Der Sport als Stadtgestalter am Beispiel München

| Paul Pfeilschifter |

Sportbauten dienen in erster Linie der aktiven Ausübung des Sports oder dessen passivem Konsum. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass diese auch eine darüber hinaus gehende Wirkung als Stadtgestalter haben und sich an ihnen zeigt, wie gesellschaftliche Trends die gebaute Umwelt formen – was auch am Beispiel Münchens deutlich wird.

Ein Rasenloch am falschen Ort, ein zu hartes Basketballbrett, eine zu rutschige Laufbahn: Dass Qualitäten der jeweiligen Sportstätte massiven Einfluss auf die Ausübung des Sports nehmen können, ist unbestreitbar. Bei vielen Sportarten besitzen manche dieser Eigenschaften deshalb gar einen quasi mythischen Status – man denke nur an das „heilige Grün“ von Golfplätzen. Doch auch das Erleben des Publikums hängt nicht nur von der sportlichen Qualität ab, denn ein unbequemer Sitz oder schlechte Sicht trüben selbst die tollste Darbietung. Doch in letzter Konsequenz die Beschaffenheit von Sportstätten nur als Variable für die Qualität von dessen Ausübung wie Konsum zu betrachten, unterschlägt eine ihrer bedeutsamsten Wirkungen.

Sportbauten als Einflussfaktoren auf die ganze Stadtgesellschaft

Denn diese Bauten formen nicht nur durch ihre auf die sportliche Aktivität bezogenen Funktionen unsere Lebensqualität. Nein, vielmehr können sie als Teil der gebauten Umwelt Einfluss auf die gesamte Stadtgesellschaft entfalten und damit nicht nur auf die direkt am Sport Beteiligten. Die Wege, die dieser Einfluss nehmen kann, sind dabei umfassend – angefangen von der Rolle als Quelle lokaler Identität, die viele Sportstätten durch ihre Prägung ds Stadtbilds einnehmen, über das Potenzial für alternative Nutzungen wie Konzerte oder Versammlungen bis hin zur ökonomischen und ökologischen Bedeutsamkeit bei der Konkurrenz um Flächen und Nutzungen.

Dass Sportbauten diese Rolle als Stadtgestalter nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch einnehmen, liegt im gestiegenen Stellenwert begründet, den der Sport in den letzten 150 Jahren erreicht hat – und wird durch die Entwicklung Münchens in diesem Zeitraum hervorragend illustriert. Denn noch zur Mitte des 19. Jahrhunderts galten nur klassische, zuvor oft dem Adel vorbehaltene Aktivitäten wie Jagen und Reiten als Sport |1|. Ganz in diesem Sinne wurde z. B. in München die Theresienwiese ab 1810 als Austragungsort für Pferderennen genutzt Bereits hier wird jedoch offenkundig, dass die Wirkung einer Sportstätte nicht nur auf den Sport an sich begrenzt bleiben muss. Denn das Fest, das das alljährliche Pferderennen begleitete, überstieg in seiner Bedeutung bald schon das Rennen selbst und entwickelte sich als „Oktoberfest“ zum größten Volksfest der Welt.

Gemälde der Theresienwiese von Wilhelm von Kobell

Gemälde der Theresienwiese von Wilhelm von Kobell

Der Ursprung des modernen Sports

Geburtsort des modernen Sports war dann vor allem England zur Mitte des 19. Jahrhunderts |2|. Dort hatte sich bereits in gehobenen Schichten eine Form körperlicher Aktivität entwickelt, die im Gegensatz zum auch auf dem Kontinent praktizierten Turnen auf Konkurrenz, Rekord und Leistung ausgelegt war |3|. Im Rahmen der beginnenden Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts „schwappte“ diese Form der Aktivität dann auch auf ärmere und weniger betuchte Kreise über. Auslösend hierfür war das Zusammentreffen von durch die industrielle Arbeit entstandener Freizeit, einem Wunsch der Arbeiter nach Ausgleich und Zerstreuung sowie der von Unternehmensseite verfolgte Wunsch nach einer „sanften“ Disziplinierung durch den Sport, bei dem das Befolgen von Regeln spielerisch eingeübt wurde. Deshalb waren die ersten Sportclubs oft Werkssportvereine |4|.

