Pro
19.05.2015: Globalisierung bedeutet weltweiten Wettbewerb. Beim Sport, besonders beim Fußball, wird dies als selbstverständlich akzeptiert. In der Wirtschaft hat man sich daran gewöhnt. Vom „Made in Germany“ leben wir alle nicht schlecht. Auch in Forschung und Wissenschaft gibt es Rating Hierarchien. Aber in der Kultur? Ja, auch hier gibt es den Standort-Wettbewerb. Wer nicht top ist, wird unter ferner liefen eingeordnet. Um aber Spitzenleistungen erreichen zu können, müssen die Rahmenbedingungen stimmen.
Der Einwand, Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Schulen oder Kitas seien wichtiger als kulturelle Einrichtungen, greift zu kurz. Natürlich sind jene notwendig. Aber für die Attraktivität einer Region und deren Wirtschaftskraft sind Highlights ebenso notwendig. „Ausgaben in Kultur sind keine Subventionen sondern Investitionen, die in harten Haushaltverhandlungen erkämpft werden müssen.“ (Tim Renner, Kulturstaatssekretär, Berlin in Die Zeit Nr. 16 2015, S.54). München wurde durch die Olympischen Spiele 1972 mit seinen architektonisch herausragenden Olympiabauten weltweit bekannt und ist seitdem ein wesentlicher Magnet für den Tourismus und für die Standortwahl innovativer Wirtschaftszweige, durch die dann erst das Geld für die nötige Infrastruktur geschaffen werden konnte.
Der nächste Einwand: München hat doch zwei Konzertsäle, den Gasteig und den Herkulessaal. München ist doch eine weltweit bekannte Musikstadt. Die beiden Orchester, die Münchner Philharmoniker und das Symphonieorchester des BR zählen neben dem bayerischen Staatsorchester (Oper), den Wiener Philharmonikern, der Deutschen Philharmonie Berlin und den New Yorker Philharmonikern zu den sechs besten Orchestern weltweit. Oder?
Ja, aber wie wurde dies erreicht? Erst Sergiu Celibidache hat die Münchner Philharmoniker zu einem Orchester von Weltrang geformt, Mariss Janson die Symphoniker des BR. Celibidache hat die nicht hervorragende Akustik des Gasteigs durch vermehrte Proben und seinen Musikstil ausgeglichen. Das aber war gestern.
Heute können viele Konzerte mit berühmten Solisten und Dirigenten – meist auf Jahre im Voraus vereinbart – nicht organisiert werden, weil beide Orchester und Gastorchester sich den großen Saal und die nötige Infrastruktur teilen müssen. Das heißt Stillstand. Denn der Herkules-saal ist nicht wirklich für symphonische Musik mit großen Orchestern geeignet.
Nun sollen auch noch beide Säle, Gasteig und Herkulessaal, saniert werden. Die Politik geht davon aus, dass dies in zwei Jahren zu bewerkstelligen sei. Fachleute wissen jedoch, dass hierfür mindestens siebenJahre benötigt werden. Dies besonders, wenn der Gasteig entkernt und völlig neu gestaltet werden soll.
München und die beiden Weltklasse-Orchester wären dann sieben Jahre ohne geeigneten Konzertsaal. Und dies bei einem Einzugsbereich in der Metropolregion von 3 Millionen Einwohnern. München könnte sich als Musikstadt in die Provinzialität verabschieden.
Das kann nur verhindert werden, wenn vorab ein geeignetes Konzerthaus errichtet wird. Dieses könnte dann wie die Philharmonie in Paris so konzipiert sein, dass außer klassischer Musik auch die ganze Palette heutiger Musik dort eine Heimstatt hätte. Erst dann wären auch in Zukunft die Rahmenbedingungen für eine attraktive Musikstadt München geschaffen, so wie jetzt in Paris. Ohne Visionen keine Sponsoren.
Udo Bünnagel
Contra
19.05.2015: Eigentlich kann man ja gar nichts gegen einen schönen neuen Konzertsaal haben. Eine reiche Stadt, ein reiches Land müsste sich so etwas leisten können, selbst wenn erheblich dringendere Probleme wie mangelnder bezahlbarer Wohnraum, wie miserable, zudem schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse vor allem in den Sozial- und Dienstleistungsberufen, wie die schwierige Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern nicht gelöst sind.
