Kommentar zur Bodenpolitik des Freistaats Bayern

| Florina Vilgerthofer |

„Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.“ – Bayerische Verfassung, Art. 106, Abs. 1

Der Verkauf von 33.000 bezahlbaren Wohnungen der staatlichen GBW an ein Investorenkonsortium vor nun elf Jahren ist und bleibt ein wohnungspolitischer Skandal, daran gibt es wohl kaum etwas zu rütteln. Zahlreiche Mieterinnen und Mieter wurden aufgrund des Verkaufs aus ihren angestammten Wohnungen verdrängt und Grundstücke in attraktiven Lagen für Bodenspekulation freigegeben. Trotz seit Jahren steigender Boden- und vor allem Mietpreise in den Ballungsgebieten und explizit im Großraum München gibt es kein Zeichen für eine Wende in der Bodenpolitik in Bayern, die den Schutz der Mieterinnen und Mieter und die Nutzung von Boden für gemeinwohltätige Zwecke in den Vordergrund stellen würde. Im Gegenteil: Immer noch verkauft der Freistaat Bayern Grund und Boden. Auch in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt und auch in München. Das Junge Forum hat das Ausmaß der Verkäufe im vergangenen Jahr mit dem Projekt „Der Große Ausverkauf“ erstmals durch eine interaktive Karte sichtbar gemacht.

Der Ausverkauf ist allerdings noch nicht beendet, auch weiterhin werden Grundstücke des Freistaats meistbietend an Private verkauft. Für uns Anlass, diese Bodenpolitik der bayerischen Staatsregierung noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen – und Möglichkeiten einer anderen, gemeinwohlorientierten Bodenpolitik aufzuzeigen.

Dawonia Eingangstür

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Denn: Wohnen – das ist die soziale Frage unserer Zeit. Mieten in München sind kaum jemals so rasant angestiegen wie in den vergangenen zehn Jahren. So betrug die durchschnittliche Netto-Kaltmiete in München 2015 noch 10,13 € pro Quadratmeter. Heute, im Jahr 2024, sind es 14,59 €. Das entspricht einer Steigerung knapp 44 %. /1/ Zu erkennen, dass steigende Mieten auch mit steigenden Bodenpreisen zusammenhängen, ist kein Hexenwerk. Alt-OB Vogel hat diesen Zusammenhang in seiner klugen Publikation von 2019 /2/ sehr gut dargestellt: 2020 betrug der prozentuale Anteil der Investition für den Bodenerwerb in München bis zu 70 % der Baukosten, heute eher 80 % /3/ – dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren ganz erheblich gestiegen. Fragt man Genossenschaften oder gemeinwohlorientierte Wohnbauunternehmen, was notwendig wäre, um bezahlbaren Mietraum zu schaffen, ist die Antwort: günstige Grundstücke. Das Fazit: Damit Mieten nicht weiterhin steigen, sind Instrumente wie der Mietspiegel, eine Kappungsgrenze, Umwandlungsverbote von Miet- in Eigentumswohnungen, Regularien für Sanierungen vor allem in Erhaltungssatzungsgebieten u.v.m. zwar notwendig und richtig. Sie sind aber bei weitem nicht ausreichend, wenn der Wert von Grund und Boden den Mechanismen des Marktes überlassen wird, dessen Ziel die Wertsteigerung ist.

Schon 1967 urteilte das Bundesverfassungsgericht:

„Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern. Der Grund und Boden ist weder volkswirtschaftlich noch in seiner sozialen Bedeutung mit anderen Vermögenswerten ohne weiteres gleichzustellen; er kann im Rechtsverkehr nicht wie eine mobile Ware behandelt werden.“ /4/

Aber zurück zum Freistaat Bayern. Ein Tropfen auf den heißen Stein, könnte man sagen, seien die Grundstücke an der Seidlstraße (verkauft an Apple, obwohl die Vergabe in Erbpacht möglich gewesen wäre) oder die Grundstücke in Untermenzing und Allach, die kürzlich ausgeschrieben waren. Eine dichte Bebauung mit Mehrfamilienhäusern ist hier nicht zulässig, und dass es nicht notwendigerweise Aufgabe des Freistaats ist, Einfamilienhäuser zu sanieren und zu vermieten, mag auch einleuchtend sein. Doch es gibt ein Instrument, das den Boden eben nicht für alle Ewigkeit dem freien Markt anheimfallen lässt: das Erbbaurecht. Mit der Vergabe in Erbpacht könnten die Grundstücke in den kommenden Jahren genutzt werden, würden aber nicht dem freien Markt übergeben. Mit fortschreitender Stadtentwicklung und perspektivischer Anpassung der Bauordnung könnte der Freistaat dort eben doch als Bauherr auftreten und bezahlbaren Mietwohnungsbau zu Verfügung stellen – eine zukunftsgewandte Bodenpolitik würde eine solche Nutzung nicht von vornherein ausschließen. In Bayern wird dieses Instrument bisher aber zu wenig genutzt.