Mit der Zeit erreichte dieser Trend auch Kontinentaleuropa, traf perfekt einen um die Jahrhundertwende veränderten Zeitgeist und wurde – trotz anfänglicher Skepsis und Amüsement – ungemein populär |1,2|. Nicht zufällig fallen die ersten olympischen Spiele der Neuzeit von 1896 genau in diesen Kontext (auch wenn deren Austragung noch weitere Gründe hatte |5|). Ausdruck des dadurch gestiegenen Bedarfs nach Sportstätten ist in München u. a. das 1901 erbaute Müllersche Volksbad. Gerade an diesem zeigt sich die enge Verflechtung von Indus-trialisierung und Sport zu dieser Zeit, da der Spender Karl Müller der Stadt explizit die Forderung auferlegte, ein Bad für die weniger wohlhabenden Teile der Stadtgesellschaft zu errichten |6|.

Müllersches Volksbad

Müllersches Volksbad

Von Machen zum Zusehen: Sport als Publikumsmagnet

Doch während bis dato der Fokus vor allem auf der eigenen Aktivität lag, stand die Entwicklung des Sports hin zum elektrisierenden Massenphänomen bereits vor der Tür. Denn bald entdeckten Medien wie Zeitung und später v. a. das Radio den Sport für sich, was eine wachsende Popularität einzelner Personen und Mannschaften ermöglichte, die zu einer bis heute fortschreitende Professionalisierung führte |7|. Dem dadurch entstehenden Bedarf nach Sportstätten, in denen der Sportkonsum im Vordergrund stand, wurde in München 1911 Rechnung getragen durch den Bau des städtischen Stadions an der Grünwalder Straße auf einer vormals landwirtschaftlich genutzten Fläche. Wie das Müllersche Volksbad ist es nach mehreren Umbauten und Sanierungen bis heute in Betrieb.

In den folgenden Jahrzehnten setzte sich diese Entwicklung – unterbrochen von den beiden Weltkriegen – fort. Wie ein immer stärker werdender Sog steigerte sich die Popularität des Sports und immer neue Sportarten wurden kreiert, sodass irgendwann ganze Sportparks entstanden. Als Paradebeispiel hierfür kann der für die 1972 ausgetragenen Sommerspiele errichtete Münchner Olympiapark dienen. Und auch hier wird deutlich, dass Sportstätten mehr können, als nur ihre Kernfunktion zu erfüllen. Denn heute, mehr als 50 Jahre nach Ende der Spiele, können wahrscheinlich nur kleine Teile der Münchner Bevölkerung behaupten, den Olympiapark noch nie als Erholungs-, Kultur- oder Veranstaltungsort genutzt und damit von seinen ungemein großen Qualitäten profitiert zu haben.

Mittlerweile hat die seit langem anhaltende Popularität des Sports sogar den Punkt erreicht, an dem Sportstätten abgerissen und ersetzt werden. Aktuell zeigt sich dies am SAP Garden, der gerade am Ort des olympischen Radstadions errichtet und im Herbst eröffnet wurde. Doch oft werden alte Sportstätten nicht unbedingt abgerissen, falls sie neuen Ansprüchen nicht genügen, sondern durch Neubauten ergänzt. So wurde in München mit Blick auf die Fußball-WM 2006 die Allianz Arena errichtet, die nun als markantes, identitätsstiftendes Merkmal den nördlichen Stadteingang ziert. Gerade derartige Ergänzungen führen dazu, dass die Rolle des Sports als Stadtgestalter weiterwächst, da erstens mehr Sportbauten die Stadt durchziehen und zweitens eine Funktionsverschiebung wie im Fall des vormals vor allem für Fußball genutzten Olympiastadions möglich wird. An der Allianz Arena lässt sich der Popularitätszuwachs des Sports auch in Zahlen festhalten: Während 1920 im Grünwalder Stadion mit 8.000 Besuchern der damalige Zuschauerrekord für ein Fußballspiel in München aufgestellt wurde, pilgern mittlerweile beständig 75.000 Fans in die Allianz Arena |8|.

