Aufbauend auf dem Agropolis-Gedanken entsteht in München-Freiham seit April 2016 eine internationale Stadt aus Stroh – eine Landmarke, die dem Freiluftsupermarkt Raum und Rahmen bietet. Es handelt sich um ein integratives Stadtentwicklungsprojekt, das den neuen Stadtteil kulturell vorprägen will. Umgesetzt wird das Projekt von bauchplan ).(, einem transdisziplinären Kollektiv, dem LandschaftsarchitektInnen, ArchitektInnen, KünstlerInnen und GeisteswissenschaftlerInnen angehören.

Nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa und der Welt befinden sich Großstädte im Wandel. In München steigen die Einwohnerzahlen stetig an, die wachsende Bevölkerung braucht neue Wohn- und Lebensräume. Eine „Stadt aus Stroh“ wurde an einem dieser neuralgischen Punkte verortet: im Stadterweiterungsgebiet München-Freiham. Das Projekt wird von der Landeshauptstadt München finanziert und von bauchplan ).( umgesetzt, in Kooperation mit dem Kartoffelkombinat, den Urbanauten sowie T. Cebulsky. Zusammen will man neue Bezüge zum zukünftigen Stadtteil schaffen.
Freiham ist eines der letzten großen Stadtentwick-lungsgebiete Münchens, hier entsteht aktuell ein Stadtteil für 20.000 Einwohner. Die Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, gab ein Zwischennutzungskonzept in Auftrag, um Akzeptanz für die Planungsmaßnahmen bei den künftigen BewohnerInnen Freihams zu schaffen. Ziel ist es, diesen Ort der Stadterweiterung inmitten der Freihamer Weite auf der landwirtschaftlich geprägten Fläche kulturell und sozial neu zu bespielen. So können positive Assoziationen der Menschen mit dem zukünftigen Stadtteil hergestellt werden. Das Strohballenpanorama dient hierfür als sichtbare und wiedererkennbare Landmarke. Quaderförmige Strohballen sind in Form des Freiham-Logos zu einer Arena gestapelt und schon aus der Ferne deutlich erkennbar, das Stroh formt eine Art Stadtmauer. Innerhalb der Stadt aus Stroh befindet sich der Freiluftsupermarkt – von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS) unterstützt, bespielt er den Ort über drei Saisonen hinweg.
Der Freiluftsupermarkt ist ein Baustein, der im Agropolis-Gesamtkonzept verankert ist – Bezug zur Herkunft und Produktion von Lebensmitteln soll wiederhergestellt werden. Es handelt sich um kein herkömmliches Urban-Gardening-Projekt, denn bauchplan ).( geht mit dem Freiluftsupermarkt einen Schritt weiter: Jeder kann kommen und ernten, es ist kein Mitgliedsbeitrag erforderlich, es gibt keine Verpflichtung zur Mitarbeit, kein aktiver Beitrag muss geleistet werden. Die Bezahlung erfolgt in Form einer freien Spende, BesucherInnen sollen selbst entscheiden, wie viel ihnen ihre Ernte wert ist.

Regentanz zur Einweihung des Freiluftsupermarktes München-Freiham | Foto: G. Neeb

Regentanz zur Einweihung des Freiluftsupermarktes München-Freiham | Foto: G. Neeb

Das Einkaufen wird so zu einem landschaftlichen Erlebnis. Der Freiluftsupermarkt ist eine essbare Landschaft, ein begehbarer und beerntbarer Landwirtschaftspark, der die Integration von Nachbarschaft und verschiedenen Institutionen als Grundlage sieht.
Bereits im Jahr 2015 wurde der Freiluftsupermarkt in Freiham als Pilotprojekt in kleinerem Rahmen umgesetzt. Zeitlich parallel dazu wurde das Projekt auch im Strukturwandelgebiet Wien-Atzgersdorf entwickelt. Ursprünglich war das Konzept als klassische Verkaufsplattform und sozialer Treffpunkt gedacht, doch den Projektbeteiligten wurde angesichts des Wissensdurstes der BesucherInnen schnell klar, dass hier ein weiteres Bedürfnis besteht: jenes nach mehr Wissen und Bildung. Neben der Selbsternte durch die Kundschaft besteht auch die Möglichkeit, an Führungen, Workshops und Bildungsveranstaltungen in Zusammenarbeit mit externen  ExpertInnen teilzunehmen. In Tätigkeiten wie Ernten, pädagogisches Gärtnern und Pflanzenpflege werden auch Schulen, Kindergärten und Familien mit Fluchthintergrund eingebunden.
Der Freiluftsupermarkt geht in beiden Städten auf die urbane Realität der StadtbewohnerInnen ein, hier können sich neue Nachbarschaften und Strukturen bilden. Europa sieht sich derzeit mit der Ankunft von vielen unterschiedlichen Menschen aus verschiedenen Kulturen konfrontiert, häufig sind diese Menschen von ihrer Fluchtgeschichte geprägt. Die angestammte Bevölkerung reagiert nicht selten mit Skepsis und Angst. Durch die Zusammenarbeit mit diesen neu angekommenen Menschen soll eine Brücke zwischen den Kulturen geschlagen werden, der Freiluftsupermarkt bildet einen neutralen Ort des Kennenlernens und des Kulturaustausches; Alteingesessene treffen hier auf neue BewohnerInnen.
Auf die Agropolis-Bewegung aufbauend reintegriert der Freiluftsupermarkt die Nahrungsmittelproduktion als vielfältig anwendbares Stadtentwicklungswerkzeug in die Stadt. Die urbane Nahrungsmittelstrategie wird im Übergang zwischen unterschiedlichen Stadien der Stadtwerdung zu einem stadtentwicklungspolitischen Instrument – zwischen heute noch Landwirtschaft und morgen schon Stadt. Das Konzept baut auf der Geschichte des Ortes auf, die derzeitige landwirtschaftliche Nutzung wird miteinbezogen und die geografische Lage aktiv genutzt. Dadurch wird ein wertvolles Netzwerk von Verbindungen zum Umland und zur benachbarten Stadtgesellschaft etabliert. So bildet der Freiluftsupermarkt den städtischen Humus, auf dem sich neues Leben im zukünftigen Stadterweiterungsgebiet anreichern kann.
bauchplan ).( 2016

bauchplan ).( ist ein transdisziplinäres Kollektiv, das seit 15 Jahren offene Gestaltungsprozesse in ihren Studios München und Wien kultiviert. An der Schnittstelle zwischen Raum und Gesellschaft nähern sie sich neuen Aufgabenstellungen stets prototypisch, oftmals spielerisch und gerne mit einem strategischen Blick von außen.

[alert color=“green“ icon=““]Weiterführende Informationen:
www.freiluftsupermarkt.de
www.bauchplan.de
www.agropolis-muenchen.de
www.kartoffelkombinat.de/blog/
www.urbanaut.org[/alert]

Dieser Text ist auch in der Juli-Ausgabe der Standpunkte erschienen.

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