| Prof. Dr.-Ing. Fabian Wenner |

Der Vorrang der Innenentwicklung steht bereits seit längerem im Fokus der wissenschaftlichen, praktischen und politischen Debatte in der Stadtplanung und wurde durch zwei Novellen 2011 und 2013 im Baugesetzbuch verankert. Sie verringert die negativen ökologischen Konsequenzen, die mit großflächiger Neuausweisung von Bauland einhergehen, ermöglicht aber gleichzeitig weiterhin Neubau und städtisches Wachstum. Sie erzeugt höhere Bevölkerungsdichte und verbessert damit die Tragfähigkeit sozialer Einrichtungen und Inf rastrukturen, und sie erhöht damit auch die Effizienz öffentlicher Dienstleistungen und Versorgungssysteme. Auch gestalterisch kann sie vorteilhaft sein. Sie f indet ihre Grenzen besonders dort, wo wertvolle Grünflächen aus Gründen des Naturschutzes oder für den Erholungsnutzen durch den Menschen erhalten bleiben sollten und wo die soziale und technische Infrastruktur weitere Verdichtung begrenzt.

Die Landeshauptstadt München hat die Innenentwicklung bereits frühzeitig beispielsweise in ihrem strategischen Stadtentwicklungskonzept „Perspektive München“ als Ziel aufgegriffen. Dabei standen häufig größere zusammenhängende Brachflächen im Fokus, wie die ehemaligen Bahn-, Post- und Kasernenflächen, welche große Skaleneffekte und eine in der Regel „einfache“ Stakeholderstruktur aufweisen. Diese wurden zum größten Teil mittlerweile einer neuen Nutzung zugeführt. Die Aktivierung kleinteiliger Potenziale im Bestand ist demgegenüber deutlich aufwändiger. Anders als andere Großstädte in Deutschland verfügt München derzeit nicht über ein grundstücksbezogenes Baulücken- oder Innenentwicklungskataster. Gelegentlich wird sogar argumentiert, dass in München mittlerweile die Potenziale der Innenentwicklung erschöpft seien.

Welche Potenziale der Innenentwicklung in München bestehen noch?

Daher hat sich im Sommersemester 2023 ein studentisches Lehrforschungsprojekt am Lehrstuhl Raumentwicklung der Technischen Universität München der Frage gewidmet, wie viel Potenzial zur Innenentwicklung in München noch besteht. 16 Studentinnen und Studenten der Masterstudiengänge Architektur und Urbanistik haben dabei gemeinsam mit den Dozierenden manuell mittels Ortsbegehung und Luftbildanalyse verbliebene kleinteilige Innenentwicklungspotenziale im Bestand erhoben.

Als Potenzial wurden für die Zwecke dieser Studie Möglichkeiten zur (Wieder-)Erhöhung der Nutzungsdichte auf einem Grundstück innerhalb eines Bebauungszusammenhangs verstanden, unabhängig von dessen Marktverfügbarkeit und konkreten Nutzungsabsichten der Eigentümerinnen und Eigentümer. Dies kann durch Nachverdichtung, d. h. durch Hinzufügung von baulichen Strukturen, beispielsweise in Baulücken, Innenhöfen, als Rückgebäude oder durch Aufstockungen, aber auch durch Umnutzungen bestehender Gebäude geschehen.

Das Projekt hat sich vor allem auf schnell realisierbare Potenziale konzentriert, welche entweder in bestehenden Bebauungsplänen nach §30 Baugesetzbuch (BauGB) enthalten sind, oder nach §34 BauGB im sogenannten „Innenbereich“ sofort genehmigungsfähig wären. Hier ist ein Vorhaben im Wesentlichen zulässig, „wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt“. Diese Regelung gilt in München für mehr als die Hälfte der bebauten Siedlungsfläche. Die manuell erhobenen Daten wurden anschließend durch (teil)automatisierte, geoinformatische Verfahren – die sich derzeit in Forschung und Praxis dynamisch entwickeln – auf Plausibilität geprüft und mit weiteren Daten angereichert. Ungenauigkeiten der Zuordnung und Erhebungstiefe, die bei einer heterogenen Studierendengruppe trotz großer Sorgfalt im Forschungsdesign unvermeidlich sind, wurden dabei soweit möglich reduziert. Ziel der Studie war es vor allem, eine Vorstellung der ungefähren Größenordnung der Potenziale auf gesamtstädtischer Ebene zu schaffen.

Dieser Beitrag fasst die Ergebnisse einer aktuellen Studie zu Potenzialen der Innenentwicklung in München zusammen. Die Studie (Wenner & Thierstein 2024) kann unter mediatum.ub.tum.de/node?id=1737396 kostenfrei eingesehen und heruntergeladen werden.

Wohnraum für 100.000 Menschen

Insgesamt wurden über 14.000 Einzelpotenziale erhoben. Im Bereich der direkt, also nach §34 BauGB oder nach geltendem Bebauungsplan, umsetzbaren Potenziale wurde eine zusätzliche realisierbare Wohnfläche von 3.115.000 m² ermittelt. Dies entspricht bei Anwendung der durchschnittlichen Wohnungsgröße im Neubau bzw. der durchschnittlichen Belegung in München etwa 44.500 Wohnungen bzw. Wohnraum für 80.000 Menschen. In weiteren Fällen, welche zunächst noch die Aufstellung eines Bebauungsplanes oder die Anpassung von Grundstücksgrenzen erfordern (insb. größere Brachflächen, aber z. B. auch Parkplatzüberbauungen wie am Dantebad), wurde Potenzial für weitere 800.000 m² Wohnfläche, entsprechend 11.500 Wohnungen oder 20.500 Personen, ermittelt. Insgesamt ließe sich demnach in München also Wohnraum für über 100.000 Menschen im bauplanungsrechtlichen Innenbereich oder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans schaffen.

