Mit der Hauptbahnhofsplanung in München befasst sich die „Aktion gegen den faulen Zauber“. Sie kritisiert den Gigantismus und die Kommerzialisierung des Entwurfs für den neuen Hauptbahnhof, der der Funktion nach das Stadtentree für alle diejenigen darstellt, die mit der Bahn München erreichen. Die Aktion kritisiert den kürzlich von der Deutschen Bahn vorgelegten Neubauentwurf; wir geben die Kritik in Auszügen wieder. Das vollständige Papier ist hier nachzulesen.

Ende April hat die Vollversammlung des Münchner Stadtrats dem überarbeiteten Neubauentwurf von Auer+Weber+Assoziierte für den Münchner Hauptbahnhof (Bauherr ist die DB Station&Service AG) grundsätzlich zugestimmt. Wieder eine Stufe in einer längeren Geschichte – der Entwurf stammt aus dem Jahr 2003 und ging seitdem schon mehrere Male durch den Stadtrat. Er hat die einhellige Unterstützung aller Fraktionen und praktisch aller Stadträtinnen und Stadträte. Durch die bleibende Begeisterung des Stadtrats wurde der Entwurf nach einem Stopp durch die DB in 2008 am Leben erhalten; ein zwischenzeitlicher Versuch der DB, eine (kaum andere) Alternative zu verfolgen, wurde 2011 abgeschmettert. Dann gelang es 2013 OB Ude, Bahn-Chef Grube zur Beauftragung von Auer+Weber mit den Vorplanungsarbeiten zu bewegen.

Gegenüber 2006 bleibt der jetzt vorgelegte überarbeitete Entwurf im Wesentlichen unverändert, er ist noch mal größer geworden, entscheidende Kritikpunkte der ersten Jahre wurden übergangen und vergessen gemacht. Der Stadtrat interessierte sich in dieser letzten Sitzung kaum mehr für den Bahnhof selbst, nur noch für „Rand“-Themen wie die Verkehrsgestaltung vor dem Bahnhof. (…)

Einige Fragen bleiben, die hiermit gestellt werden:

Zur Präsentation: Die Darstellungen, die das Vorhaben anschaulich machen sollen, zeigen bei weitem nicht alles; sie wirken maßstäblich verzerrt und geben die Platznahme im Umfeld verfälscht wieder. Laien und Fachleute gleichermaßen brauchen aber zum sicheren Verstehen und Bewerten eine Visualisierung der Gesamtwirkung. München hat großartige historische und aktuelle Stadtmodelle – da sollte man gerade hier im Vorfeld einer wichtigen Entscheidung nicht sparen. Und für später könnte damit immerhin der Verdacht einer Mogelpackung vermieden werden.

Warum gibt es bislang keine realitätsnahen Ansichten von allen vier Seiten? Wird es in der Ausstellung ein dreidimensionales Modell geben?

Zur „Ganzheitlichkeit“: (…) 2003 startete das Projekt pragmatisch mit der Absicht, das Hauptempfangsgebäude und den Starnberger Flügelbahnhof umzubauen. Jetzt wird der Starnberger Bahnhof der Totalität eines Gesamtneubaus geopfert, trotz Denkmalschutz. Die Ausweisung als Denkmal kam 2010 erst nach dem Planungsbeginn. „Vertrauensschutz“ heißt hier demnach: letzte legale Gelegenheit zur Beseitigung des ersten Bahnhofsbaus in Bayern nach dem Krieg (was auch juristisch umstritten ist). Die beiden soliden Flügelbauten (Intercity-Hotel und Spardabank) werden gar zu leicht preisgegeben, obwohl sie 2003 in der Wettbewerbsauslobung sehr wohl erhalten bleiben sollten. Das Portal und die Front zum Bahnhofsvorplatz, die die Bahn runterkommen lässt, über die die Meinung der Bevölkerung geteilt ist –, diese Frage hätte sich mit Abriss dann auch erledigt. Noch mehr Erhaltenswertes ist zu finden, sogar Teile des ursprünglichen Bürklein-Baus.

Ist es richtig, für eine Idee, die einem kurzen Zeitabschnitt zwischen Vergangenheit und Zukunft angehört, alles herzugeben was da ist und die Kontinuität eines zentralen Identifikationspunkts der Stadt für immer zu durchschneiden? (…)

Zu den Dimensionen: Ursprünglich (als noch über Sinn und Zweck gesprochen wurde) versuchte die Stadt München, die Höhe und Massigkeit des Neubaus gegen die Pläne der Bahn zu begrenzen – in der Begeisterung für den Auer+Weber-Entwurf fallen bis 2015 nach und nach alle Maßstabshindernisse.

Höhe: Mehrmals, wie hier aus dem Beschluss zum Workshop-Ergebnis von 2006 zitiert, wurde ein durch bestehende Städtebauvorgaben gesetztes Limit angemahnt: „Die Höhe der Nachbarbebauung ist zu beachten. Die Gebäudehöhe der bauordnungsrechtlichen Hochhausgrenze von 22m sollte nicht überschritten werden.“ (Beschluss des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung v. 30.11.2005, Sitzungsvorlage Nr. 02-08/07323) Seltsamerweise wurde dennoch der deutlich höhere Auer+Weber-Entwurf aufs Schild gehoben. 2015 wird die Bauhöhe vom Planungsreferat überhaupt nicht mehr erwähnt oder thematisiert. Aus den Plänen ist zu entziffern, dass die Höhe am Bahnhofsvorplatz ca. 27 m und, ansteigend zur Gleishalle, dort 31 m betragen wird. Also am Portal ca. 6 m höher als derzeit und zur Gleishalle hin ein Überragen derselben um ca. 10 m (!).