An der Tagesordnung sind nach wie vor die Verkäufe zum Höchstpreis, wenn man sich die Ausschreibungen auf der Seite der Immobilienagentur des Freistaats, IMBY, anguckt. Doch warum vergibt der Freistaat Grundstücke nicht an Genossenschaften oder gemeinnützige Wohnbauunternehmen, zu bestimmten Bedingungen und günstigeren Preisen? Wenn man z.B. nach Österreich schaut, ins schöne Wien, stellt man fest: Ein Großteil der Wohnungen dort gehört entweder der Stadt Wien oder Genossenschaften. Beide sind damit wichtige Akteure bei der Preisgestaltung der Mieten, die Problematik rasant steigender Mieten und Immobilienspekulationen gibt es dort kaum. Warum sich nicht hier ein Beispiel nehmen und möglichst viel Grund in Ballungsräumen mit angespanntem Mietmarkt in die Hand von Akteuren geben, deren Ziel es ist, bezahlbare Wohnungen zur Verfügung zu stellen und nicht die eigenen Profite zu steigern? Worin begründet sich also der Verkauf an den oder die Meistbietenden?

 

Die Antwort auf diese Frage findet sich in der Haushaltsordnung des Freistaats:

In Art. 63 BayHO heißt es: „(3) Vermögensgegenstände dürfen nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden“. Und in Art. 81 der Bayerischen Verfassung steht: „Das Grundstockvermögen des Staates darf in seinem Wertbestand nur auf Grund eines Gesetzes verringert werden. Der Erlös aus der Veräußerung von Bestandteilen des Grundstockvermögens ist zu Neuerwerbungen für dieses Vermögen zu verwenden.“

Das sog. Grundstockvermögen des Freistaats, dazu gehören auch die Werte seiner Immobilien, darf also nicht kleiner werden – außer ein Gesetz bestimmt Ausnahmen. Und so eines gab es in Bayern schon mal: zwischen 1996 und 2004, das „Verbilligungsgesetz“. Es erlaubte dem Freistaat, Immobilien und Grundstücke, z.B. an Kommunen oder gemeinnützige Organisationen, günstiger abzugeben . Das Gesetz wurde aber nicht verlängert. Sollte es ein Anliegen der Bayerischen Staatsregierung sein, Grund und Boden an gemeinnützige Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften abzugeben und deren Ruf nach bezahlbaren Grundstücken nachzugeben – hier wäre ein möglicher Weg.

Denn Boden, der von Genossenschaften oder gemeinnützigen Wohnbauunternehmen bewirtschaftet wird, ist ebenfalls der Logik des Marktes entzogen und dient nicht als Spekulationsobjekt. Je mehr Grund und Boden einer gemeinwohlorientieren Nutzung zufließen, desto kleiner ist der Einfluss derer, die lediglich an Profitsteigerung interessiert sind. Dass dieses Modell vor allem für Grund und Boden in Ballungsgebieten Anwendung finden soll, versteht sich von selbst. Dass es eine der wenigen Möglichkeiten ist, den steigenden Preisen auf dem Wohnungsmarkt entgegenzuwirken, hoffentlich auch.
Es bleibt nur, den Freistaat wachzurütteln: Die bezahlbaren Wohnungen existieren zum Teil bereits, der Freistaat muss sie nur sozial gerecht nutzen.

Zum Weiterlesen:

/1/ Laut statista: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1410598/umfrage/entwicklung-der-mieten-in-muenchen-anhand-des-mietspiegels/ – Datengrundlage ist der Münchner Mietspiegel.

/2/ Vogel, Hans-Jochen: Mehr Gerechtigkeit!: Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar, 2019

/3/ Der Wohnungskrise auf den Grund gehen, Hintergründe und gewerkschaftliche Positionen für eine sozial gerechte Bodenpolitik, DGB, 2020

/4/ Bundesverfassungsgericht (1967): Das Bundesverfassungsgericht zur Problematik von Eigentum an Grund und Boden in einer Entscheidung vom 12. Januar 1967 (Auszug). In: Knirsch, Hanspeter (Hg.) (1972): Bodenrecht. Berlin: De Gruyter. S. 85f.

 

Autorin:
Florina Vilgertshofer, Kultur- und Medienmanagerin, war lange Jahre für die freie Theaterszene und verschiedene internationale Filmfestivals tätig. Seit 2018 ist sie Referentin für Kultur in der Landtagsfraktion der Bayerischen Grünen und selbst als Mandatsträgerin im Bezirksausschuss Maxvorstadt und im Bezirk Oberbayern aktiv. Im Arbeitskreis Junges Forum engagiert sie sich für eine gerechtere Bodenpolitik. Als geborene Münchnerin ist es ihr ein Anliegen, dass diese Stadt auch künftig für viele Menschen lebenswert bleibt.

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 04./05./06.2024 zum Themenschwerpunkt “Wohnen und Bodenpolitik”

 

Bildquellen:

  • Sanierte Eigentumswohnungen: Florina Vilgertshofer
  • Dawonia Eingangstür: Florina Vilgertshofer
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