Die Bestrebungen der SIGNA, beim Umbau der Alten Akademie die Fläche der Arkaden von aktuell 572 qm auf 151 qm zu verringern und dabei den Durchgang im Bereich des Renaissance-Kopfbaus ganz zu schließen, bedeuten einen schwerwiegenden Eingriff in den städtebaulichen Charakter eines zentralen Abschnittes der Münchener Hauptmagistrale. Wie der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan 1975 von 2005 hervorhebt, stellen die Arkaden „zusammen mit den Passagen als typisches Münchner Gestaltungsmerkmal ein wertvolles stadtbildprägendes Prinzip dar, das den Fußgängern Schutz vor der Witterung und gleichzeitig ein die Fußgängerzone ergänzendes und vernetzendes Wegesystem bildet. Darüber hinaus wurden die Arkaden auch als architektonisches Gestaltungsmittel eingesetzt und ergeben eine differenzierte Fassade mit einem anspruchsvollen Erscheinungsbild“ (K. Bäumler in Standpunkte 3.2017, S. 20).
Mit der Reduzierung und Teilschließung der Arkaden würde der ausdrückliche Wille der Wiederaufbaugeneration aufgehoben, die Kriegszerstörungen als Chance zu nutzen, für die Bürger durch den Erwerb der dem Durchgang dienenden Flächen vom Bayerischen Freistaat zusätzlichen öffentlichen Bewegungsraum an dieser markanten Stelle zu gewinnen. Stattdessen würden im Bereich der höchsten Verkaufsflächenkonzentration diese noch stärker vergrößert, als es ohnehin durch die Umnutzung der Alten Akademie geschieht.
Die negativen Auswirkungen der Zerstörung einer stadtbildprägenden Situation gehen jedoch über den Verlust eines Dokumentes früheren Gestaltungswillens hinaus. Es geht auch nicht um einige Quadratmeter öffentlichen Raumes, die manchem angesichts der Größe der Fußgängerzone entbehrlich scheinen mögen, obwohl heute das vielfach herrschende Gedränge in der Neuhauser Straße viele Besucher kaum weniger stört als früher der dortige Autoverkehr, eine Entlastung durch die Arkaden an dieser Stelle also entgegen der Investorenbehauptungen kaum weniger wichtig ist!
Die weitere Verarmung des die Münchener Identität prägenden Stadtbildes würde langfristig auch die Attraktivität des Einzelhandelsangebotes für den zunehmend wichtigen Shopping-Tourismus mindern, da inzwischen annähernd jeder zweite in der Innenstadt ausgegebene Euro von Besuchern stammt, die nicht in München und Umland wohnen, und für diese das ansprechende Umfeld eine entscheidende Motivation für ihren Aufenthalt bildet.
Die hohe Sensibilität für städtebauliche Qualitäten zeigt sich bei der von Handelskammern, Citymanagern und dem Institut für Handelsforschung Köln organisierten Erhebung „Vitale Innenstädte“, wenn man die Bewertungen durch die Besucher zwischen Städten mit gegensätzlichen Gestaltungskonzepten vergleicht.
Münster und Kassel sind annähernd gleich groß, wurden beide im Krieg stark zerstört, haben große Teile ihrer Innenstadt als Fußgängerbereich umgestaltet und dort Shoppingcenter integriert. In Münster legte man beim Wiederaufbau, ebenso wie in München, großen Wert auf die Erhaltung des historischen Stadtgrundrisses und der Formensprache des baulichen Erscheinungsbildes. In Braunschweig erfolgte dies nur für Teile der Innenstadt, daneben signalisierte man jedoch mit dem großzügig dimensionierten Straßendurchbruch Bohlweg, großmaßstäbigen Geschäftshäusern und dem Abbruch des mit seiner Außenfassade erhaltenen Schlosses einen dezidiert großstädtischen Anspruch. Dieser unkritisch fortschrittsgläubige Geist des Wirtschaftswunders wirkt sich inzwischen nachteilig auf die Wahrnehmung der Innenstadt durch ihre Besucher aus. Sie benoten alle Merkmale der Innenstadt deutlich schlechter aus als die Besucher der Innenstadt von Münster die dortige Stadtqualität. Besonders groß sind meist die Anteile der die Note sehr gut vergebenden „Begeisterten“, vor allem bei den heute für postmoderne Innenstädte wichtigen weichen Merkmalen wie Lebendigkeit und Ambiente / Flair. Dieser Rückstand dürfte „objektiv“ vielfach nicht gerechtfertigt sein. Er entsteht vor allem dadurch, dass das in Münster verfolgte Leitbild der historischen Identität den heutigen postmodernen Lebensstil besser anspricht als das Leitbild der modernen Großstadt.
