Das Bürgergutachten – und was nun?
Da liegt sie, die „Bibel“ zum Kunstareal München (Valentin Auer), mit Grußwort des (Alt-) Ober- bürgermeisters Ude, einer Einführung der Stadtbaurätin zum „Dialog über die Stadt“ und mit 89 Bürgerempfehlungen zur künftigen Entwicklung des Kunstareals, zusammengefasst durch die Gesellschaft für Bürgergutachten (gfb), gelobt von der Fachwelt und Politik, bestätigt durch eine öffentliche Evaluierungs-Veranstaltung im Amerikahaus im Mai 2015. Eigentlich alles „auf gutem Weg“? Nicht ganz! Denn warum dauert die Prüfung und Realisierung der Bürgerempfehlungen so lange? Wo hakt es? Was könnte, was müsste getan werden, damit die Ergebnisse im Areal endlich sichtbarer werden?

These 1: Das Bürgergutachten Kunstareal braucht eine systematische Nachverfolgung und die Einforderung der getroffenen Vereinbarungen.
Zugegeben, es gibt wichtige Fortschritte im Kunstareal: vor allem die Wiederbesetzung der Koordinationsstelle mit zwei exzellenten Kulturmanagerinnen, die lange umkämpfte Stadtratsentscheidung zur Verkehrsberuhigung (Modifizierte Alternative 5), die baldige Aufstellung des Begleitsystems oder die Ausschreibung eines „Masterplans“ zur Grün- und Freiflächengestaltung im Areal. Andere Bürgerempfehlungen zur Verkehrsberuhigung, zum Boulevard Arcisstraße oder zu einem neuen Informationszentrum in der TU-Mensa sind gewiss nicht sofort umsetzbar. Sie liegen im Zuständigkeitsbereich diverser städtischer und staatlicher Stellen und erfordern einen hohen Abstimmungsbedarf. Doch teilweise werden Zuständigkeiten zwischen Museen, Verwaltungen und „der Politik“ hin- und hergeschoben; Planungen eines Referats greifen mit Planungen eines anderen nicht ineinander. Manche Akteure verlieren sich in der Darstellung von „Weltbildern“, andere in gestalterischen Details. Im „Ergebnis“ (oder „Nicht-Ergebnis“) dauern die Prüfungen und Umsetzungen der Bürgerempfehlungen allgemein zu lange. Droht hier ein „Zerfall der Öffentlichkeit“, ein Rückfall in die Routinen der Verwaltungen?
Die Nachverfolgung von Bürgergutachten ist überall in der Bundesrepublik Neuland. Auch die Landeshauptstadt München hat mit dieser Form der Bürgerbeteiligung und des Demokratieverständnisses neue Wege eingeschlagen. Wir plädieren hier weder für eine permanente „Bürgerwerkstatt“ noch für eine eigenständige „Kunstareal-Agentur“, schon gar nicht für die Privatisierung öffentlicher Steuerungsaufgaben. Mit der Wiederbesetzung der Koordinationsstelle ist ja ein guter Neustart gemacht. Die Arbeitsweisen werden neu strukturiert. Neue Arbeitsgruppen werden gebildet (AG Verkehr, AG Grünflächen), weitere AGs sollen folgen. Wir wünschen den beiden Koordinatorinnen nun lösungs-, konsens- und entscheidungsstarke Mitstreiter, welche die Bürgerempfehlungen ernst nehmen, in Projekten umsetzen und getroffene Vereinbarungen einfordern; dazu freie Hände für eine absolut offene Informationspolitik über laufende Arbeitsthemen und konkrete Arbeitsfortschritte (oder Blockaden) und Aufnahmebereitschaft für kritisch-konstruktive Anstöße aus der Öffentlichkeit. Das Kunstareal muss ein öffentliches Anliegen bleiben! Dazu gehört nicht zuletzt eine sichtbare räumliche Unterbringung der Koordinationsstelle im Kunstareal und eine rechtzeitige Fortsetzung ihrer Arbeitsverträge über 2017 hinaus.