Volumen: Anfangs war es die DB, die größer bauen wollte; die Stadt bremste. Dann kam Auer+Weber, und ihnen folgten Planungsreferat und Stadtrat in die Maximierung. Mit dem Ergebnis 2015: „Gegenüber dem Bestand von 77.800 m2 (incl. Randbauten der Gleishalle) weist das überarbeitete Wettbewerbsergebnis eine Nutzungsmehrung um das 1,6fache auf.“ (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/ V 02553) Bestandteil der Eckdaten bei der Wettbewerbsauslobung 2003 war gewesen: „Die Entwicklung des Hauptempfangsgebäudes sollte in einem stadtverträglichen Rahmen von 74.000 m2 bis maximal 84.000 m2 Nutzfläche überprüft werden.“ (Wettbewerb Hauptbahnhof, Beschluss des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung v. 14.07.2004) Das war schon viel, es wird um einiges mehr. Die oberirdische Geschoßfläche liegt 2015 bei 100.000 m2plus 42.000 m2 an der Stelle des Starnberger Bahnhofs (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/ V 02553). Das Empfangsgebäude wird bahnfremd aufgeblasen: sieben Stockwerke – davon werden nur zwei (E +1) für Bahndienste, Gastronomie und Handel benötigt. Fünf Stockwerke sind mit Büros und Konferenzräumen zu füllen. Mit dem 2015 aufstrebendem „Hochpunkt“ über dem Starnberger Bahnhof mit um die 70m wird auch dort die Baumasse noch mal massiv gesteigert. (…)

Formgestaltung: Der Clou ist die „Skylounge“ bzw. der zweigeschossige „metallische, identitätsstiftende Überbau“, der sich auf fünf „transparente“ Stockwerke drauflegt. Dieser Flatschen steht an allen Seiten als Deckel über den Grundriss hinaus. Auf der Ostseite ragt er fast 10m in den Bahnhofsvorplatz, stolze 180m breit. Das gefiel trotz grundsätzlich positiver Bewertung zunächst nicht, und das wurde auch gesagt. Auszug aus dem Protokoll der Empfehlungskommission 2003: „Allerdings erscheint der Kommission die Maßstäblichkeit des Gebäudes, insbesondere durch das hohe, weit in den Platz hinein ragende Dachbauwerk, im Verhältnis zum städtebaulichen Kontext maßstäblich überzogen.” (Beschluss des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung v. 14.07.2004) Wiederholt wurde das 2006 als Vorgabe für den Workshop: „Die Bebauung einschließlich Dachauskragungen sollte möglichst auf den Grundstücken der DB AG realisiert werden (Überbauung der städtischen Platzfläche möglichst gering halten).“ (Beschluss des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung v. 30.11.2005, Sitzungsvorlage Nr. 02-08/07323)   

Ergebnis: der Deckel ragt jetzt genauso weit und schwer aus dem Gebäude wie ehedem! Keine Veränderung, aber es stört auch niemand mehr. Wenn man vor dem Bahnhof steht, muss man es sich so vorstellen: Der Unterbau wäre etwas niedriger als die heutige Gebäudekante, darüber wüchse das mächtige Sahnehäubchen weit in den Platz hinein. Anders als in den geschönten Computerdarstellungen wird der Vorplatz nicht geweitet, sondern von oben verengt. Es ist zu vermuten, dass manche Befürworter dieses „Detail“ übersehen haben, wie auch die unförmige Umbauung der Gleishalle und Seiteneingänge. (…)

Warum sind die anfänglichen Vorgaben zur städtebaulichen Verträglichkeit unter den Tisch gefallen, warum wurde das Ding im Verlauf immer größer und totaler?

(…) Im Blick der Stadt München waren die verkehrlichen Notwendigkeiten im Rahmen von Umbau und Modernisierung. Die Absichten der Deutschen Bahn (die damals in den Privatisierungswahn geschickt worden war und begann, Bahnhöfe als Immobilieninvestments zu verwerten) wurden kritisch gesehen. (…)Was damals nicht gewollt wurde, soll München jetzt bekommen. Eine deplatzierte Flughafenskulptur auf abgeräumter Fläche. Damit ist das Ideelle verbraucht, die Hülle wird gefüllt mit Kommerz, Büros, Hotel und Reklame. Doch daran fehlt es in München nicht. Den bestehenden Bahnhof renovieren, schöner machen, das ausräumen, was im Weg rumsteht, ihn übersichtlicher machen, ihn umbauen wo nötig und dabei die Bevölkerung einbeziehen – das wäre eine Möglichkeit, mit weniger mehr zu machen.

 

Aktion gegen den faulen Zauber (aktion-gegen-den-faulen-zauber@gmx.de)

Hans Hanfstingl

Hans Hanfstingl ist Mediengestalter und arbeitet bei den „Altstadtfreunden“ mit.
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner