Pessimisten haben es geahnt: Wie uns zu Ohren gekommen ist, soll in einer Geheimaktion, in nicht-öffentlicher Sitzung am kommenden Dienstag, den 7. November 2017, ein wesentlicher Teil des letzten Filetgrundstücks in der Münchner Altstadt, das sich im Eigentum der Landeshauptstadt München befindet und zur Nachnutzung ansteht, per Stadtratsausschuss-Beschluss an einen kommerziellen Nutzer für 60 Jahre im Erbbaurecht vergeben werden. Damit wäre der Weg so gut wie versperrt, an dieser sich hervorragend eignenden Stelle, dem sog. Sattlerplatz, einen zentral gelegenen, architektonisch-baulich innovativen Ort für vielfältige bürgerschaftliche, soziale und kulturelle Nutzungen zu gestalten (s. Standpunkte 6.2017).

Dass das sog. „Hirmer“-Parkhaus zwischen Färbergraben, Sattlerstraße und Fürstenfelderstraße, auf städtischem Grund stehend, abgerissen werden soll, ist seit Jahren bekannt. Bekannt ist auch, dass die Nachnutzung des Areals zwei Baublöcke vorsieht. Der eine Baublock schließt – wie bisher – an die westlich davon gelegene Bestandsbebauung direkt an, dann soll ein weiterer Durchgang zwischen Färbergraben und Fürstenfelder Straße entstehen. Östlich davon ist ein weiterer Block vorgesehen, der sich weiter als bisher nach Osten auf den sog. Sattlerplatz bis an die Stellflächen des ehemaligen Postgebäudes schiebt, wodurch nach Verkauf der Immobilie an die Fa. Inselkammer diese zum privaten Vorgarten geworden sind. Und natürlich sind die Begehrlichkeiten groß, scharren die Investoren mit den Hufen und blähen ihre Nüstern, wenn eine solche Fläche im Herzen der Stadt zur Neunutzung und Neugestaltung ansteht. Aber da die Stadt München, also die Stadtgesellschaft Eigentümerin des Grundstücks ist, wäre sie auch die Herrin eines Verfahrens, an dieser Stelle einen Kontrapunkt zu setzen gegen die überkommerzialisierte Innenstadt, wo globale Handelsketten, internationale Anwaltsfirmen und Finanzdienstleister sowie Wohndomizile von mehreren hundert Quadratmetern und untergenutzte „Opernwohnungen“ dabei sind, dem bezahlbaren Wohnen und Leben in der Innenstadt endgültig den Garaus zu machen. Denkbar wäre daher auch, dass an dieser Stelle die Stadt beispielgebend bezahlbares Wohnen in der Altstadt vorbildhaft praktiziert und/oder anderswo verdrängtem traditionellen Versorgungsgewerbe zu günstigen Konditionen – wie im Rathaus am Marienplatz, wie im derzeit zur Sanierung anstehenden Ruffinihaus am Rindermarkt – eine neue Heimstatt bietet. Aber: nichts davon!

Stattdessen nun: Wieder mal derselbe Aufguss. Das Areal soll „hochwertig nachgenutzt“ werden. Da weiß man, was dann kommt: wieder teurer Einzelhandel, wieder teure Büronutzung, wieder mal der unspezifizierte Flächenschlüssel von 20 bis 30 Prozent „Wohnen“; da sieht man vor dem inneren Auge schon die nächsten Opernwohnungen ins Kraut schießen … Und man reibt sich die Augen: Weder das Planungsreferat, das für die Bebauungsplanung zuständig ist, noch das Kommunalreferat, das die städtischen Grundstücke verwaltet und Erbbaurechtsverträge abschließt, sondern das Referat für Arbeit und Wirtschaft beruft den Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft ein, um unter dem Label der „Gewerbeförderung“ (sic!) den ersten Komplex der Nachnutzung an Hirmer zu vergeben – einschließlich der Errichtung einer Tiefgarage unter dem gesamten neu zu bebauenden Areal. (Offenbar sind hier Nutzungen vorgesehen, die eine Klientel in die Altstadt – das mit öffentlichem Nahverkehr best-erschlossenste Stadtgebiet – locken soll, welche – wie man weiß – mit dem ÖPNV partout nichts am Hut hat.) Hat sich doch die Haltung bei Politik und Verwaltung seit einigen Jahren durchgesetzt, alle Wünsche des Handels nach Flächenmehrung und (Um-)Bauerweiterungen mit dem Hinweis auf den Internet-Handel, der den Münchner Traditionsunternehmen das Leben immer schwerer mache, umstandslos durchzuwinken (s. Arkaden der Alten Akademie).