Sport als Stadtgestalter obersten Rangs

Zusammenfassend zeigt sich, dass Sportstätten einer der Gründe sind, wieso Sport uns alle betrifft, da sie eine umfassende Wirkung auf Stadt und Gesellschaft entfalten. Gleichzeitig liefern sie einen eindrucksvollen Beweis dafür, wie verzahnt gesellschaftliche Trends und gebaute Umwelt sind und unterstreichen damit die These des Philosophen Michel Foucault, dass daraus entstandene Machtverhältnisse den Raum ordnen |9|. Dabei ist die Rolle als Stadtgestalter, der über seine eigentliche Funktion hinauswirkt, für den Sport natürlich weder neu noch exklusiv. So sind noch heute römische Amphitheater zu bestaunen, und vormals als exklusive Herrschaftssitze genutzte Schlossanlagen sind Orte für Erholung und Veranstaltungen – von der Hochzeit bis zum Konzert. Doch ebenso klar ist es, dass der Sport in der ersten Liga dieser Stadtgestalter spielt. Denn wo sich für Münchens Stadtbild bedeutende Architekten wie Joseph Effner und Leo von Klenze auf Adels- oder Museumsbauten konzentrierten, designt die erste Riege moderner Architekten längst auch für den Sport. So stehen allein in München mit dem Olympiadach und der Allianz Arena zwei Sportbauten, die von mit dem „Architektur-Oscar“, dem Pritzker-Preis, ausgezeichneten Architekten entworfen wurden (Frei Otto sowie Herzog & de Meuron). Es wird also sehr wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit sein, bis auch in München wieder die nächste bedeutende Sportstätte entsteht – und bis dahin lässt sich die Zeit ja gut in den bereits existierenden vertreiben.

Der Autor:

Paul Pfeilschifter, M.Sc. Umweltingenieurwesen, ist freiberuflich tätig mit Schwerpunkt auf nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung. Seit 2024 ist er Mitglied im Programmausschuss des Münchner Forums.

 

Zum Weiterlesen:

|1| Michelangelo von Zois (1908): Das Training des Rennfahrers; Berlin

|2| Michael Maurer (2011): Vom Mutterland des Sports zum Kontinent: Der Transfer des englischen Sports im 19. Jahrhundert; Institut für Europäische Geschichte (IEG); URL: https://www.ieg-ego.eu/maurerm-2011-de

|3| Michael Maurer (2010): Die Entstehung des Sports in England im 18. Jahrhundert; Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz; URL: https://www.ieg-ego.eu/maurerm-2010a-de

|4| Allen Guttmann (1979): Vom Ritual zum Rekord: das Wesen des modernen Sports; Hofmann-Verlag; ISBN 3778066315

|5| David C. Young (1996): The Modern Olympics; Johns Hopkins University Press; ISBN 0801853745

|6| Günter Standl, Rupert Bachmann (2001): Müller’sches Volksbad; Rosenheimer Verlagshaus; ISBN 347553164X

|7| Matthias Marschik (2007); Sport und Medien – Mediensport; in: medienimpulse; Heftnummer 62; URL: https://matthiasmarschik.at/wp-content/uploads/2022/01/MM_Sport_und_Medien_Mediensport_2007.pdf

|8| Roman Beer (2011): Kultstätte an der Grünwalder Straße; Verlag Die Werkstatt GmbH; ISBN 3895337803 |9| René Kreichauf (2017): Michel Foucault: Raum als relationales Mittel zum Verständnis und zur Produktion von Macht; S. 411–433 in: Frank Eckardt (2017): Schlüsselwerke der Stadtforschung (2017); Springer Verlag; ISBN 978-3-658-10437-5

 

Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 10./11./12.2024 zum Themenschwerpunkt “München und der Sport”

 

Bildquellen:

  • Allianz Arena: Michael 2015 / Wikimedia Commons
  • Gemälde der Theresienwiese von Wilhelm von Kobell: Wilhelm von Kobell / Wikimedia Commons
  • Müllersches Volksbad: Michael Lucan / Wikimedia Commons
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