Häufig werden mit Innenentwicklung in erster Linie Baulücken assoziiert, also bebaubare, aber derzeit vollständig unbebaute Grundstücke. In München wurden trotz des seit langem anhaltenden hohen Drucks auf dem Bodenmarkt insgesamt 1.371 Baulücken ermittelt, mit dem Potenzial für 740.000 m² neue Wohnfläche (s. Abb. 1). Die meisten liegen im Bereich mit Gartenstadtcharakter, aber auch im innerstädtischen Blockrandbereich wurden noch über 100 Baulücken erfasst. Häufig sind diese eingezäunt und nicht für die Öffentlichkeit nutzbar. Im Einzelfall kann jedoch auch ein für Kleinklima, Fauna oder Erholungszwecke bedeutsamer Grünbewuchs vorhanden sein. Hier ist, besonders in bereits dicht besiedelten Innenstadtquartieren, eine besondere Abwägung nötig.

Ökologische Gründe können auch beim Ersatzneubau gegen eine Realisierung sprechen. Sie würde einen Verlust der in der Bausubstanz gespeicherten „grauen Energie“ bedeuten. Außerdem sind hier städtebauliche und denkmalpflegerische Aspekte mit abzuwägen. Aktuell stellt diese Potenzialkategorie jedoch besonders in Einfamilienhausgebieten der 1930er- bis 1960er-Jahre eine treibende Kraft der Innenentwicklung dar. Hinzu kommt, dass gerade im Ersatzneubau oftmals preisgünstiger durch hochpreisigen Wohnraum ersetzt wird. Der Stadtratsbeschluss der Landeshauptstadt München,
dass – vergleichbar zu den Regelungen der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) – auch bei Abweichungen vom Einfügenserfordernis in §34-Gebieten und Befreiungen von Bebauungsplänen zur Bedingung gemacht wird, dass 40% des neu geschaffenen Wohnraums für den geförderten Wohnungsbau verwendet werden, ist daher wichtig.

Schlussfolgerungen

Die Landeshauptstadt München sollte in ihrer strategischen Stadtentwicklung noch stärker die kleinteiligen Potenziale im Bestand in den Blick nehmen. Sie sollte ihr Instrumentarium daraufhin ausrichten und alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Insbesondere sollte sie auch vor Baugeboten im Einzelfall nicht zurückschrecken. Sie sollte ein eigenes Innenentwicklungsmonitoring erstellen, um einen besseren Überblick über ungenutzte oder untergenutzte Flächen zu erhalten. Dies würde eine gezielte Ansprache von Eigentümerinnen und Eigentümern ermöglichen, ihr Baurecht zeitnah auszuschöpfen.

Die Entscheidung des Landesgesetzgebers in Bayern, vom Bundesmodell der Grundsteuer ab 2025 zugunsten einer reinen Flächensteuer abzuweichen sowie auf die Grundsteuer C zu verzichten, ist unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Innenentwicklung kritisch zu betrachten. Hingegen wäre womöglich das Bodenwertsteuermodell, welches Baden-Württemberg einführt, geeignet, durch sanften ökonomischen Druck Innenentwicklungspotenziale zu aktivieren, da diese grundsätzlich besteuert würden wie benachbarte, voll entwickelte Grundstücke (Löhr 2020).

Bund, Land, Kommune, Körperschaften des öffentlichen Rechts (bspw. Hochschulen) sowie die Kirchen sind darüber hinaus aufgerufen, ihren eigenen Grundstücksbestand auf bislang nicht gehobene Innenentwicklungspotenziale zu prüfen, um selbst zur Bekämpfung der Wohnungsknappheit beizutragen.

 

Der Autor:
Fabian Wenner ist Professor für nachhaltige Stadtplanung und alternative Mobilitätskonzepte an der Hochschule RheinMain, Wiesbaden. Schwerpunkte seiner Forschung sind Bodenpolitik und Erreichbarkeitsplanung. Im Jahr 2023 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Raumentwicklung der Technischen Universität München

 

Zum Weiterlesen:

|1| Bunzel, Arno, Diana Coulmas, Franciska Frölich von Bodelschwingh, Magnus Krusenotto, Petra Lau und Wolf-Christian Strauss (2023): Neue Instrumente der Baulandmobilisierung: Handreichung, Bd. 2/2023. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Zugriff am 11.04.2023.

|2| Löhr, Dirk (2020): Grundsteuerreform: Die neue Unübersichtlichkeit. In: FUB – Flächenmanagement und Bodenordnung 2020(4), 171-179.

|3| Wenner, Fabian, Alain Thierstein (2024): Potenziale der Innenentwicklung in München. München: Technische Universität. Online verfügbar unter https://mediatum.ub.tum.de/node?id=1737396

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 01./02./03.2025 Stadt und Dichte

 

Bildquellen:

  • Baulücken in München: Wenner & Thierstein 2024: 30
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