| Michael Schneider |
Euphorisch, so lässt sich die Stimmung im Sommer 2018 beschreiben, als Dr. Jürgen Büllesbach, damals Geschäftsführer der Bayerischen Hausbau, Verkehrsministerin Ilse Aigner und Oberbürgermeister Dieter Reiter ihre Idee vorstellten: Eine Seilbahn über dem Frankfurter Ring sollte dem Stau entschweben und ein neues Kapitel in der Münchner ÖPNV-Planung aufschlagen.
Jahrzehntelang steckte München in der immergleichen Planungsroutine von U-Bahn, Tram und Bus fest. Alles wie immer, alles erwartbar. Die verdienstvolle Initiative für eine städtische Seilbahn hatte das Zeug dazu, diese Routinen zu durchbrechen – und war auch deshalb von der Stadtverwaltung vom ersten Tage ungeliebt. Doch dazu später mehr.
Der große Optimismus, wenn es um Seilbahnen ging, war wichtig: ÖPNV kann auch Spaß machen, neue Strecken können auch in wenigen Jahren fertig werden, günstige Baukosten und geringe Betriebskosten inklusive. Gute Nachrichten in einer Zeit, in der sich die 2. S-Bahn-Strecke längst zum Skandal auswuchs und beim innerstädtischen ÖPNV-Ausbau Stillstand herrschte. Es war klar, dass diese Euphorie die Seilbahn-Untersuchung einige Zeit tragen würde, über Zweifel und berufsmäßige Bedenkenträgerei hinweg, aber eben auch, dass die Euphorie eines Tages auf die Wirklichkeit trifft.
Nachdem das Planungsreferat, das Mobilitätsreferat und die MVG die Seilbahn über dem Frankfurter Ring in ihre Planungsroutinen überführt hatten, wurde sie nach allen Regeln der Kunst verwaltungsmäßig abgehandelt, mit Varianten nach Moosach, in die Fasanerie oder über die Isar nach Unterföhring. Im März 2024 dann der Beschluss im Stadtrat: Das Projekt Seilbahn wird nicht weiterverfolgt, zu hohe Kosten von 433 Mio. EUR und zu geringer verkehrlicher Nutzen. Operation erfolgreich, Patient tot. Dabei zeigte die Untersuchung doch nur eines: Genau hier, am Frankfurter Ring, war die untersuchte Seilbahn gesamtwirtschaftlich nicht sinnvoll, nicht mehr, nicht weniger.
Dass die Kosten der Seilbahn über dem Frankfurter Ring so hoch geschätzt wurden, ist leicht zu erklären – alternativlos wurde das teuerste Seilbahn-System, die Dreiseilumlaufbahn (3S-Bahn) untersucht. Begründet wurde das von der Landeshauptstadt damit, dass die Seilbahn für alle vollständig barrierefrei nutzbar sein muss, dass die Kabinen groß genug sein müssten, dass darin auch Elektrorollstühle Platz finden und gewendet werden könnten. Diese Absicht wird vom Gedanken der Inklusion getragen und ist auch im Nahverkehrsplan verankert, aber wie ernst wird sie an anderer Stelle genommen? Heute, 2025, sind im Münchner Trambahnnetz weniger als ein halbes Dutzend Haltestellen vollständig barrierefrei ausgebaut. Die Latte wurde für die Seilbahn sehr hoch gelegt, während es im Rest des ÖPNV-Netzes im üblichen Trott ruhig weiterlaufen kann. Barrierefreiheit im Bestand? Schwierig, schwierig. Wenig überraschend wird auch eine Seilbahn sehr teuer, wenn der Goldstandard der 3S-Bahn schon vor der eigentlichen Untersuchung als gesetzt gilt: die klimatisierten Kabinen , die Betriebskosten, die Stützen und natürlich auch die Stationsgebäude, die beim Goldstandard nicht nur teurer, sondern auch viel länger werden und sich damit an den Kreuzungspunkten nur noch mit Mühe städtebaulich in die bestehenden Straßen und Häuser einfügen lassen.
