„Quelle kultureller Vielfalt und Garant der nachhaltigen Entwicklung“

| Martin Fochler |

Im Corona-Jahr 2020 bekam der Flößer-Kulturverein München-Thalkirchen e. V. Post vom Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat. „Der Bayerische Ministerrat (hat) am 31. März 2020 entschieden, die ,Passagierfloßfahrten auf Isar und Loisach vom Oberland nach München‘ in das Bayerische Landesverzeichnis (des Immateriellen Kulturerbes, d.V.) einzutragen.“ (https://www.ike.bayern.de/cgi-bin/fts_search_keo.pl) Was hat diese Nachricht in den Standpunkten verloren?

Bayern führt das Verzeichnis – derzeit 56 Einträge – mit Bezug auf das 2003 gestartete UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes, Deutschland ratifizierte es 2013. Es geht um „Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten – sowie die dazu gehörigen Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume“, wie sie „von einer Generation an die nächste […] in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, in ihrer Interaktion mit der Natur und mit ihrer Geschichte fortwährend neu gestaltet und vermittelt“ werden. Das Unesco-Abkommen bewertet das immaterielle Kulturerbe als „Quelle kultureller Vielfalt und Garant der nachhaltigen Entwicklung“ (https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-08/%C3%9Cbereinkommen_zur_Erhaltung_des_immateriellen_Kulturerbes_2013.pdf , S. 8ff).

Die Geschichte der Flößerei erinnert an die Abhängigkeit städtischer Entwicklung vom Land. Über das Fluss-System von Isar und Loisach erhielt die Stadt Bau- und Brennholz, Kalk und andere schwere Güter. Die Holzarbeit im Bergwald und der Weitertransport per Trift und Floß fordern handwerkliches Geschick, Körperbeherrschung und -kraft, Vertrautheit mit der Umwelt, kühlen Kopf in Gefahrenlagen und Zuverlässigkeit: Eigenschaften, die sich nicht andressieren lassen. Diese Berufskultur wird durch gutes Beispiel und gelingende Praxis vermittelt und mit Selbstbewusstsein ausgeübt.

Die Zeit, in der die Lieferungen auf dem Wasserweg für die Haushalte und Gewerbe der Stadt existenziell waren, ist lange vorbei. Heute nutzt die Stadtbevölkerung den Landschaftsraum zu Erholung und Vergnügen, zur Beobachtung von Naturschauspielen und zur Begegnung mit Naturkräften. Die Floßfahrt auf Isar und Loisach hat überlebt, weil sie solche Erfahrungen ermöglicht und die Floßgäste Staunen lehrt. Mit so einfachen, in jeder Hinsicht nachhaltig hergestellten und eingesetzten Mitteln könnten die Flößer Sachen und Menschen verantwortlich befördern, weil sie die Naturkräfte kennen und ihr Handwerk können.

Bei der Anlage von Kraftwerken an der Isar mussten die Flößerfamilien seinerzeit die Einrichtungen von Floßrutschen gesetzlich erzwingen. So blieb das Flößen trotz der technischen Verbauung des Flusses weiter möglich. Die zwei Corona-Sommer, in denen die Floßfahrten auf „Loisach und Isar nach München“ ausfallen mussten, brachten für die drei Familien viele Risiken und Entbehrungen mit sich.

„Vergnügen gesucht – Erlebnis gefunden“ heißt es im touristischen Angebot der Flößerei. Im Alltag der Großstadt zählt der Weg als verlorene Zeit. Wenn wir im kommenden Sommer hoffentlich die Flöße wieder fahren sehen, wäre es ein kleiner Stupser (zu deutsch „Nudget“), Wegezeiten und -Strecken auch in der Stadt als nützliche und vergnügliche, gesellige, kulturelle Erfahrung zu gestalten.

Autor:
Martin Fochler ist seit den sechziger Jahren in Arbeitszusammenhängen der Neuen Linken aktiv. Er arbeitet in den AKs „Stadt: Gestalt und Lebensraum“ und „Öffentliches Grün“ des Münchner Forums mit. Er ist Mitherausgeber der Münchner kommunalpolitischen Zeitschrift „Mit Links für ein solidarisches München“ sowie der „Studienreihe Zivilgesellschaftliche Bewegungen – Institutionalisierte Politik“, die vom Kurt-Eisner-Verein für politische Bildung in Bayern e.V. gefördert wird.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 10./11./12.2021 zum Themenschwerpunkt “Die Isar in München: urbaner Natur- und Erholungsraum”.

 

In der Zeitschrift des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege (Schönere Heimat, 2021, Heft 2) liefert Helga Lauterbach unter dem Titel „Passagierfloßfahren auf Isar und Loisach als immaterielles Kulturerbe“ (S. 84-94) eine umfangreiche, liebevoll illustrierte und doch kompakte Darstellung.  Als Gründerin und langjährige Vorsitzende des Flößer Kulturvereins München-Thalkirchen e.V. (https://www.floesser-kulturverein.de/) hatte die Autorin die Bewerbung  auf Eintragung in das Bayerische Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes initiiert und mit Unterstützung der Flößerfamilien vorangetrieben.

Die Mitgliederzeitschrift des Landesvereins wird auch den öffentlichen Bibliotheken Bayerns zugestellt. Einzelexemplare sind über das Internet zu beziehen (https://www.heimat-bayern-kaufladen.de/zeitschriften/schoenere-heimat/einzelhefte/).

 

Bildquellen:

  • Isarfloss: Ludwig Gruber, Wikipedia
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