These 2: Eine Hauptforderung des Bürgergutachtens ist und bleibt die lebendige Kommunikation, Zusammenarbeit und Vernetzung im Kunstareal: das „Kunstareal als Einheit“.
Auch hier zunächst die Erfolge: Die Vernetzung der Akteure im Kunstareal ist enger geworden – nicht zuletzt durch das Bürgergutachten. Alle Museumsleitungen bekennen sich zur Einheit in Vielfalt und zur Vernetzung im Areal. Das Kunstareal München „präsentiert“ heute nicht nur seine Artefakte aus „5.000 Jahren Menschheitsgeschichte“ an sich; die Präsentationen werden auch stärker „prozess-“ und „besucherorientiert“ („Wie kommt die Kunst an die Wand?“, „Was bewegt die Menschen beim Besuch im Kunstareal?“, „Wie spiegeln sich persönliche Erfahrungen der Besucher an den Werken?“). Hochschulinstitute und Museen entwickeln interdisziplinäre Programme. Die Kunstvermittlung gewinnt an Bedeutung; sie greift aktuelle gesellschaftliche Themen auf. In der Pinakothek der Moderne wurde kürzlich der Kunstvermittlungsraum ‚Temporär I‘ eröffnet. In den Museen und ihrem Umfeld entwickelt sich eine Vielfalt von Veranstaltungen. Erstaunlich, wie der „alte“ Königsplatz z.B. bei Konzerten mit Herbert Grönemeyer (plus OB Reiter) zum „Forum der Zeitgeschichte“ wird. Da werden die üblichen Debatten über Verkehrsumleitungen, Platzsperren und Grünflächenpflege plötzlich nachrangig.
Im täglichen Umgang erscheint die neue Einheit des Kunstareals allerdings noch entwicklungsfähig. Das künftige Internetportal und das „Begleitsystem“ werden sich schwer tun, „Kunst“ – wie es im Bürgergutachten heißt – „gastlich erlebbar zu gestalten“ und dafür zu sorgen, dass das Areal als das „einladendste Stadtviertel“ wahrgenommen wird. Es sollte ein zentraler Ort eingerichtet werden, an dem Besucher empfangen und zu aktuellen Angeboten beraten werden können. Zur Präsentation des „Kunstareals für Jedermann“ gehören Informationsformen, die der gesellschaftlichen Bandbreite Rechnung tragen und Menschen einbeziehen, die nicht mit dem Internet umgehen oder durch Behinderungen eingeschränkt sind, einschließlich der Themen rund um die Inklusion. Gibt es in den Häusern überall gastliche Räume für Begrüßungen, Einführungen und Gruppenarbeit? Oder wäre zunächst ein zentral angeordneter Kunstvermittlungsraum ein Beitrag dazu? – In den Eingangs- und Ausstellungsbereichen wünscht man sich mehr „Willkommenskultur“, bei manchen Führungen mehr „Gesprächskultur“. Manche Rezeptionistin ist ratlos, welche Einrichtungen eigentlich zum Kunstareal gehören. Auf die Frage, ob es bereits ein „Kunstareal-Ticket“ für alle Museen gibt, antwortet sie entrüstet: „Nie!“ Hier könnten Aus- und Weiterbildungen aller Mitarbeiter, Besucherbefragungen und ein gemeinsames Quartiers- und Qualitätsbewusstsein hilfreich sein, den offenen, kommunikativen Geist des Kunstareals und die Vision einer „Agora“ spürbar zu machen.

These 3: Wichtig ist eine stärkere Integration des Kunstareals in die Maxvorstadt und eine engere Anbindung an die Innenstadt.
Das Kunstareal ist mehr als ein 500 x 500 m großes Planquadrat; es lebt von seiner Einbettung in das attraktive urbane Umfeld der Maxvorstadt vom Siegestor bis an den Odeonsplatz und darüber hinaus. Hier wohnt, arbeitet und verbringt man gerne seine Freizeit; die Hotels, Restaurants, privaten Galerien und Kultureinrichtungen verstehen sich als Teil des Museumsquartiers. Der geistige Raum wirkt identitätsstiftend. Die Übergänge zwischen Areal und Maxvorstadt sollten sich fließend darstellen und nicht als Abgrenzungen verstanden werden, vor allem weil zahlreiche unentdeckte Synergien zwischen dem Kunstareal und seinen Nachbarschaften existieren.
In diesem Sinn regen wir an, die Stiftungen, Foren und Kultureinrichtungen, vor allem den Bezirksausschuss und wichtige Verbände kontinuierlicher in den Dialog einzubeziehen. Die Anlässe und Formate können variieren, wobei Informationsveranstaltungen zum Stand der Umsetzung des Bürgergutachtens in angemessenen zeitlichen Abständen wünschenswert wären.
Derzeit geht es uns mit den Anrainern am Altstadtring Nordwest um die Neugestaltung des Oskar-von-Miller-Rings und der Gabelsbergerstraße zwischen Markuskirche und Landesbank als „Entree zum Kunstareal“, um eine attraktive Wegeverbindung vom Kunstareal zum Odeonsplatz und die Einbindung in ein innerstädtisches Orientierungssystem. Weitere Verbindungen zum Alten Botanischen Garten und zum Hauptbahnhof sollten sobald wie möglich folgen.
Noch stehen viele „Hausaufgaben“ aus dem Bürgergutachten an. Im Sommer 2017 wird ein 3. Kunstareal-Fest stattfinden, organisiert durch die Koordinierungsstelle Kunstareal – eine gute Gelegenheit, fast vier Jahre nach dem Bürgergutachten und zwei Jahre nach der Evaluierungsveranstaltung im Amerikahaus erneut Bilanz zu ziehen.

MARTIN FÜRSTENBERG UND RENATE KÜRZDÖRFER

Martin Fürstenberg ist Leiter und Renate Kürzdörfer Mitwirkende im AK Maxvorstadt/Kunstareal im Münchner Forum e.V.

Hinweis:
Das Bürgergutachten Kunstareal München und die Dokumentation der Evaluierungsveranstaltung zum Bürgergutachten sind im Internet abrufbar unter https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Stadtplanung-und-Bauordnung/Projekte/Kunstareal/Buergergutachten.html

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