| Detlev Sträter |

Hochhäuser in München – die Debatten um ihren Bau verlaufen in Konjunkturen. Auslöser sind meist Investoren, die ein markantes Gebäude mit überragender Höhe im Stadtbild platzieren wollen. Dies zieht öffentliches Interesse auf sich, treibt die Debatte um das Für und Wider von diesen baulichen Auswüchsen an und erzwingt planerisches Handeln und politische Entscheidungen über stadtplanerische und städtebauliche Leitvorstellungen.

So auch diesmal: Aktuell geht es um das Vorhaben eines Investors, der in München auch an anderer Stelle (wie z.B. am Standort Eggarten) aktiv ist. Er hat 2018 von der Deutschen Post die Paketposthalle samt umliegendem Grundstück in Neuhausen erworben. In den 1960er Jahren als Sortieranlage für Pakete errichtet, mit 15 Gleisanschlüssen, war die freitragende Halle mit einer Spannweite von fast 150 Metern die damals größte ihrer Art. 1996 mit dem Denkmalstatus belegt, hat die Deutsche Post 1997 die Nutzung des Gebäudes aufgeben. Eine mögliche Anschlussnutzung als Ort für einen Konzertsaal kam nicht zustande. Der Investor sieht nun in der Halle gewerbliche resp. öffentlich zugängliche Nutzungen vor und will auf dem übrigen Grundstück von rd. 100.000 qm – zur Refinanzierung des gesamten Investments – zwei alles überragende Hochhäuser von jeweils 155 Metern Höhe errichten. Mit ersten Entwürfen wurde das international renommierte Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron beauftragt. 155 Meter Höhe – eine solche Maßstabssprengung sorgt für Aufruhr in München; nahezu alle Lebensbereiche in der Stadt werden davon berührt: Wohnen, Arbeiten, Mobilität, Gesundheit, soziales und kulturelles Leben, Stadtgeschichte, die Gestaltung der Lebenswelt Stadt. Ob als bereits konkretes Vorhaben oder zunächst als Versuchsballon in die Öffentlichkeit lanciert: eine solche Investitionsabsicht ruft Reaktionen auf den Plan.

Die Hochhausdebatten in München der letzten hundert Jahre hatten jeweils eigene Thematiken. In den 20 Jahren ging es um hohe Häuser; eine der wenigen gebauten und das davon älteste ist das Alte Technische Rathaus, der Sitz des Planungsreferats an der Blumenstraße. Die Hochhausstudie 1977 steht im Zusammenhang mit Hochhausentwicklungen in den neuen Stadtteilen am Stadtrand (Neuperlach, Westkreuz, Fürstenried/Forstenried, Siemens-Wohnhochhäuser in Obersendling) sowie einigen markanten, architektonisch international beachteten Verwaltungshochhäusern in der Nähe des Mittleren Rings (BMW, HypoVereinsbank etc.). In den 1990er Jahren überrollten Investoren Stadtplanung und Politik gleichsam mit Hochhausplänen, die drohten, die bis dahin geltenden Ziele und Rahmensetzungen für den Bau von Hochhäusern in München zu schleifen; auch den beiden Hochhausstudien von 1996 gelang es nicht, einheitliche und stringente Vorgaben zu erarbeiten. Die extensiven Hochhauspläne riefen Widerstand in der Bevölkerung hervor. Erst ein Bürgerentscheid von 2004 erreichte, dass Hochhäuser in München eine ausreichende Distanz zur Altstadt und eine maximale Höhe einzuhalten haben, mit der sie die Türme der Frauenkirche nicht überragen. Wenngleich rechtlich nur ein Jahr bindend, hat dieser Hochhausentscheid seitdem ein solches Gewicht bei planungspolitischen Entscheidungen behalten, dass die Höhenentwicklung Münchens seither deutlich gedämpfter verläuft. Und dennoch gilt auch heute die Beobachtung, die Lutz Hoffmann, der ehemalige Leiter der Räumlichen Entwicklungs- und Flächennutzungsplanung im Planungsreferat, Ende der 1990er Jahre beschrieb: „Gegenwärtig erlebt München eine öffentliche Debatte, in der wieder einmal von Teilen der Architektenschaft, der Politik und der Medien die Provinzialität der Münchner Architektur beklagt wird. Der Planungsverwaltung wird vorgeworfen, durch zu enge städtebauliche Vorgaben und Bindungen die Entfaltungsmöglichkeiten für herausragende Architektur zu behindern. In diese Debatte ist auch die Hochhausfrage einbezogen mit der Tendenz, Hochhäusern in Zukunft eine größere Bedeutung für das moderne architektonische und städtebauliche Erscheinungsbild einzuräumen.“ (Hoffmann 2000)

