorgung und ÖPNV. Es steigt jedoch die Hitzebelastung, die in vielen der analysierten Quartiere auf einem kritischen Niveau ist. Dies begrenzt Nachverdichtungspotenziale, bzw. diese sind nur vorhanden, wenn zugleich eine Aufwertung der grünen Infrastruktur erfolgt. Ähnliches gilt für den verfügbaren Freiraum. Hier ist allerdings auf den Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Freiraum zu verweisen – letzterer bewegt sich mit wenigen Ausreißern quartiersübergreifend auf einem Niveau von 0,2 m² Freiraum/m² Geschossfläche. Dieser Wert wird in den DGNB-Kriterien als Richtwert empfohlen, in vier Quartieren jedoch knapp unterschritten.

Andererseits können nicht alle beobachteten Muster durch die Dichte erklärt werden. So spielt auch die Lage im Stadtgebiet (oder sogar in der Region) eine Rolle. Im Stadtzentrum verursacht die hohe Erreichbarkeit einen sprunghaften Anstieg der Freizeiteinrichtungen, der über die auf Grund der erhöhten Dichte zu erwartenden Steigerung hinausgeht. Bündelungseffekte der in Richtung Zentrum enger aneinander liegenden ÖPNV-Linien sorgen für eine gute Anbindung, und die Reisezeit zu Hotspots im Zentrum ist kurz. Am Stadtrand profitiert die Bevölkerung von einem großen Freiraumangebot. Doch der ähnliche Verlauf von Lage und Dichte erschwert eine Gewichtung in den Fällen, in denen sich beide Größen erkennbar auf einen Indikator auswirken.

Doch auch lokale Besonderheiten, die sich bei Neuentwicklungen nicht reproduzieren lassen, sind relevant. So sorgt die Präsenz gleich mehrerer Hochschulen in der Maxvorstadt für eine zusätzliche „Tagesbevölkerung“, die vermutlich eine Ausweitung der Freizeiteinrichtungen vor Ort begünstigt. Auch ein Forst in der Größe des Forstenrieder Parks ist nicht alltäglich und sorgt deshalb im Maxhof für günstige bioklimatische Verhältnisse.

Lage der Untersuchungsgebiete im Vergleich zum Angebot an Freizeiteinrichtungen

Lage der Untersuchungsgebiete im Vergleich zum Angebot an Freizeiteinrichtungen

Eine besondere Rolle nehmen Planung und Architektur ein. Denn während die negativen Folgen einer hohen baulichen Dichte schnell Wirkung entfalten, verhält es sich mit den positiven Aspekten komplizierter. So schreibt Robert Kaltenbrunner, Leiter der Abteilung „Bau- und Wohnungswesen“ am BBSR |1|: „Dennoch bleibt festzuhalten: Städtebauliche Dichte ohne adäquate Gestaltung ist kontraproduktiv.“ Durch Dichte geschaffene Potenziale müssen durch entsprechende Planung also erst aktiviert werden. Planungsleitbilder sind dabei für manche der untersuchten Indikatoren sogar der bestimmende Faktor. So ist die Dichte an sozialen Einrichtungen unabhängig von Dichte oder Lage, während sich in der Aufteilung des Verkehrsraums klar zugrundeliegende Planungsgedanken abzeichnen (z. B. autogerechte Stadt in Neuperlach vs. Fuß- und Radverkehrsorientierung im Domagkpark).

Neben der reinen Analyse der Indikatorwerte birgt auch der Vergleich mit der Wahrnehmung der Bevölkerung interessante Einblicke. So zeigt sich gerade beim Freiraum: Masse ist nicht gleich Klasse. Dies stellt eine generelle Grenze der Untersuchung dar: Während sich z. B. die Hitzebelastung gut in Zahlen fassen lässt, ist bei Indikatoren wie den Freizeitangeboten ja nicht nur die Quantität, sondern die Qualität entscheidend. Auch kann die Gestaltung des öffentlichen Raums einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen sich existierender Möglichkeiten zur Bedürfniserfüllung überhaupt bewusst sind. Dies zeigt sich auch bei der Wahrnehmung der Dichte an sich: So weisen Neuperlach, St. Ulrich, die Messestadt Riem und der Domagkpark fast identische Werte bei der baulichen Dichte auf, unterscheiden sich jedoch in ihrem optischen Erscheinungsbild mitunter stark.