Was aber verstört, sind in der Kakophonie der Äußerungen jene Stimmen, die den Konzertsaal hier und jetzt und zwar sofort herbeireden wollen, und dabei ohne Rücksicht all das schlecht reden, was jenem entgegensteht. Da wird der nun plötzlich entdeckte mangelnden Glanz des Herkulessaals und die unzureichende Akustik der Philharmonie ins Feld geführt. Da wird der Finanzgarten als letzte relevante innerstädtische Grünanlage und als historisches Zeugnis der einstigen Stadtbefestigungs- und Wallanlagen bar jedes stadtkulturellen und stadthistorischen Gespürs als zur architektonischen „Aufwertung“ anstehende städtebauliche Restfläche denunziert. Da werden Standorte ins Spiel gebracht und gleich wieder verworfen – womöglich weil sie fußläufig zu weit von den tradierten post-konzertanten Schankstätten entfernt liegen. Ein moderner Konzertsaal, der heutigen Ansprüchen genügt, entfaltet eine enorme städtebauliche Attraktivität. Frühere Münchner Stadtbaumeister haben dies verstanden und etwa das Gärtnerplatztheater und das Prinzregententheater als zentrale Anker in damals neu zu entwickelnde Stadtviertel platziert. Warum sollte das heute am Ostbahnhof, in Riem, Freiham oder anderswo nicht funktionieren?
Was auch verstört, sind jene Stimmen, die auf Standorten beharren, ohne dass bereits im Ansatz geklärt ist, was überhaupt errichtet werden soll. Geht es denn „nur“ um die Spielstätte eines der Orchester desBayerischen Rundfunks – warum konzentriert sich die Standortsuche dann nur auf das Stadtgebiet München? – oder geht es um die, wie andere sagen, „Musikmetropole München“, die sich ein modernes, den heutigen künstlerischen und technischen Ansprüchen gewachsenes Haus der Musik leisten will, das die vielfältigen Erwartungen an Produktion und Präsentation von klassischer und zeitgenössischer Musik, wenn diese Differenzierung gestattet ist, in ihrer ganzen Breite erfüllen kann? Die Klärung, was ein solches Haus leisten soll und was dazu benötigt wird, ist noch nicht erfolgt und sollte doch einer Standortentscheidung sinnvollerweise vorangehen oder diese vorbereiten – warum wird in München das Pferd vom Schwanz aufgezäumt?
Der neue Konzertsaal – ein „Leuchtturmprojekt“ soll er werden. Doch die Leuchtturm-Metapher hat ihre Tücken: Das weit ins Land strahlende Licht belässt seinen hohen Sockel und seine Fundamente im Schatten. Die Musikstadt München bietet exzellente hochschulische Ausbildungswege für Musik und Kultur im weitesten Sinne. Aber um die fundamentale musische und Musikausbildung an den Grund- und weiterführenden Schulen ist es schlecht bestellt. Sie fristet an den früh auf die Ausbildungsbedarfe der Wirtschaft ausgerichteten Schulen und Ausbildungsstätten ein Schattendasein; das Erlernen eines Instruments gehört zumeist nicht dazu. Wer es dennoch tut, stellt fest, dass es an allen Ecken und Enden an Übungs- und Aufführungsstätten mangelt. Dennoch ist München auch eine Musikstadt. Sie ist viel breiter und bunter, als die laute Diskussion um den Konzertsaal vermuten lässt. Ein Leuchtturm auf einem miserablen Fundament – das geht auf die Dauer nicht gut.
Die Zustimmung zu einem neuen Konzertsaal fiele leichter, wenn seine Befürworter ebenso vehement dafür einträten, die Grundlagen für eine musikalische Bildung an den Schulen zu stärken, und dafür sorgten, dass die Bildungswege zur Musik verbreitert und die sozialen Zugangsschwellen abgesenkt werden. Noch haftet der Konzertsaal-Debatte der Geruch eines elitären Luxusproblems an. Das jüngste Einpendeln auf einen bereits vor Monaten ins Gespräch gebrachten Konzertsaal-Standort am Rande des Olympiaparks bietet immerhin die Chance für einen Ausweg daraus, dass ein gut funktionierendes und von einem weitaus größeren Publikum geschätztes und multifunktional genutztes Kulturzentrum, der Gasteig, mit einem gewaltigen baulichen Eingriff zum Stammhaus für zwei Spitzenorchester aufgebohrt und den dominant vorgetragenen Interessen des Konzertpublikums geopfert werden könnte.
Detlev Sträter