Hirmer ist in der Tat ein Münchner Traditionsunternehmen der Herrenbekleidung, dessen Logo seit Jahrzehnten auch am noch stehenden Parkhaus prangt. Dass es sich bei Hirmer um ein notleidendes angestammtes Handelsunternehmen handelt, um das sich die städtische Gewerbeförderung kümmern müsse, war bisher nicht bekannt. Bekannt ist hingegen, dass das traditionelle Herrenbekleidungsunternehmen Teil der als erfolgreich geltenden Hirmer-Gruppe ist, zu der auch das Bekleidungsunternehmen Eckerle sowie Hirmer Immobilien GmbH & Co KG mit Sitz in Andechs gehören. Dieses ist in 18 deutschen Großstädten mit Standorten vertreten, dazu gehören 11 Hirmer-Ladengeschäfte – „ausschließlich in Top 1A- und 1B-Lagen“. Darüber hinaus gehören zu Hirmer Immobilien u.a. auch das Münchner Gewerbegebiet Kistlerhofstraße 70, Wohnanlagen in München und Leipzig sowie MotelOne in der Münchner Hochstraße, ferner Standorte in Wien sowie das Hotel-Resort „Campo Bahia“, wo die deutsche Fußball-Nationalmannschaft während der letzten WM in Brasilien residierte. Hirmer’s Ziel: „Die führende Marktstellung des Unternehmens im Segment für Große Größen soll gehalten und ausgebaut werden. Durch mehr Fläche und wachsende Kompetenz. Gesucht werden hierfür ausschließlich Hochfrequenzlagen in Zentren und Oberzentren Deutschlands sowie im deutschsprachigen Ausland.“ (www.hirmer-immobilien.de)

Bemerkenswert auch, wie schnell Verwaltung handeln kann, wenn es darum geht, wirtschaftliche Interessen unter Dach und Fach zu bringen: Von Anfang August bis Anfang September 2017 hatte die Stadt auf ihrer Immobilien-Webseite das infrage kommende Sattlerplatz-Grundstück im Erbbaurecht ausgelobt – also genau während der Ferienzeit. Und – oh Wunder: es ging nur 1 (in Worten: ein) Angebot dafür ein – von Hirmer. Und gerade mal zwei Monate später, Anfang November, tritt nun der Stadtrats-Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft zusammen, um den Beschluss über die Vergabe des Grundstücks im Erbbaurecht zu fassen – in nichtöffentlicher Sitzung, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Honi soit, qui mal y pense …

Da drängen sich viele Fragen auf: etwa danach, welche Planungen denn für das gesamte Ex-Parkhaus-Areal bestehen? Welche Nutzungen sind vorgesehen? Wie steht es mit den Überlegungen aus der Stadtgesellschaft, an dieser Stelle ein bürgernahes, innovatives Kultur-, Kreativ- und Begegnungszentrum zu schaffen? Gibt es Absprachen zur Nutzung des Rest-Areals, etwa mit dem Anrainer gegenüber, der Firma Inselkammer? Wie hoch soll der Erbbauzins sein, wenn „hochwertige Nachnutzung“ angestrebt wird? Und: Sind dies alles Fragen, deren Antworten die Stadtöffentlichkeit nicht zu interessieren haben?

  • Mai 2006: Grundsatzbeschluss des Stadtrats zur Überplanung des Geländes des Süddeutschen Verlags und des Bereichs zwischen Parkhaus „Färbergraben“ und dem ehemaligen Postgebäude.
  • Juli 2009: Grundsatzbeschluss des Stadtrats zur Konkretisierung der Ziele für den Bereich „Sattlerplatz“: ausgewogene Nutzungsmischung aus Einzelhandel, Gastronomie, kulturellen Einrichtungen, Dienstleistungen sowie innerstädtischem Wohnen.
  • Dezember 2015: Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans Nr. 2102: weitere Konkretisierung mit 20 – 30 Prozent Wohnanteil zur Stärkung des traditionellen Wohnstandorts in der Altstadt.
  • Verwaltungsinterne Entscheidung, die Verwertung des städtischen Grundstücks des „Hirmer-Parkhauses“ nach den Grundsätzen der Gewerbeförderung entsprechend dem Grundsatzbeschluss vom 18. Mai 2011 vorzunehmen.
  • /12. März 2017: Ausstellung von Studienarbeiten von Innsbrucker Architekturstudent/innen über die Nachnutzung des Parkhaus-Geländes als Kreativ- und bürgerschaftliches Begegnungs-Zentrum mit Podiumsdiskussion des Münchner Forums in der „Lothringer 13“ (s. Berichte in der AZ und SZ).
  • Juni 2017: Schwerpunktthema „Der Sattlerplatz in München“ der Standpunkte-Ausgabe 6.2017 des Münchner Forums
  • Juni/ Juli 2017: Ausstellung der Sattlerplatz-Studienarbeiten der Innsbrucker Student/innen auf dem Tollwood-Festival
  • August bis 5. September 2017: Bekanntmachung des Kommunalreferats auf der städtischen Immobilienseite im Internet, dass das Erbbaurecht an einer Teilfläche von 1.200 qm des insgesamt 2.150 qm großen städtischen Grundstücks FlNr. 502 im Wege der Gewerbeförderung vergeben werden soll. Als Grundlage der Vergabe wurde das vom Stadtrat am 18. Mai 2011 beschlossene Vergabeverfahren genannt:Es hat nur ein einziges Unternehmen fristgerecht Bewerbungsunterlagen zur Teilnahme am Auswahlverfahren vorgelegt.
  • November 2017: Sitzung des Stadtrats-Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft

Detlev Sträter

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