Als aufmerksamer Betrachter konnte man schon den Eindruck haben, die Seilbahn würde deshalb so gründlich untersucht, um sich anschließend nie mehr mit ihr beschäftigen zu müssen. Fast ein wenig pflichtschuldig nach dem ganzen Aufwand liest sich im Beschluss des Mobilitätsausschusses vom 13.03.2024 der Satz: „Das System Seilbahn wird weiterhin als alternatives Verkehrssystem daraufhin geprüft, ob es im Stadtgebiet, beziehungsweise in Verbindung mit der Region, Strecken gibt, die einen verkehrlichen Nutzen zu vertretbaren Kosten bringen.“
Wie man es besser macht, zeigt die vergleichende Untersuchung neuer U-Bahn-, Trambahn- und Seilbahnverbindungen, die der Landkreis München zwischen 2020 und 2022 durchgeführt hat. Dort wurden in den vier Teilräumen (Nord, Ost, Süd und West) nicht weniger als 60 Verbindungen untersucht, davon etwa 20 ganz unterschiedliche Seilbahn-Verbindungen: lange Tangentialen, kurze Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, die letzte Meile von der S-Bahn-Station in die Gemeinde. Alle Seilbahn-Systeme waren vertreten: Einseilumlaufbahn, 3S-Bahn, Pendelseilbahn, und dabei wurden auch noch Systemvergleiche mit Tram oder Bus gerechnet. Auch hier traf Euphorie auf Wirklichkeit, es ließ sich aber, anders als am Frankfurter Ring, viel daraus lernen. Dass die Seilbahn geringere Betriebskosten haben würde als eine Tram, ließ sich nicht zeigen. Gerade das war in Zeiten steigender Kosten für Personal und Technik im ÖPNV die große Hoffnung gewesen. Dafür gab es richtige Überraschungen: Eine Pendelseilbahn von Pullach nach Grünwald schnitt so gut ab, dass sie ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von über 1 erzielte und sofort von Bund und Land nach GVFG mit bis zu 90% der Kosten gefördert werden könnte. Als ungünstig erwies sich, dass die Ergebnisse der Studie 2021 und 2022 voll in die Corona-Pandemie fielen. Medial lag die Aufmerksamkeit bei Impfzentren, Distanzunterricht und neuen Lockdown-Maßnahmen. Auch die anfänglich starke Euphorie der Kreispolitik war in der zähen Corona-Zeit ab Herbst 2021 geschwunden. Trotzdem: Der Kreistag München und Landrat Christoph Göbel waren damals mutig und entschlossen, eine echte vergleichende Untersuchung zu beauftragen, damit alle etwas daraus lernen konnten – weit über die Kreisgrenzen hinaus.
Die ÖPNV-Welt hat sich seither weitergedreht. In Toulouse wurde 2022 eine innerstädtische Seilbahn mit drei Stationen eröffnet, in der Bundesstadt Bonn wird mit großem Engagement eine lange Seilbahnverbindung mit fünf Stationen geplant. Übrigens: Die Seilbahn Bonn wird als Einseilumlaufbahn geplant, ein international bekannter und bewährter Standard, und zu einem Bruchteil der Kosten einer 3S-Bahn. Gerade übernimmt das erfahrene Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE die Programmsteuerung für die Bonner Seilbahn von der Stadtverwaltung. Auch wenn noch zahlreiche Untersuchungen anstehen, soll das Genehmigungsverfahren in nicht allzu ferner Zukunft starten. Stadtrat und Landesregierung stehen voll hinter dem Projekt.
In München ist das Versprechen, das der Mobilitätsausschuss des Stadtrats am 13.03.2024 gegeben hat, weiterhin uneingelöst. Die Seilbahn kann mehr – sie ist nicht nur ÖPNV-Verkehrsmittel, sondern auch fahrende Fuß- und Radwegbrücke, sie sorgt für Verbindung über natürliche und künstliche Hindernisse hinweg.
Räume der Mobilität, das ist der Titel der IBA 2024-2034 in der Metropolregion München – und eine erstklassige Chance für Initiativen aus der Stadtgesellschaft, der Idee einer urbanen Seilbahn für München wieder Flügel zu verleihen.
Der Autor:
Michael Schneider ist Politikwissenschaftler (M. A.) und Dipl.-Verwaltungswirt (FH). Er ist seit Mai 2023 Programmausschuss-Vorsitzender des Münchner Forums. Er arbeitet in der Regierung von Oberbayern im Sachgebiet Kommunales Finanzwesen.
Dieser Text stammt aus dem Online-Magazin STANDPUNKTE 07./08./09.2025 Scheitert die Mobilitätswende?
Bildquellen:
- Urbane Seilbahn in Berlin: Michael Schneider