Beim Vergleich der Indikatoren mit Haushaltsgrößen und Altersverteilung zeigt sich, dass Familien mit Kind v. a. in Quartieren mit geringer Lärmbelastung, hohem Freiraumangebot und vielen sozialen Einrichtungen zu finden sind, Einpersonenhaushalte hingegen besonders im Zentrum. Erklären lässt sich dies über lebensabschnittsabhängige Präferenzen |5| und Schwarmstadtphänomene |6|. Denn während alle Menschen grundsätzlich die gleichen Bedürfnisse haben, bestehen (neben evolutionären Prägungen) individuelle und sich verändernde Präferenzen in Bezug darauf, wann wir ein Bedürfnis als erfüllt ansehen |7|. Dies wird auch durch die Verbundenheit der Bevölkerung mit den Quartieren deutlich. Die entsprechende Studie |8| untersuchte diese zwar nur stadtbezirksspezifisch, sodass keine komplette Deckungsgleichheit mit den Untersuchungsgebieten besteht. Dass die Verbundenheit jedoch in den beiden dichtesten Quartieren (Untere Au, Maxvorstadt) sowie den beiden aufgelockertsten Quartieren (Daglfing, Maxhof) am größten ist, deutet zumindest daraufhin, dass v. a. Orte beliebt sind, die populäre Kombinationen von Präferenzen zur Bedürfniserfüllung ermöglichen. Problematisch erscheinen dagegen Gebiete, die keine klar identifizierbare Qualität aufweisen.

Was folgt daraus für die Zukunft?

Die Dichte kann Einfluss auf Quartierseigenschaften nehmen. Doch zur Abschwächung ihrer negativen sowie besonders zur Aktivierung ihrer positiven Effekte ist gute Planung nötig. Entscheidender ist jedoch, dass angesichts heterogener Bevölkerungspräferenzen weder hohe noch niedrige Dichten grundsätzlich zu verteufeln sind. Vielmehr muss es Ziel sein, Dichte, Lage und Gestaltung unter Einbezug lokaler Besonderheiten so zu kombinieren, dass klare Qualitäten entstehen. Konkret für München stellt sich dabei v. a. der Spagat zwischen der Wohnraumschaffung einerseits sowie der kritischen Situation von Lärm oder thermischem Komfort und den nach wie vor beliebten Qualitäten aufgelockerter Quartiere andererseits als Herausforderung dar.

Die gesamte Masterarbeit findet sich zum Download unter: https://mediatum.ub.tum.de/download/1609539/1609539.pdf

 

Der Autor:
Paul Pfeilschifter, M.Sc. Umweltingenieurwesen, ist freiberuflich tätig mit Schwerpunkt auf nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung. Seit 2024 ist er Mitglied im Programmausschuss des Münchner Forums.

 

Zum Weiterlesen:

|1| Robert Kaltenbrunner (2017): Gesellschaft durch Dichte? Städtebau und urbanes Leben. In: der architekt, Nr. 5/17

|2| Douglas Kendrick, Vladas Griskevicius, Steven Neuberg (2010): Renovating the Pyramid of Needs: Contemporary Extensions Built Upon Ancient Foundations. In: Perspectives on psychological science: a journal of the Association for Psychological Science 5 (2010), Nr. 3, S. 292–314. ISSN 1745-6916

|3| Manfred Max-Neef; Paul Ekins (2010): Real-life economics: Understanding wealth creation. London and New York: Routledge, 2010. ISBN 0203012798

|4| Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen e. V. (2020): DGNB SYSTEM: Kriterienkatalog Quartiere.

|5| Alain Thierstein, Gebhard Wulfhorst, Michael Bentlage, Stefan Klug, Lukas Gilliard, Chenyi Ji, Julia Kinigadner, Helene Steiner, Lena Sterzer, Fabian Wenner, Juanjuan Zhao (2016): Wohnen Arbeiten Mobilität: Veränderungsdynamik und Entwicklungsoptionen für die Metropolregion München.

|6| Harald Simons, Lukas Weiden (2016): Schwarmverhalten, Reurbanisierung und Suburbanisierung. In: Informationen zur Raumentwicklung (2016), Heft 3.2016, S. 263-274

|7| Elisabeth Oberzaucher (2017): Homo urbanus. Berlin, Heidelberg: Springer. ISBN 978-3-662-53837-1

|8| Landeshauptstadt München (2017): Bevölkerungsbefragung zur Stadtentwicklung 2016: Soziale Entwicklungen und Soziale Entwicklungen und Lebenssituation der Münchner Bürgerinnen und Bürger.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 01./02./03.2025 Stadt und Dichte

Bildquellen:

  • Straßenbilder in München, links Maxvorstadt, rechts Maxhof: Paul Pfeilschifter
  • Exemplarische Abbildung des Untersuchungsgebiets Olympiadorf: Paul Pfeilschifter
  • Lage der Untersuchungsgebiete im Vergleich zum Angebot an Freizeiteinrichtungen: Paul Pfeilschifter
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