Abb. 1: Bewertung von Qualitätsmerkmalen der Innenstädte von Münster und Braunschweig
Quelle: „Vitale Innenstädte 2014“, Sonderauswertung Institut Für Handelsforschung; Entwurf: R. Monheim, Grafik: K. Meindl
Regensburg und Kassel sind ebenfalls annähernd gleich groß. Der Fußgängerbereich ist in Regensburg flächenhaft, in Kassel auf lineare Achsen beschränkt. Das von Kriegszerstörungen verschonte Regensburg hat sich von den auch dort in den Wirtschaftswunderjahren verfolgten Bestrebungen zur Modernisierung der Altstadt abgewandt (es blieb bei einem Großkaufhaus und einem teilweisen Straßendurchbruch). Kassel hat dagegen die Kriegszerstörungen ehrgeizig dazu genutzt, eine nach damaligen Vorstellungen mustergültig gestaltete und erschlossene Innenstadt zu verwirklichen. In Regensburg wurden die kommerziellen Aufgaben des Oberzentrums ab 1967 weitgehend in das 1,5 km von der Altstadt entfernte Donau-Einkaufszentrum und 2002 zusätzlich in die Regensburg Arcaden am Bahnhof verlagert, während sich die immer noch 565 meist kleinen Läden der Altstadt überwiegend auf das „Einkaufserlebnis Welterbe“ spezialisierten. In Kassel entstanden zusätzlich zu mehreren Waren- und Kaufhäusern drei integrierte Shoppingcenter. Die bei den Befragungen vergebenen Benotungen zeigen für viele Merkmale einen noch deutlicheren Vorsprung des Modells historischer Identität, das auch auf das in Regensburg weitgehend ohne das klassische Konsumangebot auskommende Einzelhandelsangebot positiv ausstrahlt (Ausnahmen: Erreichbarkeit, Barrierefreiheit, Parkmöglichkeiten). Bei den weichen Qualitätsmerkmalen werden extrem hohe Anteile von sehr gut erreicht.
Abb. 2: Bewertung von Qualitätsmerkmalen der Innenstädte von Regensburg und Kassel
Quelle: „Vitale Innenstädte 2014“, Sonderauswertung Institut Für Handelsforschung; Entwurf: R. Monheim, Grafik: K. Meindl
Im Hinblick auf die Bedeutung der Münchner Arkaden für die Zukunftsfähigkeit der Innenstadt lautet die Lehre aus den Städtevergleichen, dass die Wahrnehmung der objektiven Stadtqualität durch die bei den Besuchern hervorgerufene Stimmung gefiltert wird und die historisch verankerte lokale Identität einen wesentlichen Beitrag zu einer positiven Einstellung (bis hin zur Begeisterung) leistet. Gerade in Zeiten und an Orten eines zunehmend vereinheitlichten Einzelhandelsangebotes sowie der Konkurrenz durch den wachsenden Onlinehandel erscheint deren Pflege besonders wichtig.
Bezogen auf die SIGNA-Planungen ergibt sich damit die Aufgabe, den öffentlichen Raum der Arkaden, der heute vernachlässigt und „in die Jahre gekommen“ erscheint, zu einem repräsentativen Wohlfühlraum zu entwickeln, der im Rahmen von „Kunst am Bau“ eine besondere Willkommenskultur signalisiert. Damit dürfte dem voraussichtlich hochwertigen SIGNA-Standort mehr geholfen werden als durch zusätzliche Verkaufsflächen.
Die in den Städtevergleichen deutlich gewordenen Attraktivitätsunterschiede zwischen standardisierten Massenkonsumlagen und Identität signalisierenden Einkaufslagen zeigen sich in München an der Entwicklung der räumlichen Verteilung der Passanten. Die von Großbetrieben geprägte Achse der Kaufingerstraße und Neuhauser Straße dominiert zwar weiterhin klar. Ihr gegenüber haben aber die Sendlinger Straße und Theatinerstraße deutlich aufgeholt. Nach den jährlichen Zählungen des Maklerunternehmens Engel & Völkers erreichten sie 2001 am Dienstag Spätnachmittag nur 25 Prozent bzw. 23 Prozent und am Samstagmittag 18 Prozent bzw. 19 Prozent der Haupteinkaufslage. Durch die Ansiedlung der Hofstatt bzw. der Fünf Höfe sowie die Befreiung der Sendlinger Straße vom Autoverkehr näherten sie sich 2017 am Dienstag auf 48 Prozent bzw. 43 Prozent und am Samstag auf 59 Prozent bzw. 45 Prozent an!
Dazu haben neben dem spezialisierten Angebot der beiden Center und der Aufwertung des öffentlichen Raumes in der Sendlinger Straße Veränderungen in der Zusammensetzung und den Lebensstilen der Besucher beigetragen: Heute kommen mehr Shoppingtouristen, und die Besucher wollen bei ihrem Aufenthalt die Stadt erleben, indem sie bummeln und zahlreiche Geschäfte aufsuchen, auch wenn sie dort nichts einkaufen; sie wollen sich überraschen lassen, dazwischen vielleicht kleine Pausen einlegen… Für die Zukunft der Münchner Innenstadt ist die Erfüllung dieser Bedürfnisse wichtiger als einige zusätzliche Quadratmeter Verkaufsfläche.
Rolf Monheim
Prof. Dr. Rolf Monheim war von 1978 bis 2007 Professor für Angewandte Stadtgeographie und Stadtplanung an der Universität Bayreuth. Seit 2007 freiberufliche Tätigkeit in Forschung, Beratung und als Referent.