Eine solche konzertierte Fürsprache für Hochhäuser ist insofern bemerkenswert, als es eigentlich keine rationalen Argumente gibt, die für Hochhäuser sprechen. Hochhaus-Sachverständige sind sich weitgehend einig: Höhe bringt nicht mehr Dichte; Hochhäuser sind Platzverschwender; Hochhäuser haben einen großen ökologischen Fußabdruck; Hochhäuser sind in Herstellung und Unterhalt sehr teuer; sie stellen auf Dauer ein hohes Risiko für die Eigentümer dar; Hochhäuser schaffen weder bezahlbaren Wohnraum noch urbanes Leben; und Hochhäuser beeinträchtigen die gewachsene Stadtästhetik (Bernhard). Damit könnte man das Thema Hochhäuser als bauliche Schnurren eigentlich beiseite legen. Gäbe es nicht zwei dem entgegen gerichtete Sachverhalte: Erstens suchen Kapitalsammelstellen, Investmentbanken und Vermögensverwaltungen, für das weltweit vagabundierende Finanzkapital mehr denn je nach profitablen Anlagebereichen. Schließlich wissen die vermögendsten Reichtums-Schichten nicht mehr wohin mit dem Geld, seitdem sie von Vermögenssteuern befreit und ihre Einkommens und Solidarabgabe“lasten“ bagatellisiert wurden. Horrend teure Bodenmärkte und luxuriöses Bauen stellen erweiterungsfähige Anlagesphären dar. Und je teurer das Investment, umso mehr Finanzmittel lassen sich dort einschleusen, zumal deren Herkunft oftmals nicht nach Transparenz sucht. – Und zweitens sind Hochhäuser für ihre Investoren vielfach das, was übergroße SUVs oder übermotorisierte Geschosse für den Automobilisten sind: erigierte Symbole für Macht-Gehabe, Potenz-Prothesen für zu kurz Gekommene. Zudem: Im Kampf um die „Stadtkrone“ mittels sich überbietender Bauten spiegelte sich in jeder der vergangenen Epochen immer auch der Kampf um die Dominanz privater Macht und gesellschaftlicher Herrschaft.

Dieses Standpunkte-Themenheft greift die Debatte um weitere Hochhäuser in München auf. Die meisten Beiträge beruhen auf Diskussionen im Arbeitskreis „Stadt: Gestalt und Lebensraum“, die zu einem Textreader „Hochhausdebatte 2020 – ein Meinungsbild“ zusammenstellt worden sind. Sie eint die Auffassung, dass, bevor über stadträumlich mögliche Standorte von Hochhäusern entschieden wird, wie sie von der „Hochhausstudie 2020“ evaluiert werden sollen, zunächst darüber debattiert werden muss, welches Grundverständnis über die stadtgesellschaftlichen Ziele, Aufgaben und Entwicklungsrichtungen München als Stadt, als Landeshauptstadt, als Stadt und Metropolregion eigentlich besteht und welche stadträumlichen und städtebaulichen Konsequenzen daraus gezogen werden sollen (siehe die Beiträge von Fochler S. 11 und Perret S. 9). Es sind Fragen, die ein novellierter Stadtentwicklungsplan („Perspektive München“ 2.0) ansatzweise beantworten müsste, bevor eine Hochhausstudie Vorschläge zur Verteilung von „Hochpunkten“ im Stadtgebiet unterbreitet. Der Bürgerentscheid 2004 mit dem Resultat einer eher formalen Kappungsgrenze für Hochbauten hat damals den politisch-administrativen Entscheidungsdruck um den Bau von Hochhäusern in München etwas genommen. Eine „Hochhausdebatte 2020“ wird sich aber nicht auf eine neue  Kappungsgrenze beschränken können. Stattdessen werden soziale, wirtschaftliche und kulturelle Fragen eine Rolle spielen, es wird vom „Selbstverständnis“ und vom „Selbstbild“ der Stadt München die Rede sein. Es sollten „Raumbilder“ von München (in seiner Großraumlandschaft) entworfen und Fragen gestellt werden müssen, welche Rolle Hochhäuser für welchen sozialen, wirtschaftlichen und ökologisch-klimatischen Nutzen, mit welchen mobilitätswirksamen Folgen – und auch von welcher Höhe – mit diesen Raumbildern vereinbar sind. Eine Reduktion der Aufgabenstellung, auf welchen Standorten und in welcher baulichen Nachbarschaft Hochhäuser in München kompatibel sind, wäre aber entschieden zu kurz gesprungen.

Autor:
Dr. Detlev Sträter, Dipl.-Soziologe und Stadt und Regionalplaner (lic.rer.reg.), ist 1. Vorsitzender des Programmausschusses des Münchner Forums.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 06./07.2020 zum Themenschwerpunkt “Neue Hochhäuser für München?”.

 

Zum Weiterlesen:

Hochhausstudie 2020 (Entwurf), bearb. 03 Architekten GmbH, Hg. Landeshauptstadt München/ Referat für Stadtplanung und Bauordnung, München, Januar 2020

Lutz Hoffmann: München: Hochhausdebatten im Banne der Kirchtürme. In: Hochhäuser in Deutschland. Zukunft oder Ruin der Städte? hrsg. von Marianne Rodenstein, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden o.J. (ursprünglich W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2000, S. 193-213).

Claudia Bernhard: Mythos Hochhaus Ein Diskussionspapier Sprecherin für Stadtentwicklung, Bau und Wohnen in der Bremischen Bürgerschaft Fraktion Die Linke

 

Bildquellen:

  • Münchner Wohnhäuser mit den Highlight Towers im Hintergrund: Rufus46, Wikimedia
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